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HOLPRIGE WEGE

Foto: H.S.

14.12.2020 - von Hartmut Jeromin

Holprige Wege
gab es genug, meine Straßen waren schlecht gepflastert. An die Straßen und Wege unseres Auszugs aus Ostpreußen erinnere ich mich kaum…
…ich meine auch gar nicht die realen Verkehrswege sondern die meiner Biografie. Es holperte. Es fing mit meinem Geburtsdatum an, der 02. Juni. Das bedeutete Zurückstellung der Einschulung um ein Jahr, der Stichtag war der 30.05. Wurde damals vom Schularzt so festgestellt. Die Ärzte meinten sowieso immer, der Junge braucht Speck, es gab aber immer nur Lebertran.

Ab der 3. Klasse wurden dann Jungen und Mädchenklassen gemischt, vorher sahen wir die Mädchen nur auf dem Schulweg und auf dem Pausenhof. Das war der 1. Umbruch. Schule an sich war nicht so problematisch, aber ich musste viel zusätzlich üben zu Hause und mein Vater hatte kein pädagogisches Talent und meine Mutter war ja noch für weitere Geschwister (7) zuständig. Und ein kindliches Rheuma machte Übungen für die Schule vom Bett aus nötig, eine einzige Quälerei mit dem kleinen und großen Einmaleins!
Nach einem Wohnungswechsel erfolgte natürlich auch ein Schulwechsel. Eine gut gefüllte Klasse in einer sehr alten Stadtschule mit reaktivierten Lehrern vom vorm Krieg. Z.B. die Frau Kluge…und dazu die schnellausgebildeten Neulehrer. Ich mußte mich eingewöhnen und stand immer schwer zur Versetzung. Teils beschrieb ich das ja schon. Aber wieder ein Umzug, in eine andere Kleinstadt in Mecklenburg, wieder das Eingewöhnen. Ich nun in der 5. Klasse , auch sehr schwierige Mitschüler und z.T. Lehrer-/Innen. Nach entsprechender Beratung mit den Eltern nun also: Nicht versetzt.! Ich bekam danach aber wesentlich bessere Mitschüler. Es war das Jahr 1953. So etwa die Kinder des eingesessenen Bürgertums oder der Sohn vom Gefängnisdirektor. Plötzlich ging es vorwärts mit mir, obwohl ich noch immer nichts mit Futurum und Plusquamperfekt anfangen konnte. Der Sohn vom Kantor hingegen nutzte mich nur aus, sie fuhren in den Westen im Sommer, ich versorgte das Viehzeug und als Lohn gab es einen Kugelschreiber. Enttäuschend. Leider war auch das noch nicht die Endstation, wieder ein Umzug, in ein ganz kleines Dorf…wieder das Eingewöhnen in eine 6. Klasse aber mit Mehrstufenunterricht und dann nochmals eine andere Schule in der Stadt, eine Mittelschule mit wesentlich besseren Lehrern. Den Konfirmandenunterricht durfte ich aber ein Jahr länger besuchen um mit der jüngeren Schwester gemeinsam eingesegnet zu werden, so erfuhr ich vom Pfarrer viel über den Rebell Luther. Der Stoff saß dann für den Rest meines Lebens, ich habe das öfter in Wittenberg und Torgau überprüft. Damit ging diese Lebensphase mit dem 8. Schuljahr zu Ende. Ich war 16. Was wäre, wenn, hilft mir hier nicht weiter, es war eben so.

Obwohl ich gerne Bauer geworden wäre, wurde ich danach Gärtner. Wohnen im Lehrlingsheim. Schwierige Jungen und Mädchen, teils von Berlin, um hier durch Arbeit gebessert zu werden. Es wurde aber niemand gebessert, im Gegenteil. Es fehlte einfach an guten Ausbildern und Erziehern. Was war von „Zarochel“ schon zu lernen? Und Schläge mit der Faust landeten oft in meinem Gesicht, das härtet zwar ab aber verhärtet auch. Und Dabeisein und mitmachen wollte ich ja auch…im nächsten und dann im 3. Lehrjahr hätte ich Rädelsführer werden können, jedenfalls sah das der Betriebsleiter so. Er stellte mich vor die Wahl, entweder halte ich während seiner Abwesenheit die Bande im Zaum oder er muß mich entlassen. Ich wählte, tief geknickt: Entlassen! Ich konnte ihm nämlich nichts garantieren.
Also wieder ein Wechsel, in einen Privatbetreib. Soweit ganz gut. Ich bestand ohne zeitliche Verzögerung die Facharbeiterprüfung und wurde nun Junggärtner in Rostock. Das ging gründlich schief: Dem Jungmeister gefiel ich nicht, er hatte wohl weitreichende Beziehungen. Es endete da mit einem Aufhebungsvertrag nach dem 1. Jahr. Was nun? Ich las eine Werbung: Werdet Lehrer. Und so wurde ich Lehrer, trotz Grundschule (8 Klassen), Volkshochschule und Lehre brauchte ich dazu noch fünf Jahre, s. „Rabfak“. Natürlich ging danach das Lernen erst richtig los!

