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Steuerprivilegien der Bundestagsabgeordneten

11.09.2005 - von Diplom-Finanzwirt Dr. Michael Balke / Dortmund, Richter im 7. Senat des FG Niedersachen/Hannover

Die Damen und Herren Gesetzgeber, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, kassieren derzeit pro Kopf und Jahr insgesamt 127.176 €, davon einkommensteuerpflichtige Bezüge 84.108 € und weitere 43.068 €, also mehr als ein Drittel ihrer Abgeordnetenbezüge, steuerfrei

(vgl. § 3 Nr. 12 EStG i.V. mit dem Abgeordnetengesetz sowie www.bundestag.de unter „Abgeordnete/Diäten“).

Laut homepage des Bundestages erhalten die Abgeordneten zusätzlich die Netzkarte der Deutschen Bahn AG (1. Klasse) gestellt, für die normalerweise über 5.000 € pro Jahr zu zahlen sind.

Auch weitere Reisekosten (mit dem Schlafwagen, mit dem Flugzeug) werden gegen Nachweis erstattet.

Daneben stehen dem Abgeordneten weitere 10.660 € monatlich zur Bezahlung seiner Mitarbeiter durch die Bundestagsverwaltung zur Verfügung.

Die Existenz der steuerfreien Kostenpauschale in Höhe von 43.068 € wird auf der homepage des Deutschen Bundestages wie folgt begründet:

„Was sein muß, muß sein. Zum Beispiel eine Zweitwohnung in Berlin. Zum Beispiel ein leistungsfähiges Büro im Wahlkreis. Zum Beispiel ein Auto, um in ländlichen Stimmbezirken überhaupt 'vor Ort' sein zu können. Und hier eine Spende für soziale Belange, dort eine Spende für Vereine und Verbände, da ein Pokal für das örtliche Fußballturnier ... und nicht zuletzt erhebliche Zuwendungen für Veranstaltungen und Aktionen der heimischen 'Basis', die von 'ihrem' Abgeordneten ganz selbstverständlich erwartet, daß er mit gutem Beispiel vorangeht.

Weil ein 'MdB' auch im Wahlkreis keinen Arbeitgeber hat (der ein Büro stellt, Reisekosten abdeckt und Kilometergeld bezahlt), und weil eine Einzelabrechnung aufwendiger wäre, gibt es die Kostenpauschale. Sie beträgt zur Zeit 3.589 € monatlich und wird zum 1. Januar eines jeden Jahres entsprechend der Entwicklung der Lebenshaltungskosten angehoben. In vielen Fällen reicht die Pauschale nicht aus.
Höhere Ausgaben werden jedoch nicht erstattet, und sie können auch nicht steuerlich abgesetzt werden; denn für den Abgeordneten gibt es keine ‘Werbungskosten‘.“


Zu den Diäten allgemein heißt es: „Die Diäten sind nachweislich hinter der allgemeinen Einkommensentwicklung zurück geblieben. Zur Zeit betragen sie 7.009 € monatlich (brutto). Der Abstand zum Orientierungsmaßstab (gemeint sind etwa die Einnahmen eines Bundesrichters mit der Besoldungsgruppe R6 – der Autor) beträgt inzwischen annähernd
950 €.“


Die Aussage des Bundestages, ein MdB beziehe weniger als ein Bundesrichter, ist nachweislich falsch: Denn der Bundesrichter (R6) erhält trotz aller denkbaren Gehaltszuschläge weit weniger als 127.176 € im Jahr. Zudem muß der Bundesrichter, genau wie etwa jeder Facharbeiter, wie jeder Bäckermeister, wie jeder Arzt und wie jeder Journalist, sämtliche berufsbedingten Kosten beim Finanzamt nachweisen (die winzige Werbungskostenpauschale für Arbeitnehmer von jährlich 920 €, ab 1.1.2004 gekürzt – vorher 1.044 € - kann hier vernachlässigt werden).

Neben der Darlegungs- und Beweislast unterliegt jeder Nicht-Abgeordnete zudem gewissen
Kappungsgrenzen bei den abzugsfähigen Aufwendungen, etwa bei den berufsbedingten Reisekosten, bei den Arbeitszimmerkosten, lange Zeit auch bei der doppelten Haushalts- führung sowie bei den Spenden für gemeinnützige Zwecke;

Repräsentationsaufwendungen sind beim normalen Volk trotz eines beruflichen Bezugs gänzlich nicht abzugsfähig.

