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Direktversicherung: ANTRAG der Linksfraktion - Drucksache 18/6364

Köln, 2015 Foto: H.S.

27.01.2016

Deutscher Bundestag Drucksache 18/6364 18. Wahlperiode 14.10.2015
Antrag
der Abgeordneten Harald Weinberg, Matthias W. Birkwald, Sabine
Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, Katja Kipping, Jutta Krellmann,
Azize Tank, Kathrin Vogler, Birgit Wöllert, Pia Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.
Gerechte Krankenversicherungsbeiträge für Direktversicherungen und Versorgungsbezüge – Doppelverbeitragung vermeiden
Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Mit den durch die rot-grüne Bundesregierung seit der Jahrtausendwende eingeleiteten Reformen wurde ein fundamentaler Kurswechsel in der Alterssicherungspolitik vollzogen. Ziel der Reformen war nicht mehr, den erarbeiteten Lebensstandard im
Alter durch die gesetzliche Rentenversicherung sicherzustellen, sondern den Anstieg des Beitragssatzes bis zum Jahr 2030 auf höchstens 22 Prozent zu begrenzen. Als unmittelbare Folge dieser Entscheidung sinkt seitdem das Rentenniveau kontinuierlich.

Um den Rückgang des Sicherungsniveaus der gesetzlichen Rentenversicherung annährend kompensieren zu können, besteht die Notwendigkeit der zusätzlichen privaten und betrieblichen Vorsorge. Diese subventioniert der Staat über Zulagen und
Steuervergünstigungen jährlich mit Milliardenbeträgen. Dabei hat sich jedoch gezeigt, dass die Ausweitung der betrieblichen Altersversorgung durch die Entgeltumwandlung über Direktversicherungen und andere Durchführungswege ein schlechtes Geschäft für die Versicherten war und ist. Aufgrund der hohen Kostenbelastung u. a. durch Abschluss- und Bestandsprovisionen sind die Altersvorsorgeprodukte nicht nur ineffizient und intransparent, auch die erhofften Erträge bleiben aus. Hinzu kommen die Risiken der Kapitalmärkte und die anhaltende
Niedrigzinsphase. Die Entgeltumwandlung führt außerdem dazu, dass die Einnahmebasis der gesetzlichen Rentenversicherung geschmälert wird und somit die späteren Rentenansprüche für alle Versicherten niedriger ausfallen werden. Für die betriebliche Altersvorsorge schätzt die Bundesregierung die Beitragsausfälle in der
gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 2015 auf etwa drei Milliarden Euro jährlich (Bundestagsdrucksache 18/4557, Antwort zu Frage 1). Hinzu kommen beträchtliche
Steuerausfälle.

Zugleich wurde das Vertrauen der Versicherten in die betriebliche Altersversorgung weiter beschädigt. Denn seit dem 1. Januar 2004 unterliegen die aus einer Direktversicherung als Kapitallebensversicherung erbrachten Versorgungsbezüge wie alle
Leistungen der betrieblichen Altersversorgung der vollen Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung (§ 248 SGB V), die von den Rentnerinnen und Rentnern Drucksache 18/6364 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode alleine zu tragen ist (§ 250 Abs. 1 SGB V). Die oftmals in Zeiten historisch niedriger
Zinsen schon mageren Renditen werden dadurch zusätzlich geschmälert oder gar völlig aufgezehrt (vgl. „Schlechter als der Sparstrumpf“ Süddeutsche Zeitung vom
25.3.2014).

