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Altersdiskriminierung ist kein Kavaliersdelikt

05.05.2004 - von Hanne Schweitzer

Die sogenannten „Alten“ haben die „Ausländer“ als Sündenbock der Nation abgelöst. Leere Kassen? Die Alten sind schuld. Demontage des Sozialstaats? Die Alten sind schuld. Die Alten und der „demografische Wandel“.

Nun ereignet sich der „demografische Wandel“ bekanntlich nicht über Nacht. Der „demografische Wandel“ steht nicht morgens vor der Tür und klopft. Die Veränderung der Bevölkerungsstruktur geht langsam vor sich, peux á peux. Es braucht Jahrhunderte, bis sich auswirkt, dass keine Kinder keine Kinder kriegen.

In deutschen Landen hat diese Veränderung gegen 1875 begonnen. Will sagen: Man hätte es wissen können. Politik hätte vorplanen können. Woanders ist das passiert, hier bei uns nicht. Wir hinken beim Schutz der BürgerInnen vor Altersdiskriminierung international hinterher, wir sind nicht die Spur innovativ.

2.
Das Plädoyer für die Aufnahme von „Lebensalter“ in ein Antidiskriminierungsgesetz beginne ich mit einem Überblick über die Ergebnisse des ersten bundesweiten Beschwerdetags zum Thema Altersdiskriminierung. Das Büro gegen Altersdiskriminierung hat diesen Beschwerdetag 2001 initiiert und mit Unterstützung von 62 Gruppen aus Ost- Nord- Süd- und Westdeutschland ohne einen Pfennig Öffentlicher Gelder realisiert.

Dank einer finanziellen Kooperation des Büros gegen Altersdiskriminierung mit dem Bundesfamilienministerium und dem Ökofonds Bündnis90/Die Grünen NRW konnten wir 1.568 Beschwerden über Altersdiskriminierung getrennt nach Geschlecht und Altersstufen auswerten und die Ergebnisse gedruckt vorlegen.

Fazit:
Der Beschwerdetag hat in allen gesellschaftlichen Bereichen, besonders aber im Arbeitsleben, schwere Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgebot dokumentiert. Auch wenn die deutsche Politik es noch immer ignoriert: Diskriminierungen wegen des Lebensalters sind hierzulande an der Tagesordnung.

3.
Weil wir zu alt sind, bekommen wir keine Arbeit. Die Supermarktkette „Lidl“ z.B. sucht maximal 30Jährige. Auch wer sich beim Westdeutschen Rundfunk um ein Volontariat im journalistischen Bereich bewirbt, sollte nicht älter als 30 Jahre sein. In den Stellenanzeigen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24.4.2004 enthielten 106 Stellenangebote direkte oder indirekte Altersangaben.
Bei den Anzeigen mit direkten Altersangaben bezogen nur fünf Annoncen „über 45Jährige“ ausdrücklich mit ein. Und nur eine einzige räumte auch „bis 60Jährigen“ die Möglichkeit einer Bewerbung ein. Bekanntlich sollen wir aber alle demnächst bis 67 arbeiten.
Bei den indirekten Altersbeschreibungen werden Formulierungen gewählt wie: „erste Berufserfahrung“, „einige Jahre Praxis“, „jüngere Persönlichkeit“, „gesucht für junges Team“.

Aber nicht nur die Wirtschaft, auch der Staat wirkt kräftig bei der Etablierung von Altersgrenzen mit. So liegt das Einstellungsalter für den mittleren Dienst bei der Polizei für BewerberInnen ohne Beruf bei maximal 24 Jahren, für BewerberInnen mit Beruf bei 34 Jahren. Im gehobenen Dienst dürfen BewerberInnen dagegen nicht älter als 31 Jahre sein.
Für den Bezug von Bafög ist das allerdings schon zu alt. Die staatliche Studienförderung kann nur beantragen, wer bei Studienbeginn maximal 30 Jahre alt ist.

Weh dem, der über 40 ist. Bei der ARD erhält eine Festanstellung in der Regel nur, wer die 40 noch nicht erreicht hat. Kommunale Wahlbeamte in NRW dürfen laut Landesbeamtengesetz bei ihrer ersten Berufung nicht älter als 56 sein. Für Schöffen gilt eine Altersgrenze von 65 Jahren. Niedergelassenen Ärzte verlieren mit 68 die Kassenzulassung, Hebammen dagegen können bis 70 arbeiten.

