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Direktversicherung: Pflegeversicherung wird verbeitragt

16.12.2015

Nachfolgend das Urteil eines unabhängigen, seinem Gewissen verpflichtetem Sozialrichters zur Erhebung von Pflegeversicherungsbeiträgen zur Pflegekasse, auch für die Zeiten, wo es noch keine Pflegeversicherung gab. Die Pflegeversicherung wurde erst 1995 gesetzlich eingeführt!

Der Kläger M.K. hatte vorausschauend zur Altersvorsorge eine eigenfinanzierte Kapitallebensversicherung, mit von vornherein vereinbarter Einmalzahlung zu einem bestimmten Auszahlungszeitpunkt abgeschlossen.(BSG 12 RK 36/84 amtl.Leitsatz 2) Die Vertragsgestaltung wurde von Beginn der Versicherung so vereinbart, dass der Versicherte im Innenverhältnis Versicherungsnehmer war. Bei Versicherungsende informierte die Allianz die Barmer GEK und meldete die Auszahlung eines Einmalbetrags. Darauf fertigte die Barmer GEK ungeprüft einen Beitragsbescheid im Namen der Pflegekasse und einen zur Krankenversicherung. Dagegen erhob der Kläger am 11.10. 2006 Widerspruch. Dieser Widerspruch wurde von der Barmer GEK nach fast 6 Jahren am 25.7. 2012 vom Widerspruchsausschuss dieser Kasse abgewiesen mit der Begründung: “Es könnte sich um einen Versorgungsbezug handeln”. Der Widerspruchausschuss hat absolut keine Sachaufklärung betrieben und sich dem Untersuchungsgrundsatz nach § 20 des zehnten Sozialgesetzbuches verweigert sondern lediglich etwas “ angenommen”. Dabei ist es
für Fachleute relativ einfach festzustellen, ob es sich bei eingereichten Unterlagen (Verdienstabrechnungen, Jahressteuerbescheinigung, Versicherungsschein und
arbeitsrechtliche Unterlagen) um einen privaten Sparvertrag oder um eine arbeitsrechtliche Versorgungsvereinbarung handelt.

Bei den Beiträgen zur Krankenversicherung funktioniert diese Masche genau so. Auch hier wird verbeitragt; egal ob privat oder arbeitsrechtlich wird der volle Beitrag aus einer Einmalzahlung als Bemessungsgrundlage angesetzt. Dabei war bis Anfang 2004 der halbe Beitrag gesetzlich fällig und ab Beginn 2004 wurde aus einer Einmalzahlung der volle Beitrag als Bemessungsgrundlage angesetzt.

Das Sozialgesetzbuch IV bestimmt in § 22 Abs.1, Satz 1 folgendes:” Beitragsansprüche entstehen in dem Augenblick, in dem ihre im Gesetz, in einer Rechtsverordnung oder einer Satzung festgelegten Voraussetzungen vorliegen”.

In dem Rechtsstreit M. K., als Kläger
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwalt L. u.a. Bottrop
gegen Barmer GEK - Pflegekasse -, vertreten durch den Vorstand, Lichtscheider Straße 89, 42285 Wuppertal, als Beklagte
hat die 3. Kammer des Sozialgerichts Gelsenkirchen auf die mündliche Verhandlung vom 04.06.2014 durch den Vorsitzenden, den Richter am Sozialgericht Wagenführ sowie die ehrenamtliche Richterin Sdunek und den ehrenamtlichen Richter Engeiter für Recht erkannt: Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.


Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger aus einer zum 01.092006 erfolgten Auszahlung von 65.525,70 € der Allianz Lebensversicherungs-AG verpflichtet ist, Beitrage zur Pflegeversicherung an die Beklagte zu entrichten.
Der am 03.09.1941 geborene Kläger ist bei der Beklagten in der Krankenversicherung pflichtversichert und auch pflegeversichert Seit dem 01.102006 bezieht der Kläger eine Altersrente.