Diese Gesetzesänderung erfolgte im Rahmen des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG), das gemeinsam von den Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in den Bundestag eingebracht und verabschiedet worden war. Die Neuregelung des § 229 GB beendete eine bis dahin bestehende Möglichkeit, Krankenversicherungsbeiträge auf die Versicherungsleistungen zu umgehen, indem die
Vertragsgestaltung ein Kapitalwahlrecht vorsah. Die Ungerechtigkeit, dass auf regelmäßige Zahlungen aus Lebens- und Rentenversicherungen (z. B. Leibrenten), nicht aber auf die einmalige Auszahlung einer Kapitalabfindung Beiträge zur Krankenversicherung erhoben wurden, wurde mit dem GMG beseitigt. Die Neuregelung führt seit 2004 aber bei vielen Versicherten dazu, dass eine vom Unternehmen zu ihren Gunsten etwa in Form einer Kapitallebensversicherung abgeschlossene Direktversicherung
und die daraus resultierenden Vorsorgebezüge im Versicherungsfall
auch dann zu verbeitragen sind, wenn die erbrachten Versicherungsbeiträge zuvor bereits Krankenversicherungsbeiträge abgeführt worden waren. Im Ergebnis ist festzustellen, dass Millionen von Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmern
doppelte Krankenversicherungsbeiträge auf ihre Lebens- oder Rentenversicherung zahlen müssen, und zwar auch dann, wenn der Vertrag über die Betriebsrente bereits vor Inkrafttreten des GMG am 1. Januar 2004 abgeschlossen worden war.

Vollkommen zu Recht fühlen sich die Betroffenen vom Gesetzgeber betrogen. Für sie ist die Doppelverbeitragung nichts anderes als eine „kalte Enteignung“ durch einen ungerechtfertigten Eingriff in ihre finanzielle Lebensplanung zu Lasten der von ihrem Gehalt abgeführten Altersvorsorge. Denn nicht selten haben sie durch die an die Krankenkasse abzuführenden Beiträge ein Verlustgeschäft gemacht, da die Kapitalabfindung so nicht einmal mehr den eingezahlten Versicherungsbeiträgen entspricht (vgl. „Betriebliche Altersvorsorge. Wie Rentner vom Staat abkassiert werden“, „Plusminus“-Sendung vom 25.03.2015).
Das Drei-Säulen-Modell aus gesetzlicher, privater und betrieblicher Altersvorsorge ist gescheitert (vgl. z. B.: „Die Illusion von der Lebensstandardsicherung. Eine Analyse der Leistungsfähigkeit des ‚Drei-Säulen-Modells‘‘‘, Arbeitnehmerkammer Bremen 2015). Gleichwohl hält die Regierung daran fest. Ein Großteil der gesetzlich Versicherten ist auf die zusätzliche Altersvorsorge angewiesen, um die Lücke zu schließen, die durch die fortschreitende Senkung des Niveaus der gesetzlichen Rentenversicherung bedingt ist. Die Versicherten müssen sich darauf verlassen können, dass die von dem Gesetzgeber geschaffenen Rahmenbedingungen für ihrer Zusatzversicherung
nicht nach Kassenlage der Krankenversicherung verändert werden.
Stattdessen wäre die konsequente Stärkung der gesetzlichen Sozialversicherungssysteme geboten. Die Einführung einer solidarischen Gesundheitsversicherung (Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in Gesundheit und Pflege) würde soziale Gerechtigkeit schaffen, die Finanzierung der Krankenversicherung auf ein solides Fundament stellen und die Absenkung der Beiträge für alle Versicherten ermöglichen.

So oder so muss gelten: Die Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung darf bei Versorgungbezügen nur einmal anfallen. Demzufolge sollten entweder auf
das Einkommen in der Ansparphase oder auf die Auszahlung der Versicherungsleistungen Beiträge gezahlt werden. Wurden die Beiträge für die betriebliche Altersversorgung aus nicht beitragspflichtigem Einkommen aufgebracht, dann sind nachträglich
Beiträge zu zahlen. Wurden die Beiträge aus Einkommen gezahlt, für das bereits Krankenversicherungsbeiträge abgeführt wurden, darf die Versicherungsleistung nicht erneut verbeitragt werden. Hier muss die Bundesregierung endlich Gerechtigkeit
herstellen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6364
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen,

1. der die doppelte Beitragszahlung auf Direktversicherungen und Versorgungsbezüge beendet. Sollten bereits während der Ansparphase Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden sein, dürfen in der Leistungsphase bzw. für die Kapitalabfindung
keine Krankenversicherungsbeiträge mehr fällig werden;

2. um eine solidarische Gesundheitsversicherung (Bürgerinnen- und Bürgerversicherung) einzuführen und gerechte und finanzierbare Krankenversicherungsbeiträge für alle in Deutschland lebenden Menschen langfristig zu gewährleisten.

