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Direktversicherung: Brief an Bundesgesundheitsminister

19.11.2012 - von R.G.

Überschüsse in der GKV, Beitragspflicht zur GKV für Einmalzahlungen aus Direktversicherungen
Sehr geehrter Herr Minister,
zu den Überschüssen in der GKV bitte ich Sie, im Zusammenhang mit der Einführung der Beitragspflicht von Auszahlungen aus Direktversicherungsverträgen (Gesetzesänderung zu §229 Absatz 1 SGB V von 2004) um Beantwortung der folgenden Fragen:
• Wie hoch ist der Anteil der Beiträge aus den Direktversicherungen an den Überschüssen in der GKV?
• Wie hoch ist die Zahl der Direktversicherungs-Verträge, die vor dem 01.01.2004 abgeschlossen wurden, und die seit dem 01.01.2004 zur Auszahlung kamen oder noch zur Auszahlung kommen werden und wie hoch ist die Auszahlungssumme aus diesen Verträgen?
• Wie hoch sind die entsprechenden Zahlen bei den privaten Lebensversicherungsverträgen?
• Wie viele Verträge kamen in den letzten 10 Jahren vor dem 01.01.2004 zur Auszahlung, und wie hoch ist die Auszahlungssumme aus diesen Verträgen?
• Wurden Versicherte, die zum Zeitpunkt der Auszahlung privat versichert waren, später aber in die GKV gewechselt sind, ebenfalls erfasst?
• Wie wird sichergestellt, dass alle betroffenen Verträge tatsächlich zur Beitragspflicht herangezogen werden?
• Halten Sie die Art und Weise, wie diese Gesetzesänderung zustande kam und wie sie umgesetzt wird, für angemessen im Sinne eines korrekten Gesetzgebungsverfahrens?
• Halten Sie das Ziel dieser Gesetzesänderung („…die Rentner entsprechend ihrem Einkommen verstärkt zur Finanzierung der GKV heranzuziehen“) weiterhin für erforderlich und im Sinne einer Solidarversicherung für zulässig?
Falls ja, halten Sie es dabei für gerecht, verhältnismäßig, zumutbar und mit dem Vertrauensschutz vereinbar, dass dazu (rückwirkend!) nur die Auszahlungen der Lebensversicherungen von Direktversicherten dem „Einkommen“ der Rentner hinzugerechnet werden, die vergleichbaren Auszahlungen aus „privaten“ Lebensversicherungen aber nicht?
• Werden Sie sich angesichts der unten dargestellten gravierenden Mängel dafür einsetzen, dass diese Gesetzesänderung rückgängig gemacht wird oder zumindest durch ein Gesetz ersetzt wird, das die Kriterien gerecht, verhältnismäßig und zumutbar auch tatsächlich erfüllt und das mit Hilfe von angemessen Übergangsregelungen dann auch dem Vertrauensschutz gerecht wird?

Mit freundlichen Grüßen
R.G.

Ungleichbehandlung der Rentner:
Um einen Anreiz zur Eigenvorsorge des Arbeitnehmers zu setzen, hat der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten zur staatlichen Förderung entsprechender Sparformen geschaffen. Darunter Lebensversicherungen in Form der „Direktversicherung“ und der „privaten Lebensversicherung“.

Bei Auszahlungen vor dem 01.01.2004 waren in beiden Fällen keine Beiträge zur GKV auf die Auszahlungssumme vorgesehen. Diese Belastung wurde 2004 (rückwirkend!) nur für die Rentner eingeführt, die ihre Beiträge in eine Direktversicherung eingezahlt hatten.

Der Anteil der staatlichen Förderung bei den beiden Formen der Lebensversicherung hing in beiden Fällen von der persönlichen Situation des Versicherten ab, sodass er sich für die jeweils günstigere Form entscheiden konnte.

Mit der Gesetzesänderung von 2004 (§ 229 Absatz 1 SGB V) erweist sich aber die Jahrzehnte zurückliegende Entscheidung für die Direktversicherung im Nachhinein in jedem Falle als die ungünstigste, mit einem enormen Verlust gegenüber den anderen Vorsorgeverträgen.

