17.03.2008 - von I. E.-R.
Es geht um meinen an Morbus Alzheimer erkrankten 82jährigen Vater, den ich im Oktober 2007 in einer Seniorenresidenz unterbringen musste. Das Haus wurde im September 2007 neu eröffnet und warb gezielt mit der Betreuung von Demenzkranken. Leider sieht die Realität mehr als traurig aus. Nach langen Gesprächen versprachen Heim- und Pflegedienstleitung die Situation zu verbessern. Leider hielten die guten Vorsätze nur sehr kurze Zeit an. Im Anhang kopiere ich Ihnen mein heutiges Schreiben an die Heimleitung, aus dem Sie ersehen können, wie die derzeitige Situation für die Pflegebedürftigen und Demenzkranken derzeit ist.
Ich bin selbst am Ende meiner Kräfte und reagiere seit 3 Wochen mit Neurodermitis (hatte ich vorher nie!) und massiver Schlaflosigkeit und Erschöpfung auf die Situation. Wo finde ich Hilfe?
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Mein Schreiben vom 16.03.2008 an die Seniorenresidenz
Bei meinem heutigen Besuch (16.3.2008) fand ich meinen Vater wieder stark sediert vor. Der Neurologe hatte aber bereits kurz nach unserem letzten Gespräch die Verordnung geändert und Risperdal untersagt. (Die diensthabenden Pflegekräfte vom Vorabend waren Herr S. K. und Frau D., Nachtdienst hatten Frau P. und Frau W.)
Mein Vater konnte sich nicht auf den Beinen halten, war durch die Medikamentengabe massiv sturzgefährdet und kaum ansprechbar. Mein Vorhaben mit ihm nach draußen zu gehen, konnte ich nicht durchführen. Ich verbrachte Stunden damit, ihm Getränke und Essen einzuflößen. Gegen 19.00 Uhr hatte ich ihn endlich soweit, dass er überhaupt registrierte, dass wir da waren. Weitere 1 1/2 Stunden später konnte er an meinem Arm wieder durch die Gänge laufen und redete wieder zusammenhängend.
Auf Rückfrage bei Herrn K. wurde die Gabe von Risperdal oder ähnlichem Beruhigungsmittel bestritten. Angeblich habe mein Vater auf das von mir vor kurzem mitgebrachte Mittel "Baldrian Hetterich" (rezeptfrei) so reagiert . . . (ich werde dieses Mittel selbst ausprobieren, um die Wirkung zu überprüfen)
Der Wohnbereich (ca. 40 Bewohner) wurde sowohl Samstag (15.3.08) als auch Sonntag (16.3.08) wieder nur von z w e i Pflegekräften betreut, davon eine Fachkraft und eine Helferin. Das kann nicht funktionieren, da geben Sie mir sicher Recht. Bei so vielen schweren Pflegefällen und mindestens 50% Demenzkranken bleibt dem Pflegepersonal dann vermutlich nichts anderes mehr übrig, als zu Beruhigungsmitteln zu greifen.
Meine Rückfrage ergab weiterhin, dass diese Minimalbesetzung nicht erst seit 2 Tagen läuft. Wo ist das versprochene neu eingestellte Personal?
Die Betreuungssituation in der Seniorenresidenz R. ist mangelhaft. Hier muss umgehend etwas geschehen.
Weiterhin erfuhr ich, dass mein Vater auch an dem gemütlichen Musiknachmittag am Samstag (15.3.) vergessen wurde und auf seinem Zimmer dahin dämmerte. Er singt und musiziert sehr gern, deshalb finde ich das besonders schade.
Herr K., ich bitte Sie nochmals dringlich, die Pflege- und Betreuungssituation für die Bewohner und das Personal zu verbessern. Es muss doch für einen renomierten Träger möglich sein, hier auch zeitnahe Optimierung zu schaffen.
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Mein heutiger Besuch in R., wo mein Vater in einem Pflegeheim lebt, artete leider wieder zu einem mittleren Fiasko aus.
Erst das Positive:
Mein Treffen mit Frau W. von den Sozialen Hilfsdiensten R. e.V. verlief sehr angenehm. Wir kamen auch schnell überein, dass sie für Mittwoch- oder Freitagnachmittag eine Begleitung zum Spazieren für Vater sucht und auch über die finanzielle Seite sind wir uns einig geworden.
Als ich ihr dann meinen Vater vorstellen wollte, fanden wir ihn in einem absolut desolaten Zustand vor, so wie ich ihn während der letzten 5 Monate überhaupt noch nicht gesehen habe.
Er schien völlig desorientiert, saß mit hängendem Kopf am Kaffeetisch, reagierte kaum auf uns. Wir begaben uns dann langsam auf sein Zimmer, wo er ein bisschen Saft und ein paar Kekse von mir akzeptierte. Ich stellte fest, dass er mehrmals eingenässt hatte, man ihm aber weder eine Vorlage eingelegt, noch die Kleider gewechselt hatte. Er saß da mit völlig nasser Hose und nassen Strümpfen und das über Stunden.
Ferner war Vater wieder ungewaschen, unrasiert, ungekämmt und insgesamt sehr ungepflegt. Aber am schlimmsten war sein Zustand - ich fragte mich ,was innerhalb der 4 Tage, in denen ich ihn nicht gesehen hatte, passiert war.
Frau W. bemühte sich trotzdem sehr geduldig um ihn.
