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14.11.2025 - von Hanne Schweitzer
Brauchen Hundertjährige teure Medikamente? "Der CDU-Gesundheitspolitiker und Drogenbeauftragte der Bundesregierung Hendrik Streeck hat die Frage mal wieder aufgeworfen. Er bricht damit kein Tabu sondern liegt im Trend. Jedes beliebige Alter kann als Grenze bestimmt werden, um tatsächlichen oder behaupteten Sachzwängen genüge zu tun. 2003 machte sich der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder mit der Frage bundesweit bekannt, ob 85Jährige noch eine künstliche Hüfte bekommen sollten.
Beim Amtsgericht Paderborn entschied eine Richterin 2009 im Fall eines Rentners, der sich geweigert hatte, die Zahnarztrechnung zu bezahlen, weil er seine Prothese nicht länger als zwei Stunden tragen konnte vor lauter Schmerzen, es reiche aus, wenn das Gebiss nur zwei Stunden am Tag funktionsfähig sei. Zwei Stunden, das sei kein unerheblicher Zeitraum, vor allem im Hinblick auf das Alter des Mannes. Der Rentner war 73.
Weil zur Zeit mal wieder an einer Kürzung der Gesundheitsversorgung herumgewurschtelt wird, mehren sich Vorschläge von Bestverdienern, die bekanntlich länger leben als Menschen mit niedrigem Einkommen, ältere gesetzlich versicherte Menschen anders medizinisch zu versorgen als jüngere. Das sind Versuchsballons. Getestet werden soll, ob es einen Aufschrei der Empörung geben wird, wer reagiert, wie geschlossen die Abwehrmauer ist, und wie tief die gezielte Altersdiskriminierung ins Bewusstsein sickert und dazu beiträgt, die Solidarität zwischen den Generationen zu erschüttern.
Unlängst schlug Thomas Lemke, Chef der drittgrößten privaten Klinikgruppe in Deutschland Leistungskürzungen für über 80-Jährige vor. Wollte Missfelder noch den 85Jährigen die künstliche Hüfte verwehren, hat Lemke die Altersgrenze nach unten verschoben. Künstliche Hüften und Kniegelenke als Kassenleistung will er nur noch bis 80. Oder mit Selbstbeteiligung.
Die Sozialverbände haben Lemkes Vorschlag widersprochen, ebenso Andreas Gassen in seiner Eigenschaft als Chef der Kassenärzte und vielleicht auch, weil er mal Orthopäde war und die Malaise kaputter Knie und Hüften aus eigener Anschauung kennt. Doch wer schützt uns vor Altersdiskriminierungen im Gesundheitssystem wenn die Gassen-Generation in Rente ist und die Technokraten nachrücken? Sätze wie der des Chefs der Kassenärzte werden denen kaum über die Lippen kommen: „Das Wesen eines solidarischen Krankenversicherungssystems ist es ja gerade, medizinische Leistungen zu ermöglichen, wenn sie gebraucht werden, unabhängig von Alter, Geschlecht und Verdienst.“
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