Da der „Gesetzgeber“ auf der einen Seite höhere Einnahmen in der GKV erzielen wollte, auf der anderen Seite aber Auszahlungen aus Lebensversicherungen auch weiterhin nicht mit Beiträgen zur GKV belasten wollte, kam er auf die famose Idee, der einen Form der Lebensversicherung (Direktversicherung), rückwirkend das Etikett „betriebliche Altersvorsorge“ zu verpassen. Mit ein bisschen Versicherungsmathematik war dann auch schnell ein Weg gefunden, wie man die Einmalzahlung aus einer Lebensversicherung in eine Betriebs-Rente mit zehnjähriger Laufzeit verwandeln kann.
Allerdings hat diese famose Idee einen Haken: Sie beruht auf einem Etikettenschwindel, der zu einer eklatanten Ungleichbehandlung der beiden Versichertengruppen führt.

Anmerkungen zu Urteilen des BVerfG:
Wenn es dem Gesetzgeber freigestellt sein soll, Gesetze zu erlassen, die Auswirkungen auch auf Jahrzehnte zurückliegende Verträge haben, sollte er zumindest sicherstellen, dass die damit beabsichtigte Zielsetzung erreicht wird und die daraus resultierende Belastung gerecht verteilt wird. Im Falle der Beitragspflicht zur GKV aus Direktversicherungen wird dieses Ziel nicht erreicht:

Ziel des Gesetzgebers bei der Gesetzesänderung von 2004 war laut BVerfG „jüngere Krankenversicherte von der Finanzierung des höheren Aufwands für die Rentner zu entlasten und die Rentner entsprechend ihrem Einkommen verstärkt zur Finanzierung heranzuziehen“.

Das BVerfG bezieht sich dabei auf den höheren Aufwand für „die Rentner“ und hält es deshalb für gerechtfertigt, dass „die Rentner“ durch den „Gesetzgeber“ verstärkt zur Finanzierung herangezogen werden sollen.

Mit dieser Gesetzesänderung zieht der Gesetzgeber aber nicht „die Rentner“ verstärkt zur Finanzierung heran, sondern nur Rentner, die sich für eine Lebensversicherung in Form einer Direktversicherung entschieden hatten. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass nur die Rentner für den höheren Aufwand verantwortlich sind, die sich damals für eine Direktversicherung entschieden hatten.

Durch die Beschränkung der Belastung auf diese Rentnergruppe ergibt sich aber eine eklatante Ungleichbehandlung der Rentner, die keinesfalls mehr „verhältnismäßig“ und „zumutbar“ ist.
Wird nämlich die Auszahlung aus einer Lebensversicherung zum Einkommen eines Rentners hinzugerechnet, so ergeben sich nur geringfügige Unterschiede zwischen den beiden Versicherten-Gruppen:

In beiden Gruppen wäre bei gleicher Beitragszahlung auch die gleiche Auszahlung erreichbar gewesen und in beiden Gruppen hing die Rendite von der persönlichen Situation ab (zu versteuerndes Einkommen, Finanzierung von Beteiligungen, Baufinanzierung, …), sodass für den einen die Entscheidung für eine Direktversicherung, für den anderen die Entscheidung für eine private Lebensversicherung günstiger sein konnte, zumal die Entscheidung für eine Direktversicherung auch mit Nachteilen verbunden war.

Diese konnte frühestens mit dem Erreichen des 59. Lebensjahres gekündigt werden und sie durfte auch nicht beliehen werden, so dass bei Finanzierungsvorhaben in der Regel dadurch höhere Aufwendungen anfielen.

Bei Berücksichtigung der später mit der Gesetzesänderung nachträglich eingeführten Belastung mit den Beiträgen zur GKV, wäre die Entscheidung aber in allen Fällen eindeutig zu Gunsten der „privaten“ Lebensversicherung ausgefallen.

Bei einer solch langen Vertragsbindung handelt es sich zweifelsfrei um einen eklatanten Bruch des Vertrauensschutzes, wenn die Vertragsbedingungen nachträglich einseitig zum Nachteil des Versicherten geändert werden und dieser über diese Änderung noch nicht mal informiert wird.

