Graz, 2013 Foto: H.S.
14.11.2015 - von Günter Steffen
Die ab Januar 2015 geltenden Entgelte von der Pflegekasse wurden um durchschnittlich 4% angehoben. Gleichzeitig traten erhöhte
Beiträge in Kraft. Wenn die Beitragserhöhung davon abgezogen ist, bleibt eine lächerliche Entlastung übrig. Gegenwärtig sind im Pflegeheim rund 1.900 Euro monatliche Zuzahlungen (Pflegestufe III) zu leisten. Wenn z.B. Bedürftige (Stufe II) in der eigenen Häuslichkeit eine professionelle Pflege erhalten wollen, spielt
trotzdem die Gewinnmaximierung der Betriebe eine übergeordnete Rolle.
Auch nach der Reform 2016/17 sind Eigenzahlungen für wirklich nur
notwendige Einzelleistungen der Pflegebetriebe in hohen Beträgen fällig. Darauf wird noch einzugehen sein. Der Staat nimmt keinen Einfluss darauf, wie die Berechnungen der Pflege-Einzelleistungen in Euro zwischen den Funktionären (Pflegekassen/Landesverband Pflegebetriebe) zu Lasten der hilfsbedürftigen Menschen ausgehandelt werden. Die Fachpolitiker kennen ganz genau die Wirkungen, wenn das Sozialamt in Vorleistung zu gehen hat. Für
erwachsene Kinder ist es wegen der relativ niedrigen Zumutbarkeitsgrenzen im Bruttoverdienst schon eine ziemliche Belastung. Für pflegebedürftige Eltern aber der wirkliche Horror, solange das klare Denken und Fühlen sie nicht im Stich
lassen.
Koalitionsabsprachen vor Beginn der Gesetzesinitiative Ende 2014
Die Absprachen liefen darauf hinaus, dass die Beitragserhöhungen 2015/2017 für Leistungsverbesserungen der Betreuung, für den Ausbau des Pflegevorsorgefonds und für die Umsetzung des neuen Begriffs der Pflegebedürftigkeit eingesetzt werden. Hinzu kamen die Absichten, Qualifizierungsanhebungen für Pflegekräfte, Stellenverbesserungen und Besserbezahlungen umzusetzen.
Ich bin der festen Überzeugung, die Funktionäre der Pflegeverbände und die Pflege- (Kranken)-kassen haben sich letztlich im Gesetzeswerk durchgesetzt. Gesundheitspolitik findet
heute im Bestreben statt, den Selbstverwaltungen maßgebend für die Umsetzung auch in der Pflege freie Hand zu lassen.
Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff, neue Leistungen und erhöhte Beiträge ab 2017
Der Begriff der Pflegebedürftigkeit wird völlig neu definiert. Maßgeblich für das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit sind Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder Fähigkeitsstörungen in den folgenden Bereichen: Mobilität, kommunikative
Fähigkeiten, Verhaltensweisen und Psyche, Selbstversorgung, Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen sowie Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte. Neue Pflegegrade werden ab 2016 pflegefachlich in der Begutachtung ermittelt:
Pflegegrad 1: geringe Beeinträchtigung der Selbständigkeit
Pflegegrad 2: erhebliche Beeinträchtigung der Selbständigkeit
Pflegegrad 3: schwere Beeinträchtigung der Selbständigkeit
Pflegegrad 4: schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit
Pflegegrad 5: schwerste Beeinträchtigung mit besonderen Anforderungen in der Pflege
Diejenigen, die heute bereits eine Pflegestufe (bis 31.12.2016) haben oder erhalten, werden ohne erneute Antragstellung und ohne
erneute Begutachtung mit Wirkung vom 1.1.2017 einem Pflegegrad zugeordnet. Es gelten folgende Zuordnungsregelungen:
Pflegestufe ohne eingeschränkte Alltagskompetenz von Pflegestufe I in den Pflegegrad 2, von Pflegestufe II in den Pflegegrad 3, von Pflegestufe III in den Pflegegrad 4.
Pflegestufe mit eingeschränkter Alltagskompetenz ohne gleichzeitige Pflegestufe = Pflegegrad 2, Pflegestufe I = Pflegegrad 3, Pflegestufe II = Pflegegrad 4, Pflegestufe III ohne oder mit Härtefall=Pflegegrad 5
Erstattungen für ambulante Pflegesachleistungen
(Pflegeeinsatz von den Pflegebetrieben)
Pflegegrad 2 = 689 €
Pflegegrad 3 = 1.298 €
Pflegegrad 4 = 1.612 €
Pflegegrad 5 = 1.995 €
Pflegegeld für Übernahme der Pflege von
Angehörigen oder Privatpersonen
Pflegegrad 2 = 316 €
Pflegegrad 3 = 545 €
Pflegegrad 4 = 728 €
Pflegegrad 5 = 901 €
Erstattungen für eine Vollstätionäre Pflege
Pflegegrad 2 = 770 €
Pflegegrad 3 = 1.262 €
Pflegegrad 4 = 1.775 €
Pflegegrad 5 = 2.005 €
Auf die weiteren Regelungen von Tages- und Nachtpflege, Kurzzeitpflege und Leistungen zur sozialen Sicherung der Pflegepersonen wird hier nicht weiter eingegangen.
