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Mein Güstrow und Uwe Johnsons JAHRESTAGE

Uwe Johnson-Skulptur von Wieland Förster vor dem John-Brinckman-Gymnasium, Güstrow. Foto: H.S.

09.03.2018 - von Hartmut Jeromin

Warum berühren mich Uwe Johnsons Texte, seit ich sie zuerst las? Uwe Johnson wird mit seiner Mutter um die gleiche Zeit und unter ähnlichen Umständen wie wir in Güstrow angekommen sein und die von Zerstörungen freie mecklenburgische Kleinstadt noch intensiver als ich erlebt haben, er war einige Jahre älter und damit reifer im Erleben. Gab es da etwas zum Erleben? Jede Menge.

Die Stadt war voller Menschen, ansässigen und dazugekommenen. Und alle suchten ein Auskommen, auch Mütter mit Kindern, die Männer waren ja nicht da. Also musste auf Arbeit gegangen werden. Meine Mutter zur Besatzungsmacht in die Gleviner Burg, ausserhalb der Stadt, sie wusch und nähte da. Wir drei Geschwister kamen in den Kindergarten in der Hansenstrasse. Mir ist vor allem in Erinnerung, dass es da oft Steckrübensuppe gab, die gegessen werden sollte, ich aber sträubte mich sehr dagegen, sie kratzte im Hals und auf der Zunge. Die Frauen, die uns dort betreuten, hatten weiße Schürzen um und hatten auch Namen, eine war „Tante Grete“, Grete Schenk. In diesen Bereichen muss auch Johnsons Mutter tätig gewesen sein.

Manchmal holten wir die Mutter da draußen ab, zu dritt und als Geleitschutz vor Übergriffen, ich sehe mich in dem Sommer 1945 öfter diese lange, lindenbestandene Allee (Plauer Chaussee) entlang wandern, hin und zurück. Überhaupt waren wir als Familie viel zu Fuß da unterwegs, von der Seidelstrasse bis ins Zentrum, die Schweriner Straße und dann Hageböcker Straße bis zum Markt könnte ich noch heute im Dunklen blind entlanglaufen. Einmal wurde die Mutter da ihr Schuhwerk los, Sowjetsoldaten sahen ihre Stiefel und „tauschten“ sie… die Mutter war vor allem böse über die zerlatschten Eintauschobjekte. Ängstlich war ich immer vor dem Friseurladen, da bekam mich kaum jemand hinein überredet, weil die Scheren da furchtbar ziepten. Diese Angst und andere Ängste hielten sich bei mir lange.

Im Gegensatz zu anderen Restfamilien kam unser Vater Anfang August 45 mit Entlassungspapieren zur Familie nach Güstrow. Einfacher wurde dadurch aber nichts, der Vater war selber vielen Bedrängnissen dieser Zeit ausgesetzt und erkannte kaum noch das zivile Leben und konnte sich nur schwer daran gewöhnen. Zudem bekamen wir Kinder im September 45 die Infektionskrankheit Thyphus. Ein Sanitätswagen holte uns an einem Tag alle zugleich in der Seidelstraße ab und lieferte uns in eine Schule ein unterhalb des Schlosses…die diente als Krankenhaus. Ich kam da erst im November wieder raus. Mir erzählte die Mutter viel später, dass die Schwestern da im Kinderkrankenhaus viel starben…

Der Uwe Johnson ohne Arme steht aber nun an der J. Brinkmann-Schule, ja kenne ich auch. So um das 4. Schuljahr ging ich wegen Umzugs der Familie nun in die Kersting- (Dom-)Schule, hatte einen weiten Schulweg vom Langendammschen Weg/ Ziegelei durch Felder, Baumschulen und Vorstadtgärten, vorbei an den Tennisplätzen, am Schützenhaus und eben an der Oberschule vorbei…über den Domplatz. Da gab es auch jede Menge Ablenkungen vom Weg, was dazu führte, dass ich manchmal vor der verschlossenen Schultür stand und dann eben lieber mal umkehrte…also Schule schwänzte.

Und eben da wurde die Dom-Schule sehr voll und einige Klassen kamen in das Gebäude der Brinkmann-Oberschule, deren Internat war auch am Domplatz. Unser Schulleiter könnte Dummer geheißen haben. Gegenüber an der Ecke zur Wallstrasse hatte er sein Büro (in der Ecke steht der Stock drohte er mir Verstockten) und auch da war ein Klassenzimmer. Ich erinnere mich auch an eine Pionierleiterin da, könnte Inge geheißen haben. Also es stimmt, immer etwas nach Johnson war ich auch am Orte und die Atmosphäre stimmte überein. Auf dem Schulhof gar (mit alter Stadtmauer) tummelten sich große und kleine Schüler umeinander. Benutzten auch die gleiche Aula und Turnhalle und Umkleiden (Lehrerin Frau Bühring), Treppenhäuser und Korridore und die vorderen und hinteren großen Haustüren. Der Pausenhof hatte ein Ende am Wasser. Gegenüber war auch immer noch das „Hansabad“ zu sehen, der ehemalige Kindergarten. Ja, hier muss Johnson 1952 sein Abitur gemacht haben.

