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Dringende Erklärung des Vietkong zum Massaker von My Lay

Foto: H.S.

20.03.2018 - von Hanne Schweitzer

Dass es die Frankfurter waren, mit denen ich von Hội An nach My Lai gefahren bin, war Zufall. Es hätten auch Australier, Franzosen, Belgier, Amerikaner, Engländer oder Skandinavier sein können. Viele Alt-68iger reisten 2007 auf eigene Faust durch Vietnam. Trotz unterschiedlicher Pässe gab es einiges, das wir geteilt hatten und worüber wir uns austauschen konnten: diese untergründige Dünung. Tränen des Zorns und der Verzweiflung hatten wir geweint, über diesen Krieg zwischen David und Goliath. Das Russell Tribunal war uns so geläufig wie die rote Fahne mit dem großen fünfzackigen gelben Stern, wie das Skandieren von Hồ -Hồ -Hồ Chí Minh auf den Demonstrationen. Hồ Chí Minh wollte die Herrschaft der multinationalen Konzerne in Vietnam nicht akzeptieren, lehnte das Anmaßende des "ihr habt so zu ticken, wie wir das wollen" ab. Wir waren wütend über die kriecherische Außenpolitik unserer homelands und verzweifelt über den US-Einsatz des chemischen Entlaubungsmittels Agent Organge. Nichts davon hatten wir vergessen. Nun wollten wir das Land kennenlernen, dessen Bewohner damals, als wir noch an die Veränderbarkeit von Herrschaftsverhältnissen glaubten, den Kampf gegen die Franzosen und danach gegen die US-Agressoren gewagt und gewonnen hatten.

My Lai
Der kleine Weiler My Lai liegt 12 km nördlich von der Provinzhauptstadt Quảng Ngãi und in der Nähe des Trà Khúc- Deltas. Am 16. März 1968 überfielen US-Soldaten das Dorf. Sie fackelten Häuser ab, töteten alle Tiere und ermordeten 504 Vietnamesen, um "die Gegend vom Vietkong zu säubern." Da waren aber keine Vietkong, kein einziger.

My Lai ist heute eine Gedenkstätte. Rechts vom Weg ein Museum, links Bänke und Bäume in großen Kübeln mit Schildern, auf denen die Namen der Stifter stehen. Viele amerikanische Namen. Vor uns das große Denkmal im sozialistischen Stil. Stehende Frau mit hochgerecktem Arm und geballter Faust, in der Beuge des anderen Arms liegt ein totes Kind. Rechts vor ihr eine Frau, die einen Mann in ihren Armen hält. Links daneben ein Mann, der sich schützend über ein Kind beugt.

Dahinter das Dorf, umgeben von kleinen Reisfeldern. Bambus, Kokospalmen und Bananenstauden wiegen sich leicht im Wind. Die Feigenbäume haben erst wenige Blätter. Es ist Januar. Wo bis zum 16. März 1968 Häuser standen, sieht man jetzt - Fundamente. Davor messingfarbige Schilder mit vietnamesischer und englischer Aufschrift:

"Das Fundament des Hauses der Familie von Frau Thruong Thi Le hat das Massaker überstanden. Drei Mitglieder ihrer Familie wurden getötet.
Pham Tho Tho, 64 Jahre
Nguyen Thi Bi, 17 Jahre
Nguyen Thi Thu, 8 Jahre".

"Das Fundament des Hauses von Herrn Do Phungs Familie hat das Massaker überstanden. Einer aus seiner Familie wurde getötet.
Do Phung, 68 Jahre".

Vor einer auffällig kräftigen Pappelfeige steht auch ein Schild.
"Der Buddha-Baum der Familie des Herrn Doh Phis überstand das Massaker".
Kein Wunder, das sie viel stattlicher ist als die anderen.

Ein paar Schritte weiter begrenzen niedrige Reste von Außenmauern ein Fundament, auf dem verkohlte Stümpfe von Palmen stehen die, bevor sie niedergebrannt wurden, der Dachkonstruktion des Hauses den Halt gegeben haben. Im Boden die Abdrücke nackter Füße und der geriffelten Schuhsohlen von Soldatenstiefeln. Daneben liegt die Beton-Skulptur eines toten Wasserbüffels. Durch die Büsche dahinter, einen kräftigen Steinwurf entfernt, schimmert das südchinesische Meer.

"Das Fundament des Hauses der Familie Nguyen Sahn hat das Massaker überstanden. Zwei Mitglieder seiner Familienmitglieder wurden getötet.
Lee Thi Tuu, 70 Jahre
Truong Thi Dau, 45 Jahre".

Dazwischen mannshohe, mit Gras und Büschen bewachsene Hügel, unter denen sich selbstgebaute winzige Luftschutzbunker befinden.