Daß die Pauschale „in vielen Fällen“ nicht ausreichen soll, wirkt, mit Blick auf die zusätzlichen Kostenübernahmen, wie eine Schutzbehauptung.

Fakt ist, daß Steuerbürger, die die steuerfreie Kostenpauschale nicht beziehen, einkommensteuerrechtlich mindestens insoweit diskriminiert werden, wie ihnen ohne Nachweis nur geringere Abzugsbeträge zuerkannt werden.

Es kann verfassungsrechtlich nicht richtig sein, daß die Abgeordneten die einzigen Steuerpflichtigen sein sollen, die ihre Berufsausgaben nicht nachweisen müssen. Es gibt keinen sachlichen Grund für eine solche Privilegierung der Volksvertreter.

Die Privilegierung der Vertreter des Volkes ist die Diskriminierung des Volkes.

Auch der als Steuerreformer aufgetretene MdB Friedrich Merz zählte ausdrücklich in der Begründung seiner „Zehn Leitsätze für eine radikale Vereinfachung und eine grundlegende Reform des deutschen Einkommensteuersystems“ vom 3.11.2003 „steuerfreie Abgeordnetenbezüge“ zu den Steuervergünstigungen, die abgebaut werden sollen, um (u.a.) zur „Gleichmäßigkeit der Besteuerung“ zurückzukehren.

Daß die sog. Kostenpauschalen in Wirklichkeit zu einem großen Teil verschleiertes (steuerfreies) Einkommen der MdB darstellen, zeigt auch der Umstand, daß die Zivilgerichte in Unterhaltsstreitigkeiten bei der Bestimmung des „unterhaltspflichtigen Einkommens“ des Abgeordneten erhebliche Anteile der Kostenpauschalen (im Schätzungswege) hinzurechnen. Ob die nachfolgend skizzierten Rechtfertigungsversuche verschiedener MdB überzeugen, eher hilflos wirken oder schlicht unverschämt sind, mag der Leser selbst beurteilen.
Auch das enorme Ausmaß der Abgeordneten-Privilegierung wird nicht von allen Begünstigten verstanden:

So schrieb MdB Michael Kauch (FDP) am 17.11.2003 in den Ruhr Nachrichten (Dortmunder Zeitung)unter der Überschrift 'Nur die halbe Wahrheit':

„Es ist eben nur die halbe Wahrheit, das 'normale Arbeitnehmer‘ lediglich 1.044 € ohne Beleg von der Steuer absetzen können, während die steuerfreie Kostenpauschale bei Abgeordneten jährlich 42.036 € beträgt (gemeint ist das Jahr 2003 – der Autor).
Der zweite Teil der Wahrheit: Abgeordnete können im Gegensatz zu jedem Arbeitnehmer nichts mehr von der Steuer absetzen – auch wenn man durch Belege höhere Kosten nachweisen kann als besagte 42.036 €.

Ich selbst habe seit Eintritt in den Bundestag Mitte Juni 2003 bis Ende Oktober eine Kostenpauschale über 15.748 € erhalten. Dem gegenüber stehen Kosten von ca. 16.450 €. In diesem Jahr würde ich mich durch Abrechnung nach Belegen besser stehen als bei der angeprangerten Regelung“.

Richtig und selbstverständlich ist, daß Abgeordnete, die steuerfreie Kostenpauschalen zur Abgeltung des durch das Mandat veranlaßten Aufwendungen erhalten, die durch das Mandat veranlaßten Aufwendungen nicht als Werbungskosten abziehen dürfen (vgl. § 22 Nr. 4 Satz 2 EStG). Dies entspricht im Kern dem für alle Steuerbürger geltenden Besteuerungsgrundsatz, wonach Ausgaben, soweit sie mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen
werden dürfen (vgl. § 3c Abs. 1 EStG).

Falsch ist, daß sich der Abgeordnete Kauch deshalb schlechter steht, wie er es den Bürgern glauben machen will. Denn der Nicht-Abgeordnete, der Berufsausgaben in Höhe von
16.450 € im Jahr aus eigenen Mitteln aufbringt (und nachweisen muß) sowie einem Grenzsteuersatz von 40% unterliegt, erfährt eine Steuerermäßigung von 6.580 €.

MdB Kauch erhält – wie er selbst ausführt – bei Berufsausgaben in Höhe von 16.450 € immerhin 15.748 € steuerfrei aus der Staatskasse ersetzt, also weit mehr als das Doppelte von dem, was der Steuer-Vollzahler als Steuerermäßigung (6.580 €) bekommt.

