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Keine zentralisierte Sammlung + Speicherung von Patienten- und Arztgeheimnissen!

Foto: H.S.

03.03.2020 - von Wolfgang Wodarg

Beschlussvorlage für Patienten- und Ärzteorganisationen und andere auf dem Boden unseres Grundgesetzes Stehende.

Wir..................... kritisieren die Versuche des Bundesgesetzgebers, durch mehrere Gesetze die Sammlung und zentralisierte Speicherung von Patienten- bzw. Arztgeheimnissen zu legitimieren.

Ärztinnen und Ärzte werden durch mehrere kurz nacheinander vom Bundesgesundheitsminister eingebrachte Regelungen verpflichtet, ihre ärztliche Schweigepflicht zu mißachten.

Sie werden damit genötigt, gegen grundgesetzlich in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs.1 garantierte Persönlichkeitsrechte zu verstoßen und die ihnen anvertrauten, sehr persönlichen Daten dem privaten Missbrauch auszusetzten.

Deshalb fordern wir von allen Verantwortungsträgern in Parlamenten und Regierungen, sich unverzüglich für eine Normenkontrolle entsprechend der durch unsere Verfassung gegebenen Möglichkeiten einzusetzen.

Gesundheitsdaten im Internet sind nicht sicher, nicht rückholbar und können wirtschaftlich und politisch leicht missbraucht werden.

Hintergrund:

Ärzte und in Praxen und Kliniken Beschäftigte im Gesundheitswesen haben gelernt, die Geheimnisse ihrer Patientinnen und Patienten zu schützen. Nur deswegen können sich diese zurecht anvertrauen. Wer seine Schweigepflicht bricht, kann sogar strafrechtlich belangt werden, denn wer Hilfe in Anspruch nimmt, braucht den besonderen Schutz seiner Privatsphäre. Aus dem Bundesgesundheitsministerium kommen in den letzten Jahren in rascher Folge Gesetze zur Abstimmung, die erzwingen, dass Arzt- und Patientengeheimnisse über die Gematik weiteren Institutionen mit privaten Primärinteressen und den durch Wettbewerb mit Sekundärinteressen belasteten Krankenkassen anvertraut werden müssen.

Beispielhaft für derart legitimiertes Sammeln von Arzt- bzw. Patientengeheimnissen seien genannt:
• Einsatz von Apps zum Sammeln von Versichertendaten auf Kassenkosten (DVG)

• elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (TSVG)

• Elektronisches Rezept (GSAV)

• elektronische Heil- und Hilfsmittelverordnung (DVG)

• Vollständige individuelle Krankheitsdaten für den Morbi-RSA (GKV-FKG)

• Elektronische Patientenakte (DVG+ PDSG)

• Zugriff auf Krankenakten möglicher Organspender (GZSO)

• Patientendaten bei Implantat-Anwendungen (EIRD)

• zentralisierte Impfdatensammlung (§13, Abs. 5, IFSG ab 1.3.2020)

Die Schlagwörter „Digitalisierung“ und „technischer Fortschritt“ werden benutzt, um einen möglichst schnellen Zugriff auf Arzt- und Patientengeheimnisse zu legitimieren. Dieses geschieht, obwohl uns immer wieder vor Augen geführt wurde, wie lückenhaft der Datenschutz ist. Auch steht fest, dass eine nachhaltige Pseudo- oder Anonymisierung bei zentralisierter Datenhaltung unmöglich ist. (z.B. ESV Prof. Dr. Dominique Schröder bei der Anhörung zum DSV, Protokoll S. 17 und Vorträge beim letzten CCC-Kongress)

Es sind aber nicht nur die inzwischen bekannte Unsicherheit der derzeit verwendeten Technologien und das bestehende Chaos von Verantwortlichkeiten, welche das In-Kraft-Setzen dieser Gesetze unverantwortbar machen.

Vielmehr fehlt auch jeder gesundheitsrelevante Nutzen-Nachweis. Die Diskussion beim IQWIG und Veröffentlichungen aus den Reihen der wissenschaftlichen Vertreter evidenzbasierter Medizin geben hierfür überzeugende Belege (z.B. G. Antes, Deutsche Cochrane). Ein großer Nutzen wird lediglich immer wieder von vielen primär wirtschaftlich motivierten Organisationen und den ihnen verbundenen Autoren vorgetragen.

