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Unnatürlich, wenn in Betrieben nur Jüngere arbeiten

12.11.2004 - von ebbe

Minden (ebbe). Arbeit im Alter – ein Thema, mit dem sich auch das MT-Stadtgespräch Alt-Stadt: Heute die Lebenswelt von morgen planen“ beschäftigen wird.

Hanne Schweitzer vom Büro gegen Altersdiskriminierung sieht die aktuelle Situation kritisch.

Der Arbeitsmarkt wird insbesondere durch die demografische Entwicklung einer starken Veränderung unterliegen. Wie muss darauf reagiert werden?

Zuerst mal muss sich das Bewusstsein von Arbeitgebern und Arbeitnehmern dahingehend ändern, dass es normal ist, wenn 60- oder 70-Jährige noch arbeiten. Ich bin vor vier Wochen mit Delta, einer amerikanischen Fluggesellschaft, in die USA geflogen – und siehe da, alle Stewardessen an Bord waren zwischen 50 und 60 Jahren alt. Da kriegt man als Deutsche ja fast schon einen Schreck, so sehr ist man an 20-Jährige in den Fliegern gewöhnt.

Ihr Büro fordert ein Gesetz gegen Altersdiskriminierung wie es in Kanada schon eins seit 1954, in Amerika seit 1967, in Australien seit 1991, in Irland und Großbritannien seit 1998 und in Belgien seit 2002 gibt. Warum hat es bis jetzt in Deutschland nicht geklappt?

Die Bundesrepublik tut sich traditionell schwer, wenn es um die Gleichstellung ihrer Bürger und Bürgerinnen geht. Denken Sie zum Beispiel an die Frauen oder die Behinderten. Gleichen Lohn für gleiche Arbeit gibt es bis heute nicht. Und so behindertenfeindlich wie dieses Land gibt es im Westen kein zweites. Außerdem hat Dieter Hundt . . .

Der Präsident der Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände. . .

Ja, genau. Der hat nach einem ersten Entwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz im Jahr 2001 der Welt zu Protokoll gegeben: Die Wirtschaft würde stranguliert, wenn dieses Gesetz realisiert würde. Daraufhin verschwand der Entwurf in der Schublade und ward nie mehr gesehen.

Ab welchem Alter und wie werden Arbeitnehmer in Deutschland diskriminiert?

Altersdiskriminierung hat nichts mit der Höhe des Alters zu tun. Altersdiskriminierung ist jede Ungleichbehandlung aufgrund des Lebensalters. Davon sind schon 20- und 30-Jährige betroffen. Wir machen jedes Jahr zum 1. Mai eine Analyse der Altersangaben in den FAZ-Stellenanzeigen. Daraus geht hervor, dass die Altersgrenzen schon sehr früh beginnen.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Ein 29-Jähriger war jüngst zu alt für eine Stelle im zivilen Bereich der Bundeswehr. Mit 30 Jahren gelten Sie als zu alt, um beim WDR ein Volontariat zu machen. Natürlich nimmt die Diskriminierung mit höherem Lebensalter deutlich zu. Von den 106 Stellenangeboten mit Altersangaben in der FAZ vom 24. April 2004 bezogen nur fünf über 45-jährige Bewerber und Bewerberinnen ausdrücklich mit ein. Nur eine einzige bezog bis 60-Jährige ein. Wir sollen aber bekanntlich demnächst alle bis 67 arbeiten.

Sind das Gründe, warum Ältere auf der Suche nach Arbeit den Mut verlieren?

Ja, und es gibt noch weitere. Wer jenseits der 40 ist, wird in der Regel nicht mehr befördert und nicht mehr zur Weiterbildung geschickt. Auch beim Arbeitsamt eine Umschulung zu kriegen, wird dann sehr schwer. Die Bundesrepublik hängt, was die Zahlen älterer Erwerbstätiger betrifft, ganz hinten, am Ende der europaweiten Zahlen.

Was muss sich da konkret ändern?

Gerade ab 40 müssen die Leute zur Weiterbildung geschickt werden. Außerdem muss das Senioritätsprinzip bei der Entlohnung abgeschafft werden. Es kann nicht sein, dass jemand automatisch mehr Geld bekommt, bloß weil er oder sie zwei Jahre länger auf einem Sessel sitzt, als jemand anderes. Die Bezahlung nach Leistung und nicht nach Alter ist dringend angesagt, auch im öffentlichen Dienst. Das geht natürlich nicht holterdiepolter, die Besitzstände müssen gewahrt bleiben. Aber es muss bei den Berufseinsteigern damit begonnen werden.

Welche Vorteile hätten Unternehmen von älteren Arbeitnehmern?

Wer länger gelebt hat, hat meist bessere soziale Kompetenzen, ist zuverlässiger, nicht so leicht aus der Fassung zu bringen und feiert nicht so oft krank. Außerdem ist es unnatürlich, wenn in einem Unternehmen nur junge Leute arbeiten. So ist die Welt nun mal nicht. In den USA wurde 1987 der Zwangsruhestand abgeschafft. Seitdem kann jeder Bürger selbst bestimmen, wann er oder sie in Rente geht. Dadurch gibt es dort ganz selbstverständlich auch noch 80-Jährige, die ein paar Stunden in der Woche berufstätig sind. Das ist für die kommenden Rentnergenerationen von enormer Wichtigkeit.

Sie spielen auf die zukünftig geringeren Renten an?

Ja, wer nicht zu den Erben gehört, wird darauf angewiesen sein, im Rentenalter zu arbeiten, um das Überleben zu sichern. Wenn es dann dazu keine Möglichkeit gibt, werden wir eines Tages alle am Straßenrand sitzen und unsere Habseligkeiten verkaufen, so wie es in den Ostländern schon heute der Fall ist.

Gibt es Modelle, die Unternehmen einführen sollten, um Ältere ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten entsprechend zu integrieren?

Ich halte nicht viel von Paten-Programmen“ oder Ähnlichem. Ältere haben die gleichen Fähigkeiten und Möglichkeiten wie alle anderen auch. Kaum noch jemand arbeitet so schwer körperlich, dass die nachlassende Körperkraft einen gewissen Schonraum erfordern würde. Wenn ein Unternehmen altersgemischt ist, braucht es keine Paten zu geben, sondern die Alten lernen von den Jungen und umgekehrt. Wichtig ist aber, dass die Leute weitergebildet werden.

Stichwort: Lebenslanges Lernen . . .

Das wird überall in Sonntagsreden propagiert, es findet aber in den Betrieben nicht statt. Die Leute haben doch inzwischen sogar schon Angst, den ihnen zustehenden Bildungsurlaub tatsächlich zu nehmen.

Ist das der Grund, warum die Goldene Falte“ noch nicht an einen Betrieb für altersgerechte Arbeitsbedingungen vergeben wurde?

Ja. Unser erster Preisträger war zwar ein Unternehmen, eine Drogeriekette, allerdings wegen einer sehr lustigen und alle Altersgruppen einbeziehenden Werbung.


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Quelle: Mindener Tagblatt vom 12.11.2004

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