Um es noch deutlicher zu machen:
Ein Nicht-Abgeordneter müßte bei einem Spitzensteuersatz von 42% 102.544 € als Werbungskosten oder Betriebsausgaben ausgeben und geltend machen, um eine Steuerermäßigung in Höhe der jährlichen Abgeordnetenpauschale von 43.068 € zu bekommen. Doch dann wäre er nicht etwa reicher, sondern um 59.476 € ärmer geworden.


Das ist nicht die halbe, sondern die volle Wahrheit!

Auch MdB Rita Pawelski (CDU) verwies darauf, daß sie über die Pauschale hinaus nichts weiter absetzen könne:

„Bei den hohen Kosten für Zweitwohnungen, Fahrten, Besuchergruppen oder auch Mitgliedschaften in Vereinen legt mancher noch drauf“ (Neue Presse Hannover v. 29.5.2004). In dem selben Artikel führte MdB Caren Marks (SPD) an, daß das Steuerprivileg eingeführt worden sei, „um den extremen bürokratischen Aufwand der Belegabrechnungen zu umgehen. Da bei den Ausgaben der Abgeordneten, anders als bei anderen Berufsgruppen, ein relativ genauer Mittelwert bekannt war, hat sich eine Pauschale angeboten“. Daß Abgeordnete trotz der exorbitant hohen Kostenpauschale, trotz weiterer Kostenerstattungen, angeblich „noch drauf legen“, ist nicht nachvollziehbar.

Im übrigen: Es gibt viele Abgeordnete, etwa in Berlin, ohne Zweitwohnung. Es gibt viele Abgeordnete, die kaum Wahlkreisarbeit leisten.
Es gibt keinen „Mittelwert", es gibt Unterschiede.

Die Ruhr Nachrichten (Dortmunder Zeitung) veröffentlichte am 4.8.2004 die Ergebnisse einer Befragung bei Bundestags-Abgeordneten aus der Region … MdB Erich G. Fritz (CDU):
„Die Diskussion flammt immer wieder mal auf. Ich habe ausgerechnet, daß ich wohl plus/minus Null mit meiner Pauschale auskomme. Wenn das Thema abschließend
geklärt ist, bin ich froh.“ … MdB Markus Kurth (Bündnis 90/Die Grünen):

„Ich halte Balkes Ansinnen für ausgesprochenen Blödsinn. Will man vernünftige Politiker, die auch in einem anderen Beruf erfolgreich sein könnten, muß man ihnen eine vernünftige Ausstattung geben. Zwischen den Bundestags-Abgeordneten und denjenigen, die sie kontrollieren sollen, besteht schon jetzt kein gleiches Kräfteverhältnis. Hinter den Ministerien steht doch ein riesiger Apparat. Streicht man den Abgeordneten noch ihre steuerfreie Kostenpauschale, sieht das Verhältnis noch schlechter aus. Und es würde nur noch mehr Bürokratie geben, wenn jeder Abgeordnete seine Belege einzeln abrechnen müßte.“

MdB Michael Kauch (FDP):
„Himmelschreiende Ungerechtigkeiten sehe ich eher in der Altersversorgung, bei der es zum Teil eine Überversorgung der Abgeordneten gibt. Ich habe grundsätzlich nix dagegen, wenn man die Kostenpauschale überprüft. Denn ob das jetzige Verfahren das optimale ist, kann ich nicht beurteilen. Daher soll man ohne große Aufregung ergebnisoffen die verschiedenen Alternativen prüfen.“

MdB Marco Bülow (SPD):
„Der Vorstoß von Dr. Michael Balke ist sein gutes Recht. Allerdings ist die Alternative, daß die Abgeordneten alles einzeln abrechnen müssen. Die Zeit dafür geht dann von der politischen Arbeit ab. Es gibt eher Ungerechtigkeiten mit der Pauschale zwischen den einzelnen Abgeordneten. Hat jemand einen sehr großen Wahlkreis und muß sogar zwei Büros unterhalten, wird seine Pauschale stärker strapaziert (!) als bei jemandem, der nur ein Büro hat. Auch zwei Wohnsitze oder Unterschiede in der Reisetätigkeit führen zu Ungleichheiten.“

Verschiedene Leser reagierten am 10. und 17.8.2004 in den Ruhr Nachrichten (Dortmunder Zeitung), so schrieb Steuerberater Werner Schalk von „Selbstbedienung und Selbstprivilegierung durch Politiker“, von „unglaublicher Arroganz“ und „das verstehen also ein Grüner und ein Abgeordneter der SPD unter Gleichheit vor dem Gesetz.