Er war beschäftigt bei der Fahrzeug-Werke-LU EG GmbH. Am 28. 09. 1984 schloss die Firma Fahrzeug-Werke-LUEG GmbH bei der Allianz-Lebensversicherungs-AG eine Lebensversicherung ab. Versicherungsnehmer war die Fahrzeug-Werke-LUEG GmbH Versicherte Person war der Kläger. Am 23.10.1984 händigte die Fahrzeug-Werke-LUEG GmbH den Versicherungsschein an den Kläger aus.

Zum 01.09 2006 zahlte die Allianz-Lebensversicherungs-AG an den Kläger einen Betrag in Höhe von 65.525,70 € aus. Mit Bescheid vom 28.09.2006 setzte die Beklagte gegenüber dem Kläger Beitrage zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit ab dem 01.10.2006 fest. Für die Beitragsbemessung gelte 1/120 der Kapitalleistung m Höhe von 6.5525,70 € als monatlicher Zahlbetrag (546.05 €), da die Kapitalleistung auf 10 Jahr umzulegen sei. Als monatlichen Beitrag zur Pflege-Versicherung setzte die Beklagte einen Betrag in Höhe von 9.20 € monatlich fest.

Hiergegen legte der Kläger am 11.10.2006 Widerspruch ein. Es sei nicht nachvollziehbar, warum Versorgungsbezüge mit dem halben Beitragssatz belegt werden würden, die hier vorliegende Leistung jedoch höher belastet würde als die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung. Dies verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Des Weiteren verstoße die Einführung der Beitragspflicht für Altverträge gegen den durch das Grundgesetz garantierten Vertrauensschutz sowie die Rechte aus Art. 14 GG. Dabei sei insbesondere zu beachten, dass der Arbeitgeber keinerlei Zuschuss zu den Leistungen gewährt habe, sondern der Kläger allein die Beitrage zur Lebensversicherung aus seinem Einkommen erbracht habe. Die Beitragserhebung stelle eine unzumutbare Belastung dar.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Der Kläger sei verpflichtet, entsprechende Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu zahlen. Dies folge aus § 237 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) und § 57 Abs. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI).

Der Kläger hat am 23.08.2012 beim Sozialgericht Gelsenkirchen Klage erhoben (S 11 KR 289/12). In der mündlichen Verhandlung vom 25.07.2013 hat die Kammer das Verfahren betreffend die Zahlung der Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung abgetrennt. Der Kläger ist der Auffassung, dass die Erhebung der Beiträge zur Pflegeversicherung rechtswidrig sei. Sie verstoße gegen das Grundgesetz. Er habe die Versicherung 1984 abgeschlossen. Das Gesetz sei dann erst zum 01.01.2004 erlassen worden und wirke auf bereits abgeschlossene Sachverhalte, so dass es gegen das Rückwirkungsverbot verstoße. Auch verstoße es gegen Art. 3 GG und Art. 14 GG.

Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 28.09.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2012 in Bezug auf die Beitragserhebung zur Pflegeversicherung aufzuheben. Die Beklagte beantragt die Klage abzuweisen. Die Klage sei unbegründet. Die Beitragspflicht ergebe sich eindeutig aus dem Gesetz. Die Einwände des Klägers seien zudem bereits vom Bundessozialgericht (BSG) und Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in anderen Verfahren geprüft und als nicht durchgreifend erachtet worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid vom 28.09. 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen subjektiven Rechten, vgl. § 54 Abs. 2 S 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Auszahlung des Betrages in Höhe von insgesamt 65.525,70 € Allianz-Lebensversicherungs-AG unterliegt zur Überzeugung der Kammer der Beitragspflicht nach § 57 Abs. 1 SG6 XI i, V. m. § 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB V. Gemäß § 57 Abs. 1 S, 1 SGB XI gelten bei den Mitgliedern der Pflegekassen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, für die Beitragsbemessung die §§ 226 bis 238 und § 244 des SGB V sowie die §§ 23a und 23b Abs. 2 bis 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV).

