Diskriminierung melden
Suchen:

IN EINE ANDERE WELT

Foto: H.Jeromin

21.06.2024 - von Hartmut Jeromin

Ich bin im Leben viele Male umgezogen, zuletzt nun nach 26 Jahren nochmals. ... ich komme zwar damit klar, aber nun kommen die Probleme des Alters hinzu wie schnelle Ermüdung, schlechte Fortbewegung. .. hier nun habe ich nochmal ein wenig Freiheit für meine eigenen Befindlichkeiten. ... es könnte also zum letzten Mal gewesen sein. ... Ich sehe aus dem Fenster vom Schreibtisch aus, sehe ins Grüne, warte auf den Telekom-Mann ... ich liebe jedes Wetter, habe Stubenwuhling gemacht, um 12 Uhr gibt es Mittag, es entwickelt sich. Die Welt wurde schöner mit jedem Tor!

*

Die andere Welt, die ist weiß, neu, teuer, mitten im Dorf und sehr unübersichtlich. Obwohl im Ort in guter Lage zum Kurpark die Gebäude der alten Klinik noch nutzlos herumstehen, es musste hier gebaut werden. Aber, wie wir früher sagten: Die Genossen werden sich schon was dabei gedacht haben. Haben sie? Sie wollten ihr Geld anlegen und dann stückweise wiedergewinnen, mit gutem Aufschlag. Das dürfen sie. Dazu braucht es Kunden, zahlende. Und einer davon bin nun ich, der, weil ihm „legal“ die Wohn-und Schlafstätte per Eigenbedarf entzogen wurde, jetzt hier einzog. Ins Seniorenwohnen mitten in Kreischa.

Der Umzug ist insgesamt sehr stressig, es gibt viel zu schleppen, zu packen, schlimmer noch - zu entsorgen. Dabei sind auch die Medien zu demontieren. Fernseher, Laptop, Radio, Drucker, Mobiltelefon, alle Strippen, Ladegeräte, Fernbedienungen, Lampen, alles, was zum modernen Leben dazugehört ... vorher die Telekom kontaktiert, neue Verträge gemacht, den neuen Umständen angepasst und nun: hinein ins neue Heim!

Neben Möbeln, Kleidung, Büchern, Fotoalben, Hausrat ziehen auch die Geräte mit um, schön vorsichtig. Alles bekommt einen neuen Standort. Damit sind wir tagelang beschäftigt. Nun die Medien gestöpselt. Und weil ich ahnte, dass es schwierig wird, den Fachmann geordert. Der kommt, braucht zwei Stunden, es flimmert, er stellt seine Rechnung: 150 €. Ermattet setzen wir uns Abends vor den Fernseher. Bild und Tonqualität wie gewohnt trotz HDMI und Glasfaser, neuem Modem und altem Router und dem Werbeslogan mit RTL-Plus ...

Am nächsten Morgen geht nichts mehr. Das Handy lässt sich nicht mehr aufladen, ja, es entlädt sich, der Drucker streikt, Fernsehen geht gar nicht, das Radio hat sehr schlechten Empfang. Es ist zum ... Mäusemelken. Und niemand hilft, Telekom stellt sich tot, ich soll Ferndiagnose nutzen. Ergebnis: Wir können ihr Problem nicht lösen. Also wieder in den Telekom-Shop. Die Herren sind sehr gelangweilt. Also Morgen 10 Uhr Telefonkonferenz. Mit erneuter Ferndiagnose. Aber wie soll ich telefonieren, wenn nichts geht. Und natürlich, 10 Uhr bleiben alle Geräte still. Einen anderen Fachmann geordert, der kennt sich aber mit Glasfaser nicht so aus. Ergebnis 0 aber 80 € Kosten.

Missmutig fahre ich zum Apfelshop in Borten und aus Frust kaufe ich da noch eine Käsemahlzeit vom Feinsten ein, man gönnt sich ja sonst nichts. Inzwischen war auch der Sperrmüll da und lud unsere Hinterlassenschaften auf. Die Sorge bin ich los, mein Medienproblem nicht!

Da läuft mir H.H. über den Weg, er war mein Nachbar und an unserem Ergehen schon immer interessiert. „Na, kommst du klar?“ Ich berichte zaghaft, und weil er uns bei den Medien schon immer unterstützte, gehe ich ins Detail. Er wird immer ungläubiger. Vor allem bei der Sache mit dem Handy und dem Drucker wird er skeptisch. „Hatten denn die Steckdosen Strom?“ Ja natürlich, Lampen usw. funktionieren doch. „Geh doch mal an eine andere Steckdose!“ sein Rat. Ach, Hinzi, du hattest ja früher auch schon immer so gute Ratschläge ...

Zu Hause suchte ich nun nach einer funktionierenden Nachtischlampe, um die 10 Steckdosen an der einen Wand (da wird Montag die Küche aufgebaut) zu prüfen. Und will`s der Teufel, die, an denen ich das Handy laden und den Drucker betreiben wollte, hatten keinen Strom. Die waren waagerecht angebracht, die senkrechten hatten Strom! Das verstehe wer will! Also umgestöpselt: Mobil geht wieder, lässt sich aufladen und der Drucker (gut, er braucht mal wieder neue Farbkassetten) rattert auch.

Und damit werde ich der Telekom meine Vertragskündigung ausdrucken, bei der Sparkasse deren Abbuchungen stornieren. Insgesamt: Eine perfide Form von Altersdiskriminierung.

Aber sonst? Ich kann nicht klagen. Das Haus füllt sich. Gestern ein Möbelwagen aus Neustrelitz, heute einer aus München. Auf den Gängen begegnet man Mitbewohnern die fragen, ob sie in der richtigen Etage sind, der Koch bleibt freundlich, die Reinigungsfrau lächelt, der Hausmeister guckt weiterhin etwas grimmig. Aber er hat mir heute einen Möbelroller geborgt für einen Schranktransport. Den konnte ich mit einer Hand dirigieren.

Die Pflegedienstleiterin jubelte mir einen obligatorischen Betreuungsvertrag für 195 € monatlich unter. Für Kunden ohne Pflegegrad inklusive Hausnotrufgerät! Wenn das die Telekom wüsste, dass hier doch was geht ..., denkt Hartmut Jeromin in dieser Nacht, schaut auf seine Smartwatch und beginnt seine zweite Runde Nachtschlaf mit Wachphasen, Leichtschlaf, Remschlaf und Tiefschlaf (laut Fitbit).

Quelle: Hartmut Jeromin