Alle normalen Bürger müssen beim Finanzamt jeden kleinen Beleg abrechnen, die herrschende Schicht von Berufspolitikern kann das für sich als lästige Bürokratie abtun und schlicht einen Großteil ihrer Bezüge für steuerfrei erklären. Bei soviel Frechheit bleibt einem einfach die Spucke weg.“

Auch Dr. F. Leonhard Watz empörte sich: „Es ist schlicht und ergreifend unerträglich, inwieweit hier die Politiker offensichtlich überzeugt sind, daß sie sich, wenn nicht für bessere, so aber jedoch für wichtigere Menschen halten als die normalen Bürger“.

Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Alle befragten Volksvertreter aus der Region Dortmund haben verloren. Unterschiede bestehen allein in der Nachhaltigkeit des Verlustes ihrer Bodenhaftung.

MdB Dieter Wiefelspütz (SPD) führte gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa) Folgendes aus (vgl. www.n-tv.de, Meldung vom 8.10.2004 sowie viele Tageszeitungen in ganz Deutschland, etwa die Westdeutsche Zeitung vom 9.10.2004):

„Eine Pauschale birgt immer eine gewisse Ungerechtigkeit, aber das müssen wir in Kauf nehmen. Dafür ist die Regelung einfach und durchsichtig. Sie dient auch dazu, die Abgeordneten zu schützen. Ich möchte nicht von einem Oberinspektor der Bundesverwaltung kontrolliert werden. Die Pauschale ist verfassungskonform, die dagegen gerichtete Klage
völlig chancenlos.“


Daß Herr Wiefelspütz nicht weiß, daß das für den Steuerbürger zuständige Finanzamt zur
Landesfinanzverwaltung gehört, mag man ihm noch verzeihen, nicht aber, daß er sich über das Volk erhebt, sich als Mini-Sonnenkönig aufführt. Herr Wiefelspütz zeigte sich auch in verschiedenen Streitgesprächen mit mir vor den Kameras von SAT.1 (Sendungen „17.30 live“ am 9.12.2004 und am 2.3.2005) wenig einsichtig.

Sein Versprechen aus der Sendung vom 9.12.2004, mir in seinem Wahlkreisbüro in Lünen nachzuweisen, daß er die Kostenpauschale in volle Höhe mandatsbedingt verbrauche, erfüllte er in der Sendung vom 2.3.2005 aus dem Büro „SPD Lünen“ nicht. Er hat viel geredet, aber nicht einen Beleg vorgelegt.

MdB Christine Scheel (Bündnis 90/Die Grünen) wird vom steuertip (Ausgabe vom 13.10.2004) folgendermaßen zitiert:
„Solch eine Ungleichbehandlung ist den Bürgern nur schwer zu vermitteln. Ich setze mich dafür ein, daß das Steuerrecht insgesamt vereinfacht wird. Das erfordert großzügige Pauschalen einheitlich für alle Steuerpflichtigen.“

Die Berufsausgaben der Steuerbürger sind zum Teil unterschiedlich hoch, folglich nicht vergleichbar. Einheitliche, großzügige Pauschalen – wie von Frau Scheel gefordert – würden mit dem verfassungsrechtlich abgesicherten objektiven Nettoprinzip, damit mit dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG, kollidieren.

Die Bild am Sonntag (BamS) vom 16.1.2005 „Bundestag: Neue Raffke - Affäre“ hatte recherchiert, daß einige Bundestags-Abgeordnete die steuerfreie Kostenpauschale auch dann ohne erkennbar schlechtes Gewissen kassieren, wenn sie kein eigenes Wahlkreisbüro unterhalten.

MdB Wolfgang Bötsch (CSU), von BamS befragt, verweigerte eine Stellungnahme: „Ich bin nicht auskunftspflichtig“.
MdB Jürgen Koppelin (FDP) erklärte gegenüber BamS:
„Ich habe ein voll eingerichtetes Büro zu Hause. Die Pauschale geht im Wesentlichen für Benzinkosten drauf. Ich muß das ganze Land bereisen und stehe oft an der Tankstelle.“

MdB Guido Westerwelle (FDP) ließ durch einen Sprecher mitteilen, daß er seine Pauschale zum Beispiel für das Porto seiner Abgeordnetenpost verwende (vgl. auch BILD Hannover vom 28.2.2005).