Renten der betrieblichen Altersversorgung einschließlich der Zusatz Versorgung im öffentlichen Dienst und der hüttenknappschaftlichen Zusatz-Versorgung, gelten gemäß § 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB V als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge), soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden. Tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung oder ist eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden, gilt ein Einhundertzwanzigstel der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens jedoch für einhundertzwanzig Monate, § 229 Abs. 1 S. 3 SGB V.

Bei der am 28.09.1984 von dem ehemaligen Arbeitgeber des Klägers, der Firma Fahrzeug-Werke-LUEG GmbH, mit der Allianz-Lebens versicherungs-AG abgeschlossenen Lebensversicherung handelt es sich zur Überzeugung der Kammer um eine von dem Arbeitgeber für den Arbeitnehmer abgeschlossene betriebliche Direktversicherung i. S. d. § 1b Abs. 2 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung - Betriebsrentengesetz (BetrAVG).

Das für die Unterscheidung zwischen betrieblicher und privater Alters-Vorsorge maßgebende Kriterium ist allein die Versicherungsnehmereigenschaft. Der Berufsbezug für eingezahlte Beitrage ist solange gewahrt, solange der Arbeitgeber die Direktversicherung als Versicherungsnehmer innerhalb der institutionellen Vorgaben des Betriebsrentenrechts fortgeführt hat. Es liegt damit ein formal einfach zu handhabendes Kriterium vor, dass ohne Rückgriff auf arbeitsrechtliche Absprachen, insbesondere darauf, ob die vom Arbeitnehmer eingezahlten Beträge von der Versorgungszusage des Arbeitsgebers umfasst waren, ein Abschichtung betrieblicher von privater Altersvorsorge erlaubt. Soweit sich der betroffene Versicherte den institutionellen Rahmen der Direktversicherung i. S. d. Betriebsrentenrechts zunutze macht, können die hieraus erwirtschafteten Erträge als Versorgungsbezüge i. S. d. § 229 Abs. 1 SGB V qualifiziert werden (vgl. hierzu ausführlich Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Nichtannahmebeschluss vom 06.09.2010 - 1 BvR 739/08; beispielhaft Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 30.03.2011 - B 12 KR 24/09 R).

In dem vorliegenden Fall war von Anfang an der ehemalige Arbeitgeber des Klägers als Versicherungsnehmer in dem Versicherungsvertrag aufgeführt. Der Kläger war die versicherte Person, so dass es sich bei der hier der Kapitalleistung zu Grunde liegenden Versicherung um eine betriebliche Altersvorsorge i. S. d. § 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 und S. 3 SGB V handelt.

Die Beklagte hat diese einmalige Leistung der Versicherung in Höhe von 65.525,70 € entsprechend der gesetzlichen Regelung des § 229 Abs. 1 S. 3 SGB V aufgeteilt, und ein Einhundertzwanzigstel als monatlichen Zahlbetrag (546,05 €) im Rahmen der Berechnung der Beiträge zu Grunde gelegt.