"Das Fundament des Hauses der Familie von Herrn Pham Cong hat das Massaker überstanden. Vier seiner Familienmitgliedern wurden getötet.
Phang Hang, 65 Jahre
Le Thi Duoc, 36 Jahre
Pham San, 12 Jahre
Pham Thi Than, sechs Jahre".

Dann ein völlig intaktes kleines Haus, das spitzwinkelige, weit überstehende Dach ist mit Reisstroh gedeckt .

"Das Fundament des Hauses der Familie von Herrn Dho Phi wurde nach dem Massaker restauriert, nachdem es von US-Soldaten am 16.3.1968 niedergebrannt wórden war . Fünf seiner Familienmitglieder wurden getötet.
Do Thi Hiep, 57 Jahre
Nguyen Thi Tuong, 23 Jahre
Do Cu Bay, neun Jahre
Pham Cu, vier Jahre
Do Cu, ein Jahr".
Daneben die Beton-Skulpturen zweier Katzenbabys.

Das Museum
Eine helle Marmortreppe führt auf eine schwarze Marmorwand zu, darin sind die Namen der Getöteten des Massakers in weißer Schrift eingraviert . An der Wand im ersten Raum eine Foto-Ausstellung. Zu sehen ist der amerikanische Soldat Hugh Tompson, einmal in ziviler Kleidung, einmal in Uniform, einmal als er vor dem US-Gericht in Fort Benning gegen Leutnant Calley*, den befehlshabenden Offizier des "Einsatzes", seine Aussage macht. Unter den Fotos steht: "Hugh Tompson, der Hubschrauberpilot, der in dem furchtbaren Massaker tapfer einige Zivilisten rettete. Später ist er einer der Augenzeugen, der dazu beigetragen hat, das das Verbrechen der US-Soldaten in Son Mai (My Lai) an die Öffentlichkeit kam."

An der nächsten Wand Fotos des Massakers von Ronald Haeberle, Fotograf der US- Armee. Nicht weit davon entfernt das Bild eines US-Veteranen in Zivilkleidung. Er steht auf Krücken vor dem großen Denkmal. Man sieht ihn von hinten. Eins seiner Hosenbeine ist nach oben geschlagen. Er hat nur ein Bein.

Im nächsten Raum ein großes Ölgemälde. Zu sehen ist eine Demonstration gegen den Vietnamkrieg. Bis zum Horizont stehen die Demonstranten dicht an dicht. Bildunterschrift: "World People holding demonstration to protest against Johnson`s gouvernement for directing the aggressive war against Viet Nam". Uns wird ganz warm um´s Herz. Sie haben uns nicht vergessen!

Ein paar Schritte weiter in englischer Sprache:
Dringende Erklärung vom 20.3.1968 des Zentralvietnamesischen Volksbefreiungskomitees
Das Volksbefreiungs-Komitee von Zentralvietnam sendet seine traurige Anteilname an die Familien, die von US-Soldaten niedergemetzelt wurden und ruft das Volk dazu auf, seinen Schmerz in Handeln zu verwandeln und seine Energien beizusteuern, um gemeinsam mit dem ganzen Volk dazu beizutragen, den Feind auszulöschen.
Das Volk, normale Kerle und Soldaten, werden diesen Schmerz in ihrem Bewusstsein bewahren um rachsüchtigen Hass in Stärke zu verwandeln.
Weiter Angreifen, die US-Soldaten vernichten, die Verzagten und die Sklaven. Bekämpft die Verbrecher, überrascht den amerikanischen Aggressor mit tödlichen Schlägen.
Bestraft die verbrecherischen Soldaten, stürzt die verbrecherische Regierung, wir sind entschlossen, das Blut der Rebellen zu nutzen und die Landbewohner zu rächen, die für die Unabhängigkeit und einen Staat streiten.

* Calley wurde am 31. März 1971 zu lebenslanger Haft verurteilt. Präsident Nixon wandelte das Urteil schon am nächsten Tag in Hausarrest um. 1974 begnadigte er ihn auch davon.
Der Zwischenfall von Tonkin im August 1964 gilt als Beginn des Vietnamkriegs. Seit 1965 führten die USA einen systematischen Luftkrieg gegen Nordvietnam. Am 2. September 1969 starb Hồ Chí Minh. Am 30. April 1975 kapitulierte Südvietnam bedingungslos. 14 Millionen Tonnen US-Bomben waren auf Vietnam gefallen. Henry Kissinger, der wegen eines Waffenstillstands 1973 in Hanoi war, versprach Phạm Văn Đồng, damals Premierminister von Nordvietnam, in einem Memorandum 4.25 Milliarden US-Dollar als Wiederaufbauhilfe. Nixon kürzte den Betrag auf 3.25 Milliarden. Gezahlt wurde nicht ein einziger Cent.

Quelle: Büro gegen Altersdiskriminierung