Die BamS teilte noch mit, manche MdB räumten hinter vorgehaltener Hand ein, daß viele Abgeordnete die steuerfreie Pauschale nur zum Teil für Kosten verbrauchen und den Rest als Zusatzeinkommen einstecken.

Auf den Artikel der BamS vom 16.1.2005 reagierte der Bundestag nur mit dem Hinweis auf
§ 12 Abs. 2 AbgG und der Erklärung, die dortige Aufzählung sei „eine Nennung von Möglichkeiten des Einsatzes der Kostenpauschale“.(www.bundestag.de/bic/presse/2005)

Ein Großteil der Sendung stern TV (RTL) vom 26.1.2005 – moderiert von Günther Jauch – befaßte sich mit der steuerfreien Kostenpauschale der Abgeordneten. Verschiedene MdB kamen bzw. sollten zu Wort kommen. ...

MdB Franz Müntefering (SPD):
„Die Abgeordneten haben bestimmte Kosten, die sehr unterschiedlich sind, je nachdem wie die Wahlkreise sind, je nach Situation, in der sie sich bewegen. Bevor wir da mit einer großen Zettelwirtschaft beginnen, finde ich, daß das eine vernünftige, gerechtfertigte, unbürokratische Regelung ist.“

MdB Krista Sager (Bündnis 90/Die Grünen):
„Ich glaube wirklich, daß es in einem größeren Interesse der Bürgerinnen und Bürger ist, wenn die Abgeordneten sich auf die Wahrnehmung des Mandats konzentrieren und sich nicht in erster Linie darauf konzentrieren, wie sie möglichst am geschicktesten Zettel sammeln.“ ..

MdB Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) verweigerte vor laufender Kamera eine Antwort und entfernte sich eilig. Nach Anfragen verweigerten noch weitere MdB Interviews mit stern TV: … Wolfgang Thierse (SPD), Hans Eichel (SPD), Guido Westerwelle (FDP), Angela Merkel (CDU), Wolfgang Bötsch (CSU), Rainer Eppelmann (SPD), Wolfgang Gerhardt (FDP), Wolfgang Schmidt (SPD), Joachim Poss (SPD), Katrin Göring-Eckardt
(Bündnis 90/Die Grünen).

Und last, but not least gab auch Friedrich Merz (CDU) kein Interview, ein MdB, der noch im Jahr 2003 so forsch für die Abschaffung des Abgeordneten-Privilegs geworben hatte.

Solange die MdB unter Verletzung der Goldenen Regel („Was du nicht willst, daß man dir tu‘, das füg‘ auch keinem anderen zu“) und unter Mißachtung des kategorischen Imperativs von Immanuel Kant („Handle nach einer Maxime, welche zugleich als ein allgemeines Gesetz gelten kann“, dazu näher Tipke, Steuergerechtigkeit, Köln 1981, S. 26 f.), sich selbst Steuerfreiheiten in dem genannten Umfang ohne Nachweis der tatsächlichen Kosten verordnen, müssen alle anderen Steuerbürger die steuerlichen Vorteile ebenfalls in Anspruch nehmen dürfen, damit das Gleichbehandlungsgebot unserer Verfassung (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht verletzt wird.

Dies ist kein unzulässiges Verlangen nach Gleichheit im Unrecht, sondern das Begehren nach Tilgung eines verfassungswidrigen Begünstigungsausschlusses und damit die Forderung nach Herstellen des gleichen Rechts für alle.

Konkret folgt daraus, daß allen erwerbstätigen Bürgern ein Drittel der jeweiligen Gesamtbezüge einkommensteuerfrei zu stellen sind.

Entsprechend habe ich, gemeinsam mit meiner Ehefrau, Dr. med. Sabine Hartmann beim Finanzamt Dortmund-Ost unseren Einkommensteuerbescheid angefochten und nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage beim FG Münster erhoben (Az. 10 K 2114/04 E; abgedruckt in ZSteu 2004, S. 38 ff. und als Beilage zum steuertip 27/04 vom 3.7.2004).