Der Einwand des Klägers, dass diese Regelung gegen Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes verstößt, greift zur Überzeugung der Kammer nicht durch. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht für das Steuerrecht den Grundsatz entwickelt, dass steuerbares Einkommen nur beim erstmaligen Zufluss beziehungsweise bei der erstmaligen Realisierung zu versteuern sei. Für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung und Pflegeversicherung als eines Versicherungssystems gelten jedoch andere Grundsätze. Die Beitragserhebung in der gesetzlichen Krankenversicherung und Pflegeversicherung ist für die pflichtversicherten Arbeitnehmer auf die berufsbezogenen Einkünfte maximal bis zur Beitragsbemessungsgrenze nach Maßgabe eines einheitlichen Tarifs beschränkt. Dem gezahlten Beitrag steht der umfassende und unbegrenzte Versicherungsschutz der gesetzlichen Krankenversicherung und Pflegeversicherung ab dem ersten Tag der Mitgliedschaft gegenüber. Dieser Versicherungsschutz besteht nicht nur während des Erwerbslebens, sondern wird durch die Krankenversicherung und Pflegeversicherung der Rentner auch nach dem Eintritt in den Ruhestand zur Verfügung gestellt. Er wird durch Beiträge finanziert, die wiederum nach den erwerbsbezogenen Einkünften bemessen werden. Dies sind bei den Rentnern Renten und der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge). Die Frage, ob diese Versorgungsbezüge ihrerseits aus bereits mit Krankenversicherungsbeiträgen bzw. Pflegeversicherungsbeiträgen belastetem Arbeitsentgelt finanziert worden sind, ist für die Frage der Beitragspflicht in der Krankenversicherung und Pflegeversicherung der Rentner nicht maßgebend. Die Äquivalenz von Beitrag und Risikoabsicherung ist durch einen Beitrag auf berufsbezogene Versorgungsbezüge des Rentners nicht gestört (vgl. hierzu ausführlich auch BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 06.09.2010 - 1 BvR 739/08).

Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zur Überzeugung der Kammer unter Beachtung der Rechtsprechung des BVerfG gewahrt. Die im Beschäftigungsverhältnis wurzelnde, auf einer bestimmten Ansparleistung während des Erwerbslebens beruhende einmalige Zahlung einer Kapitalzahlung ist nicht grundsätzlich anders zu bewerten als eine auf gleicher Ansparleistung beruhende, laufende Rentenleistung. Die Einbeziehung der nicht wiederkehrenden Versorgungsleistungen in die Beitragspflicht ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar, insbesondere den Betroffenen zumutbar, weil der Gesetzgeber berechtigt ist, jüngere Kranken- und Pflegeversicherte von der Finanzierung des höheren Aufwands für die Rentner zu entlasten und die Rentner entsprechend ihrem Einkommen verstärkt zur Finanzierung heranzuziehen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebschluss vom 06.09.2010 - 1 BvR 739/08 m. w. N.).

Auch unter Beachtung der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze zur unechten Rückwirkung von Gesetzen liegt zur Überzeugung der Kammer kein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes vor. Die Belastung nicht wiederkehrend gezahlter Versorgungsleistungen mit dem vollen allgemeinen Beitragssatz beurteilt sich nach den Grundsätzen über die unechte Rückwirkung von Gesetzen; denn die angegriffene Regelung greift mit Wirkung für die Zukunft in ein öffentlich-rechtliches Versicherungsverhältnis ein und gestaltet dies zum Nachteil für die betroffenen Versicherten um. Solche Regelungen sind verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig und entsprechen dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip, wenn das schutzwürdige Bestandsinteresse des Einzelnen die gesetzlich verfolgten Gemeinwohlinteressen bei der gebotenen Interessenabwägung nicht überwiegt. Diesen Grundsätzen genügt die angegriffene Regelung. Die Versicherten konnten, nachdem der Gesetzgeber bereits mit dem Rentenanpassungsgesetz (RAG) 1982 vom 1. Dezember 1981 (BGBI l S. 1205) laufende Versorgungsbezüge in die Beitragspflicht einbezogen hatte, in den Fortbestand der Rechtslage, welche die nicht wiederkehrenden Leistungen gegenüber anderen Versorgungsbezügen privilegierte, nicht uneingeschränkt vertrauen. Übergangsregelungen waren verfassungsrechtlich nicht geboten, vor allem auch deshalb, weil bei der Einmalzahlung von Versorgungsbezügen den Versicherten schon am Anfang der Belastung die gesamte Liquidität zur Tragung der finanziellen Mehrbelastung zur Verfügung steht (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.04.2008 - 1 BvR 1924/07 m. w. N.).

Nach alldem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung

Sozialgericht Gelsenkirchen
Verkündet am 04.06.2014
Az.: S 3 P 131/13