Beitrag nach dem Pflegeversicherungsgesetz für alle Arbeitnehmer, freiwillig Versicherte und Beamte: (also: 50% des gesetzlichen Beitrags.
Der Arbeitgeber leistet die übrigen 50% sowie für Beamte wegen Leistungsbegrenzung = 1,175%) Hälftelung ab 2015 = 1,175%
Hälftelung ab 2017 = 1,275% Kinderlose + 0,2%
Beitrag für Rentner (ohne Zuschuss vom Rentenversicherungsträger)
ab 2015 = 2,35%
ab 2017 = 2,55%
Gibt es wirklich im „Zweiten Pflegestärkungsgesetz“
nennenswerte Verbesserung für die
Pflegebedürftigen?
Zwei wirklich dominante Beispiele werden hier untersucht.
1. Wie ist die finanzielle Wirkung für Hilfsbedürftige, die in ihrer Häuslichkeit bleiben und zur alten Pflegestufe II gehörten. (Hilfsbedürftige der alten Pflegestufe III werden in der Regel in
den vollstationären Einrichtungen versorgt, weil der Pflegeaufwand organisatorisch und finanziell kaum
leistbar ist).
Ergebnis: Die zur Zeit gültigen Vergütungsregeregelungen für die Pflegesachleistung sind vertragliche Regelungen zwischen den Landesverbänden der Pflegekassen und den Verbänden der Ambulanten
Pflegebetriebe. Diese Einzelvergütungsberechnungen werden in der Regel jährlich ausgehandelt. Dabei spielen die finanziellen
Erstattungen nach den gesetzlichen Bestimmungen SGB XI keine Rolle.
Ergebnis auch ab 2017: Ein Mindestmaß an Einzelleistungen zur Versorgung eines Pflegebedürftigen in der eigenen Häuslichkeit (alt:
Pflegestufe II = neu Pflegegrad 3) kosten in der monatlichen Berechnung eines Betriebes rund 2.200 € Von der Pflegekasse stehen dann 1.298 € zu. Rund 900 € wird der Hilfsbedürftige (ohne
Miete, Nebenkosten, Verpflegung – die ja auch noch aufgebracht werden müssen) aus eigener Tasche zahlen. Eine Verbesserung aus der Pflegereform ist nicht zu erwarten.
2. Welche finanzielle Eigenbeteiligung hat ein Pflegebedürftiger bei Versorgung in einem Pflegeheim (alt Stufe 3=neu Pflegegrad 4) zu leisten?
Nach Auskunft des Deutschen Pflegerats fallen gegenwärtig (2015) folgende Kosten in einer Einrichtung der mittleren Qualität an:
Pflegekosten 2.170 € mtl. Unterkunft u. Verpflegung 610 € mtl.
Investitionszulage 320 € mtl. GESAMT 3.100 € mtl. ohne Berücksichtigung der erhöhten Pflegesätze 2016/2017.
Die finanzielle Leistung der Pflegekasse ab 2017 mit 1.775 Euro kann dann gegengerechnet werden. Eigenbeteiligung zwischen 1.350 Euro und 1.370 Euro monatlich bei Erhöhung der Pflegesätze. Falls der Personalschlüssel in den Pflegeheimen erhöht wird, werden noch höhere Eigenbeteiligungen fällig.
Fazit
Begrüßenswerte Neuregelungen sind die Erweiterungen in der Familien-Kurzzeitpflege und die neuen finanziellen Leistungen für Demenz- Kranke der Pflegestufe 0. Ob die Absicht des Gesetzgebers Wirklichkeit wird, die Bürokratie für Pflegekräfte abzubauen und pro Jahr 1 Milliarde Euro „auf die hohe Kante“ zu legen, bleibt fraglich.
Ebenfalls fraglich ist, ob die Mehrstellen in den Pflegeheimen durch Mehrbesetzungen schon bald realisiert werden können. Für zukünftige Pflegebedürftige ist jedenfalls planbar, dass die Grundsätze der neuen Reform wegen der Beitragserhöhungen in den nächsten Jahren umgesetzt und eingehalten werden können. Die an den beiden Beispielen beschriebenen Eigenbeteiligungen werden mit
Sicherheit in den nächsten Jahren eher höher als niedriger ausfallen.
Weitere Artikel, nach dem Datum ihres Erscheinens geordnet, zum Thema
Pflege:
08.10.2015: Beirat für Vereinbarkeit von Pflege + Beruf gegründet
04.09.2015: Heuschrecken im Pflegebereich
25.08.2015: Pflegestärkungsgesetze beseitigen Pflegenotstand NICHT!
Alle Artikel zum Thema
Pflege