Unsere Klage stützt sich auf ein Rechtsgutachten von Professor Dr. Dieter Birk, Direktor des Instituts für Steuerrecht der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster (erstattet im Auftrag der Zeitschrift Capital, des Bundes der Steuerzahler und des Deutschen
Mittelstandsbundes), auf die Münsteraner Dissertation von Dr. Reimer Stalbold (Die steuerfreie Kostenpauschale der Abgeordneten, Berlin 2004), auf die Schriften von Professor Dr. Hans Herbert von Arnim sowie auf die Erkenntnisse von Dr. Sigrid Fröhlich (Journalistin der Zeitschrift Capital), die einen Großteil des Widerstandes gegen das Abgeordneten-Privileg bereits in den 90er Jahren organisierte.

Bereits mit der Klageerhebung haben wir angeregt, daß der zuständige Senat des FG Münster auf direktem Weg eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholt und zu diesem Zweck einen Aussetzungs- und Vorlagebeschluß nach Art. 100 Abs. 1 GG i.V. mit § 80 BVerfGG faßt. Dies wäre im Sinne des nach der Verfassung garantierten effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG).

Selbst wenn es den Normalsterblichen nicht gestattet werden sollte, ein Drittel ihres Einkommens steuerfrei zu beziehen, könnte das BVerfG den Gesetzgeber verpflichten, die Privilegien der MdB zu streichen. Damit wäre schon viel gewonnen.

Denn: Wenn deutsche Abgeordnete erst einmal, wie ihre österreichischen Kollegen, Belege sammeln müssen, werden sie merken, wie kompliziert und bürokratisch das deutsche Steuerrecht ist und sich endlich um eine wirkliche Vereinfachung bemühen, die „Bierdeckel“-Steuererklärung nicht nur für sich, sondern für das ganze Volk schaffen.

Auch der Rechtsanwalt und Steuerberater Christian Winterhalter aus Heitersheim ist, gemeinsam mit seiner Ehefrau, mit einem vergleichbaren Vorstoß unterwegs. Die Winterhalters sind sogar schon beim BFH angekommen. Dort wurde unter dem Az. VI R 63/04 durch den BFH die Revision (nachträglich) zugelassen.

Wohl wegen dieser Revisionszulassung, wegen eines zweiten Revisionsverfahrens (VI R 81/ 04) und wegen der tausendfach eingelegten Einsprüche aufgrund der Aufklärung in den Medien (u.a. immer wieder durch SAT.1, RTL und den steuertip) hatte das BMF ein Einsehen und ordnete mit dem Schreiben vom 13.4.2005 (Az. IV A 7 - S 0338 - 27/05) an, daß die neuen Einkommensteuerbescheide nur noch vorläufig im Sinne des § 165 AO ergehen.

Nach den hier skizzierten MdB-Einlassungen ist nicht zu erwarten, daß der Gesetzgeber es vielleicht doch aus eigenem Antrieb schaffen wird, endlich die Selbstbegünstigung aufzugeben.

Immerhin war vor wenigen Tagen in einer TV-Sendung von MdB Christine Scheel (Bündnis/Die Grünen) und von MdB Hermann Otto Solms (FDP) auf eine überraschende Zuschauerfrage aus dem Studio zu vernehmen, daß der allgemein geplante
Steuerprivilegienabbau auch die Abgeordneten treffen soll (WISO vom 29.8.2005 in der ARD). Hört! H
ört!

Wenn die Abschaffung der Abgeordneten-Privilegierung allerdings nur unter Verdoppelung der Diäten geschehen soll (so wie im Frühjahr 2005 im Landtag NRW), dann wäre dies der falsche Weg, weil der Orientierungsmaßstab „Bezüge des Bundesrichters R6“ dann noch deutlicher verfehlt würde.

Verehrte MdB, streichen Sie unverzüglich die Steuerfreiheit Ihrer Pauschalbezüge! Es sollte für Sie eine rechtsstaatliche, demokratische und moralische Selbstverständlichkeit sein, zuvorderst die eigenen Privilegien abzuschaffen, bevor Sie die anderen beseitigen wollen!

Ich bitte Sie, liebe Leser: Sprechen Sie mit ihrem MdB, schreiben Sie Ihrem Abgeordneten. Setzen Sie die Damen und Herren Gesetzgeber unter Argumentationsdruck.
Sorgen Sie mit dafür, daß in Bälde die steuerliche Privilegierung der Volksvertreter, mithin die Diskriminierung des Volkes, der Vergangenheit angehören...

Quelle: Düsseldorf, 08-09-2005 XV. Jahrgang Beilage Nr. 19/05

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