Aber so geradezu konnte man zu dieser Oberschule nicht gelangen, es ging nur hintenherum. Denn ab 45 war die zentral gelegene Wallstrasse mit einem Bretterzaun abgesperrt, wie einige andere Stadtteile auch, von der Roten Armee. Sie hatte da in den Gebäuden ein Lazarett eingerichtet. Für die Neubürger war das unbekanntes Gelände. Aber mein Vater arbeitete zeitweilig da drin als Heizer und manchmal holten wir Kinder ihn am Tor ab, das kleine Torhaus steht da heute noch, der Zaun ist verschwunden und die Güstrower nehmen nun wieder den kurzen Weg dahinter zum Domplatz. Wenn dann der Vater aber seine Tasche auspackte, kam lauter gutes Weißbrot zum Vorschein. Das bekam er da drinnen für seine Kinder mit. Und wir brauchten dazu weiter nichts, es schmeckte uns auch ohne alles. Auch die Wollhalle ist nun wieder da und beherbergt heute die Uwe Johnson-Bibliothek. In meiner Berufsschulzeit musste ich aber auch da hintenherum, wir konnten aber aus den Fenstern in das Lazarettgelände hineinsehen, auch von unserem kleinen Sportplatz war das möglich und die Turnhalle grenzte auch an das Gelände. Heute befindet sich auf dem Terrain die Kreisverwaltung für den Landkreis Rostock.

Und da wir zuvor auch in der Bützower Strasse wohnten, nahe am Ullrichplatz, wo Johnsons wohl wohnten und ich da viel unterwegs war, denn ich hatte Zeit, die Schule hatte mich um ein Jahr zurückgestellt, könnte ich ihm begegnet sein. Und das Reichsbahngelände und die Wege dorthin kannte ich auch sehr gut, wie auch von Johnson bekannt ist, es war ein Arbeitsort seiner Mutter. „Jakob ging auch immer über die Gleise“. Mein Vater warf da von den Güterwagen Kohlen, die ich aufsammelte in einen Sack, so wurde Feuerung. Was solls. Den Dom aber mit Barlachs Schwebenden musste ich betreten, da war Christenlehre angesagt.

Wie es das Schicksal aber wollte, landete ich etwas später auch in Rostock, nicht an der Uni, sondern in einer Gärtnerei und abends in der Rostocker Volkshochschule und danach lebte ich noch 5 Jahre in Potsdam, studienhalber. Johnsons Uni in Leipzig lag nicht an meinem Wege, von Hans Meyer hörte ich erst sehr viel später, auch die Anglistik war nicht so mein Ding, obwohl eine Freundin es in dem Fach zu etwas brachte, nämlich mir immer die amerikanische Literatur, die sie gerade gelesen haben musste, weitergab, das war mir sehr hilfreich. Auf die russische und sowjetische Belletristik verfiel ich viel später dank eines Buchladens in der Nähe der Dresdener Kreuzschule. Auch unter den Kollegen sprach es sich immer herum, wenn man etwas gelesen haben sollte. Die Grasssche Blechtrommel zog ich mir aber schon ca. 1963 rein dank der Illustratorin Ulla Wendorff-Weidt, die mir das Buch lieh, woher sollte ich es sonst bekommen?

Somit rundet sich das Bild: „Jahrestage“ ist auch mein Buch der Erinnerungen. Schon die Güstrower Namen wie Papenbrock, gab es doch da an der Post so einen Laden, eben Papenbrock. Kannte man, ging man dran vorbei oder auch hinein.
Nur Uwe Johnson kannte ich nicht, der kam dann, nach seiner Übersiedlung nach Berlin-West nicht vor, in keinem Medium. So konnte ich ihn auch nicht gelesen haben. Erst als Güstrow sich um den Namen dieses Autors bemühte, änderten sich meine Kenntnisse dazu. Aber Barlach, Böhmer, Schult, Brinkmann, den Heidberg, den Inselsee, die Gertrudenkapelle, aber auch das Niederdeutsche in mecklenburger Ausprägung und vieles andere kannte ich natürlich schon längst und habe es nicht vergessen. Und auch das weitere Umfeld Mecklenburgs wurde mir vertraut im Laufe vieler Jahre und was sich dort so ereignet hat…
Februar 2018, Hartmut Jeromin

Link: Es war einmal ein Land (Syrien)
Quelle: Hartmut Jeromin