Verträge sind einzuhalten und können nicht rückwirkend zu Lasten eines Vertragspartners geändert werden. Allenfalls können sie in gegenseitigem Einvernehmen für die Zukunft geändert werden.
Das gilt im Sinne des Vertrauensschutzes auch für Gesetzesänderungen mit Auswirkungen auf in der Vergangenheit abgeschlossene Verträge. Für diese sind deshalb entsprechende Übergangsregelungen erforderlich.

Da bei der Gesetzesänderung zur Direktversicherung keine Übergangsregelungen vorgesehen sind, ist diese vermutlich rechtswidrig. Zumindest erfüllt sie nicht den Anspruch, „die Rentner“ entsprechend ihrem „Einkommen“ (oder besser: entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit) zur Entlastung der jüngeren GKV-Versicherten heranzuziehen. Sie muss deshalb rückgängig gemacht werden oder durch entsprechende Regelungen ergänzt werden.

Wenn die Entlastung der jüngeren Krankenversicherten, und damit eine höhere Belastung der Rentner, vom „Gesetzgeber“ gewollt war, hätte es nicht dieses zweifelhaften „Tricks“ bedurft, eine ursprünglich beitragsfreie Lebensversicherung nachträglich einer „betrieblichen Altersvorsorge“ gleichzusetzen. Diese Entlastung hätte ganz einfach erreicht werden können, durch eine entsprechende Anpassung der Beitragssätze. Dazu hat dem „Gesetzgeber“ aber offensichtlich der Mut gefehlt.

Ging es dem Gesetzgeber allerdings nur um die (auch rückwirkende!) Umwandlung der bis dahin beitragsfreien Direktversicherung in eine beitragspflichtige „betriebliche Altersvorsorge“ (bei gleichzeitiger Beibehaltung der Beitragsfreiheit für private Lebensversicherungen) hätte er auch dieses Ziel ganz einfach erreichen können, durch eine Gesetzesänderung, die für künftige Verträge eine Beitragspflicht zur GKV festgeschrieben hätte und die mit entsprechenden Übergangsregelungen für Altverträge den Vertrauensschutz gewährleistet hätte

Folgende Übergangsregelungen für Altverträge wären dazu in Betracht gekommen:
• Angebot des Arbeitgebers/des Versicherers die Lebensversicherung ab dem Stichtag in eine der Beitragszahlung entsprechende Rentenversicherung umzuwandeln mit der Folge, dass die aus den künftigen Beiträgen erwirtschafteten Anteile der späteren Rente beitragspflichtig zur GKV werden.
• Umwandlung zum Stichtag in eine beitragsfreie „private“ Lebensversicherung, deren spätere Auszahlung nicht beitragspflichtig zur GKV ist.
• Angebot zur Fortsetzung der „betrieblichen Direktversicherung“ mit der Folge, dass die aus den künftigen Beiträgen erwirtschafteten Anteile bei der späteren Auszahlung beitragspflichtig zur GKV werden (verteilt auf zehn Jahre).

Auszüge aus Urteilen des BVerfG:
BVerfG, 1 BvR 739/08 vom 6.9.2010, Absatz-Nr. (1 - 18):
„…Die Einbeziehung der nicht wiederkehrenden Versorgungsleistungen in die Beitragspflicht ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar, insbesondere den Betroffenen zumutbar, weil der Gesetzgeber berechtigt ist, jüngere Krankenversicherte von der Finanzierung des höheren Aufwands für die Rentner zu entlasten und die Rentner entsprechend ihrem Einkommen verstärkt zur Finanzierung heranzuziehen. Der Vertrauensschutz der betroffenen Versicherten wird dabei nicht unzumutbar beeinträchtigt. …“

BVerfG, 1 BvR 1660/08 vom 28.9.2010, Absatz-Nr. (1 - 19)
„… Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die Altersversorgung in Form privater Lebensversicherungen nicht mit Beiträgen zur Krankenversicherung der Rentner zu belegen. …“

Link: Direktversicherung: Breschwerde an BVA
Quelle: Mail an die Redaktion

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