Berlin, den 14. Oktober 2015
Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Begründung
Was der damalige Verhandlungsführer der Unionsparteien und heutige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer nach durchdiskutierten Nachtsitzungen mit der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) als „eine der schönsten Nächte meines Lebens“ kommentierte, entpuppte sich bald für viele Versicherte als finanzieller Albtraum. Nach der Gesetzesbegründung des GMG werden „Rentner, die Versorgungsbezüge erhalten, in angemessenem Umfang an der Finanzierung der Leistungsaufwendungen für sie beteiligt.“ Da die eigenen Krankenversicherungsbeiträge der Rentnerinnen und Rentner nur noch circa 43 Prozent der Leistungsaufwendungen für sie decken, sei es daher – so wörtlich im Gesetzentwurf – „ein Gebot der Solidarität der Rentner mit den Erwerbstätigen, den Anteil der Finanzierung der Leistungen durch die Erwerbstätigen nicht
noch höher werden zu lassen“ (vgl. Bundestagsdrucksache 15/1525, S. 140).

Betroffen von der doppelten Verbeitragung sind Millionen von Rentnerinnen und Rentnern. So gab es am Jahresende 2014 laut Statistik des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft GDV allein 7,636 Mio. Direktversicherungsverträge.

Bei bis Ende 2004 abgeschlossenen Verträgen, bei denen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die wirtschaftliche
Last tragen (als Entgeltumwandlung), galt die Regel, dass während der Ansparphase dann keine Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen waren, wenn die Beiträge aus Sonderzahlungen wie z. B. Weihnachtsgeld oder Bonuszahlungen entrichtet wurden. In diesen Fällen müssten in der Bezugsphase Krankenversicherungsbeiträge
fällig werden. Sofern eine Entgeltumwandlung über laufende Monatsbeiträge erfolgt ist, wurden in der Regel bereits während der Ansparphase Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. In diesem Fall sollten die Rentenleistungen oder die Kapitalabfindung bei Auszahlung beitragsfrei sein. Bei Direktversicherungen und
Versorgungsleistungen, bei denen die Arbeitgeber die wirtschaftliche Last tragen (als zusätzliche Arbeitgeberleistung),
fielen während der Ansparphase grundsätzlich keine Sozialversicherungsbeiträge an. In diesem Fällen müssten in der Auszahlphase auf Rentenleistungen bzw. die Kapitalabfindung Beiträge abgeführt werden.

Seit 2005 sind Beiträge für die betriebliche Altersversorgung bei Entgeltumwandlung bis zur Höhe von vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze (West) der Rentenversicherung in der gesetzlichen Sozialversicherung sozialabgaben- und steuerfrei. Beiträge, die über die vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze hinausgehen, sind dagegen sozialabgabenpflichtig. Auch hier müsste in Bezug auf die Abführung der Krankenversicherungsbeiträge
entsprechend differenziert werden.

Den Versicherungsgesellschaften liegen Informationen über die Art der Vertragsgestaltung vor, denn bei Einrichtung einer betrieblichen Versorgung wird eine Vereinbarung zwischen Betrieb und Angestellten nötig. Diese ist Vertragsbestandteil, so dass die Versicherer die entsprechenden Daten an die Krankenkassen melden können.

Link: Direktversicherung: Anhörung am 27.1.16 im Gesundheitsausschuss zum Antrag der Linken - WORTPROTOKOLL
Quelle: Deutscher Bundestag