Da ich zunächst glaubte, dass Vater wieder viel zu wenig Flüssigkeit zu sich genommen habe, machte ich mich auf die Suche nach Getränken und Gläsern (normalerweise sind 1-2 Flaschen auf dem Zimmer gewesen). Ich stellte fest, dass man sämtliche Gläser und Schüsseln aus Vaters Schrank entfernt hatte.
Also begab ich mich zum diensthabenden Pflegepersonal und fragte nach, was mit meinem Vater geschehen sei, warum er in so schlechtem Zustand wie nie zuvor sei. Es stellte sich dann heraus, dass man ihm in der letzten Nacht angeblich erstmals Risperidon gegeben hatte, offenbar in einer Dosis, die für ihn mit seinen nunmehr nur noch 57 Kilo - er hat schon wieder ein Kilo verloren - viel zu hoch war.
Ich hätte am liebsten geweint - das Haus ist noch nicht einmal zu einem Drittel gefüllt und man stellt die Menschen bereits ruhig. Mein Vater sei unruhig gewesen , sei von Tür zu Tür gegangen und habe an deren Klinke gedrückt ... Tatsache war, dass mein Vater seinen Schlüsselchip wieder einmal verlegt hatte und diesen nun verzweifelt auf seine Weise suchte. Das hat aber wohl keiner begriffen. (Ich habe den Chip heute in seiner Anzugstasche im Schrank gefunden)
Stattdessen - weil man sein Verhalten nicht verstand und durch mangelnde Validation auch nicht zu einer Beruhigung bei ihm beitragen konnte, stellte man ihn mit Risperidon ruhig.
Frau W. bekam all das mit und zeigte sich ebenfalls tief betroffen. Sie riet mir, die Heimleitung und die Pflegedienstleitung nochmals auf die Zweigstelle der Alzheimer Gesellschaft in R. hinzuweisen, was ich gerne am Montag tun werde - nur ob es nützt?
Nachdem sie gegangen war, bat ich meinen Vater, mir noch mal sein Gesäß zu zeigen, an dem er als m o b i l e r Bewohner innerhalb der letzten 2 Monate einen Dekubitus entwickelt hat - ich betone ausdrücklich, dass er mit einwandfreier Haut in das Haus eingezogen ist.
Als ich dann sah, wie sehr sich die Entzündungen und Hautaufschürfungen innerhalb einer Woche verschlechtert haben und sich zusätzlich noch neue große, rote Stellen seitlich vom Po gebildet haben, rastete ich aus.
Ich habe fast täglich - wenn ich nicht zu Vater fahren konnte - im Dienstzimmer angerufen und mich nach seinem Gesundheitszustand erkundigt und man sagte mir wiederholt, es sei alles schon viel besser - und nun das!
Ich verarztete meinen Vater zunächst so gut es ging - er jammerte furchtbar, dass ihm das Sitzen so weh tue und dann stürzte ich zum Dienstzimmer...
Sie kennen mich ein bisschen, ich bin ein geduldiger und verständnisvoller Mensch, aber das war zuviel. Ich wurde schon etwas lauter und fragte, wie man sich die Pflege meines Vaters weiter vorstelle, ob man denn nicht sehe, dass er innerhalb kürzester Zeit extrem hinfällig würde ...
Verschlossene Gesichter. Dazu wolle man nun nichts sagen. Das solle ich mit der Heimleitung besprechen. Die diensthabende Dame erdreistete sich zu sagen, ich müsse mch wohl damit abfinden, dass man Vater immer älter würde.
Dies wurde alles nur im Vorbeigehen gesagt, man nahm sich noch nicht einmal die Zeit, mein Anliegen angemessen anzuhören.
Der diensthabende Herr - ein Herr M. - entschloss sich dann schließlich dann doch mit mir auf Vaters Zimmer zu gehen und sich die Sache anzusehen.
Er sagte selbst, so schlimm habe er das "da hinten" noch nie gesehen und auch die neuen Stellen seien ihm nicht bekannt gewesen. Wir trugen gemeinsam Heilsalbe auf und Herr M. holte eine Einlage, die die Flüssigkeit aufsaugen sollte.
Trotzdem verließ ich meinen Vater mit ungutem Gefühl. Insgesamt habe ich 7 Stunden in R. verbracht.
So stelle ich mir eine gute Pflege nicht vor. Auf meine Frage, warum die Dinge so unzureichend laufen, erhielt ich keine wirkliche Antwort. Als ich danach fragte, ob es an qualifiziertem Personal mangele, hörte ich: dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Ein "Nein" hörte ich auf meine Frage nicht.
Ich bin verzweifelt und ratlos. Ich denke, ich muss mich wieder auf die Suche begeben und muss alle meine Empfehlungen, die ich für das Haus gegeben habe, zurücknehmen.
Die verpilzten Fußnägel meines Vaters traue ich mich angesichts dieser Missstände gar nicht ins Gespräch zu bringen - was sind die schon, gegen einen sich verschlechternden Dekubitus bei einem Menschen, der gar nicht bettlägerig ist?
Bitte raten Sie mir, was kann ich tun, um meinem Vater zu helfen?
Ich kann keine Nacht mehr schlafen, weil mich das alles so sehr bedrückt. Die Würde des Menschen ist - wenn er alt, gebrechlich und dement wird - eben doch antastbar. Es ist so grausam. Diese alten Menschen haben ihr ganzes Leben gearbeitet, ihr Pflicht getan, dieses Land verteidigt und mit aufgebaut - und was hat unsere Gesellschaft für sie übrig? Es ist einfach nur schäbig und ich sehne mich nach einer Gerechtigkeit.
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