Aber auch das Holpern. Ich gefiel dem Direktor nicht wirklich. Also zur Abwechslung Mal: Disziplinarverfahren. Am 1. Sommerferientag. Die BGL ließ mich vor ihrer Tür sehr lange warten, also war ich am Ende einfach nicht mehr da und im Herbst war es verjährt, ohne Schuldspruch aber mit grimmigen Gesichtern der ehrwürdigen Runde. Und so immer weiter, ich beschrieb es ja schon an anderem Ort. Mobbing in der neuen Zeit könnte ich beschreiben oder den Psychoterror um den militärischen Berufsnachwuchs in der alten Zeit. Irgendwelches Militär sollte immer besichtigt werden oder sogar im Winter in der Dresdener Heide Krieg gespielt werden. Einmal gar sollte einem rumänischen Staatschef zugewinkt werden in der Stadt, nur ich verpasste das irgendwie. Also zur Abwechslung wieder mal Schulrat, die BGL wurde nicht erst bemüht. Richtig schlimm wurde es aber im November 1975, da hatte ich mich an Befehle, Kasernenunterkunft und viel Frischluft zu gewöhnen, mitsamt einem Manöver in der freien Natur im April 76. Es ballerte zeitweise aus allen Rohren. Auf Arbeit eine Klasse ohne Klassenleiter und zu Hause eine Frau mit 3 Kindern. Mitten im Frieden. Mein Vater hatte nicht recht mit seiner Behauptung, Soldat sein im Frieden sei schön. Ist nicht mal im Frieden schön. Aber ich hab es ja überlebt…

Wenn ihr mich nun fragt: Gab es denn gar nichts Gutes auf deinem Wege? Doch, jede Menge. Immer gab es auch Menschen, die mit mir konnten oder ich mit ihnen. Einige Lehrer sind bis heute in meinem Herzen, Mathematiklehrer, Chemielehrer, Physiker, Berufsschullehrer, Deutschlehrer, Lehrausbilderin, Meister, Kollegen. Manche Formel ist seither in meinem Gedächtnis. . Und natürlich die Lehrer an der Rabfak und dann die Hochschullehrer. Und natürlich meine eigene Familie.

Aber mehr noch die Freundinnen (und auch Freunde). An jede habe ich nur gute Erinnerungen. Mit und von jeder war etwas zu lernen für das Leben! Nur ich war noch nicht bindungswillig, obwohl fähig…und dann war da ja noch die Schülerschaft. Wir versichern uns bei Klassentreffen stets auf Neue, daß wir uns schon immer schätzten.
Aber nun habe ich alle meine Fachbücher den Biologiestudenten an der Leipziger Universität geschenkt, etliche Kartons. Nur die Bücher der Biologie, alles andere steht noch im Bücherschrank. So, als wenn da noch gar nichts fehlte. Jede Menge Belletristik ist ja geblieben, die soll mich nun auch auf dem Rest des holprigen Weges noch begleiten, denn damit fing es bei mir ja an!

Einige Konflikte hätte ich mir sicher ersparen können, wenn…
Mein Charakter war aber auf Krawall gepolt, also musste ich da durch. Wie sagt der Volksmund: „Fallen ist keine Schand` - aber liegenbleiben!“

Dieses wollte euch zur Kenntnis geben im Dezember 2020 Hartmut Jeromin, den die Coronaeinsamkeit zum Nachdenken über sich und die Welt bewegte!

PS.: Wer da was nachprüfen möchte wegen fake news: Über einige der genannten Vorgänge habe ich noch Unterlagen, außer dem Abgangszeugnis Klasse 8 aber keine Zeugnisse der Grundschulen mehr. Sonst wären Fehltage nachweisbar…ein Heft der Christenlehre enthält aber Fehlstunden über mehrere Jahre aus dieser Zeit. Aber wen könnte das nun noch interessieren? H.J.

Link: RABFAK
Quelle: Hartmut Jeromin