Auch KünstlerInnen wird die Berufsausübung durch willkürliche Altersgrenzen bei der Vergabe von Stipendien erschwert. So darf, wer sich z.B. um einen der Förderpreise für Bildende Kunst, Video, Literatur, oder Musik der Stadt Köln bewerben möchte, das 35. Lebensjahr nicht vollendet haben. Für den Jazzförderpreis der Stadt Köln gilt man mit 35 aber schon als zu alt: JazzmusikerInnen dürfen bei ihrer Bewerbung das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

4.
Genauso wenig, wie jemand etwas für seine Hautfarbe kann, genauso wenig sind wir für unser Alter verantwortlich. Lebensalter lässt sich weder durch Anstrengung erlernen, noch kann es käuflich erworben oder veräußert werden. Lebensalter ist biologische Realität. Aber es ist auch soziales Merkmal. Und genau da liegt das Problem.
Die „richtige“ Anzahl der Lebensjahre entscheidet in diesem Staat zunehmend über die Chancen der sozialen Teilhabe oder über den Ausschluss von dieser Teilhabe.

5.
Die EU-Staaten haben im Jahr 2.000 in der Lissabon-Strategie vereinbart, Anstrengungen zu unternehmen, um die Beschäftigungsrate älterer ArbeitnehmerInnen zu erhöhen. Das wurde zwar in unser aller Namen unterschrieben, aber passiert ist hierzulande nichts. Die bundesdeutschen Beschäftigungsraten für ältere MitarbeiterInnen gehören EU-weit zu den Niedrigsten. Joboffensiven für Ältere nützen allenfalls den Kursleitern. Die meisten Arbeitnehmer in der Bundesrepublik stellen lieber junge Leute ein - wenn sie überhaupt jemanden einstellen.

Der Neoliberalismus verlangt Deregulierung, die EU verlangt Regulierung. Sie tut dies mit Richtlinien zur Verhinderung von Diskriminierung, die stellenweise wörtlich aus dem angloamerikanischen Recht übernommen worden sind. Deutsche JuristInnen haben damit erhebliche Probleme. Im Spannungsfeld der verschiedenen Rechtsauffassungen jonglieren aber nicht nur die bundesdeutschen Gesetzgeber. Allerdings ist man in anderen EU-Staaten nicht so untätig wie hier.

6.
Woran liegt das? Der BDA hat sich entschieden gegen den Antidiskriminierungs-Gesetzentwurf von Herta Däubler-Gmelin aus dem Dezember 2001 ausgesprochen. BDA-Präsident Herr Hundt fürchtete gar „die Strangulierung der Wirtschaft“, wenn das grundgesetzlich garantierte Gleichheitsgebot hierzulande in einfaches Recht umgesetzt werden würde. Dazu muss man wissen: Was hierzulande mühsam, ohne Unterstützung der Gewerkschaften, gegen den Widerstand von BDA und Justizministerium eingefordert werden muss, die Aufnahme von „Lebensalter“ in ein Antidiskriminierungsgesetz, das ist in anderen Staaten ganz selbstverständlich. Zum Teil schon seit vielen Jahrzehnten.

Umfassende Antidiskriminierungsgesetzgebung gibt es in Kanada seit den 50iger Jahren des letzten Jahrhunderts. In den USA seit 1967. Schon 1984 wurde in Washington der Zwangsruhestand abgeschafft, seitdem können ArbeitnehmerInnen selbst entscheiden, wann sie in Rente gehen. 1991 wurde in Australien ein umfassendes Gesetz gegen Diskriminierung verabschiedet. In Irland gibt es Gesetze gegen Altersdiskriminierung im Arbeitsleben seit Ende der 90iger Jahre. In Großbritannien ebenfalls. In Ungarn seit 2003. In Belgien seit 2003.

Wir sind keine EU-BürgerInnen zweiter Klasse. Deshalb brauchen wir einen Rechtsanspruch auf Schutz vor Altersdiskriminierung. Es kann nicht angehen, dass man hierzulande jenseits der 70 als Minister oder Freiberufler unangefochten berufstätig sein kann, als NormalbürgerIn aber oft schon mit 40 als zu alt für eine Beschäftigung gilt und mit spätestens 65. in den Ruhestand gezwungen wird, egal, ob man will oder nicht.

Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=2525
Quelle: Hanne Schweitzer

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24.04.2004: FAZ: Auswertung Jobangebote 24.4.04
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