Der Zweck dieser Zugriffe auf persönliche Daten und der mögliche Nutzen für die Betroffenen werden durchgehend nicht konkret, sondern nur sehr allgemein dargestellt. Als potenzielle Datennutzer werden im DVG-Gesetzentwurf zum Beispiel Behörden, Einrichtungen der Selbstverwaltung, Forschungseinrichtungen oder Universitätskliniken genannt. Dass die Industrie keinen Zugriff habe, ist eine verharmlosende Behauptung, sind doch viele Forschungsvorhaben im Gesundheitsbereich industriefinanziert oder werden dort ausgewertet. Dabei wird aus dem erklärten Datenhunger großer Unternehmen mit ihren vielfältigen und gigantischen Technologien zur Datenanalyse bei Kongressen, Insider- Zusammenkünften und Fachveröffentlichungen dort kein Hehl gemacht.

Zudem wurden unkritische Teile der Ärzteschaft, wie auch die gesetzlichen Krankenkassen mit Vorteilen für deren Privat- bzw. Wettbewerbsinteressen geködert.

Krankenkassen verwerten ihre vielfältigen Daten bereits jetzt, um ihre wirtschaftliche Position im Kassenwettbewerb zu optimieren. Big Data würden vielen Krankenversicherungen z.B. zur Risiko-Stratifizierung und für noch gezieltere Positionierung auf dem „Versicherungsmarkt“ nutzen können. Das bedeutet Rosinenpicken, Diskriminierung „schlechter“ Risiken und fördert die Spaltung unserer Gesellschaft.

Durch den wenig transparenten Vertragswettbewerb der Kassen mit Pharmaunternehmen und Leistungserbringern ergeben sich weitere, für eine bedarfsgerechte Versorgung nachteilige Absprachemöglichkeiten zulasten von bestimmten Patientenpopulationen und zulasten des Gemeinwohls.

Die hierdurch bestehenden Risiken für den Schutz der Persönlichkeit (Art. 2 GG) und damit auch für neue Angriffe auf die Menschenwürde sind offensichtlich. Angesichts der bisherigen streng an der Verfassung ausgerichteten Praxis im Datenschutzrecht ist diese Gesetzgebung ein grundrechtlicher Erdrutsch.

Außerdem muss angesichts dieser aufeinander abgestimmten und von Lobbyisten medial verharmlosten Zugriffe nach Interessenkonflikten bei deren Initiatoren gefragt werden dürfen.

Der amtierende Bundesgesundheitsminister, der schon als MdB im Gesundheitsausschuss Anteile an einem auf die Gesundheitswirtschaft spezialisierten Lobby-Unternehmen besaß, hat sich im TSVG bereits die Macht über die technische Ausgestaltung der digitalen „Datenautobahn“ durch seine Stimmenmehrheit in der Gematik gesichert. Er hat sodann mit Herrn Leyck-Dieken einen ehemaligen Top-Manager der Pharmaindustrie dort zum Chef berufen.

Dieser hat als eine seiner ersten Amtshandlungen der skeptischen Ärzteschaft per offiziellem Schreiben mitgeteilt, dass diese weder zivilrechtliche noch strafrechtliche Konsequenzen zu befürchten hätten, wenn sie sich an die besagten neuen Gesetze halten würden. Zur Erinnerung: Auch die Ärzte, welche früher in Deutschland die Diagnosen ihrer psychisch kranken Patienten meldeten, handelten gesetzeskonform!

Die rasch aufeinander folgenden, vielfältigen und technisch-fachlich komplexen gesetzgeberische Zugriffe auf unsere Persönlichkeitsrechte haben große Teile der Öffentlichkeit, der Ärzteschaft und der Opposition offensichtlich überfordert.

In der wachsamen Ärzteschaft, in Patientenorganisationen und bei verantwortungsbewussten Datenschützern wächst der Widerstand gegen diese Übergriffe auf Persönlichkeitsrechte.

Quelle: https://www.wodarg.com/