Diskriminierung melden
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Information über meine Petition zur Diskriminierung pflegender Angehöriger, hier Diskriminierung wegen des Lebensalters / Altersdiskriminierung

Foto: H.S.

24.05.2024 - von R. Liebig

"Haben wir ein dysfunktionales intransparentes Petitionssystem, das einen demokratischen Refresh braucht?", mit diesem Satz endet der erste Bericht über die Petitionserfahrung des Ralph L. im März 2024. Thema war die gut getarnte Ungleichbehandlung pflegender Angehöriger wegen ihres Lebensalters Link . Europäische Gesetzgebungen bzw. Richtlinien spielen bei Liebigs Argumentation eine wichtige Rolle. Hier nun sein zweiter Blick zurück auf die Behandlung seiner Petition:

"Der Petitionsausschuss hat meine Petition einem nur allgemeinen Begehren gegen Diskriminierung als Mehrfachpetition untergeordnet und trotz Nachschärfens dennoch einstimmig (Vertreter aller politischen Parteien!) mit der zweitklassigen Empfehlung „zur Erwägung“ unter dem Titel „soweit es um die Verbesserungen für pflegende Angehörige bei der gesetzlichen Rente geht“ an die Bundesregierung weitergeleitet. Meinen Ansatz
Altersdiskriminierung wollte man nicht verstehen, geschweige bearbeiten.

Frau Staatssekretärin Griese und Herr Bundesminister Heil haben geantwortet

… Pflege ist wichtig…, Pflegepersonen sollen sozial abgesichert sein
… grundlegende Vorschrift sei §44 SGB XI (Pflege), in Verbindung mit §3 Satz 3 SGB VI (Rente)
… 30-Stunden-Regel sei typisierend, generalisierend … für Pflegepersonen ohne Erwerbstätigkeit
… kein allgemeiner Nachteilsausgleich für Pflege gesetzlich beabsichtigt, …
… pauschaler Ausgleich für Alterssicherungs-Nachteile bis zur Basis einer Dreiviertel-Stelle…
… Abschaffung der 30-Stunden-Grenze erhöhe Zahlungen der Pflegeversicherung
… Gesundheitsministerium: Dies würde den Finanzrahmen überschreiten…
… GM: erfordere Anhebung des Beitragssatzes Pflege oder zusätzliche Steuermittel


Zu meinen Erfahrungen zum Thema Altersdiskriminierung

Sie (die PolitikerInnen) können sich von Berufs wegen mit Menschenrechten befassen, ohne unterscheiden zu können zwischen der Diskriminierung der Alten oder Diskriminierung wegen des Lebensalters (auch Altersdiskriminierung).


Zum Ablauf des Petitionsverfahrens

Die Anzahl der Petitionen im Jahr ist mindestens fünfstellig. Flüchtigkeitsfehler und Kompetenzdefizite sind ebenso möglich, wie auch fehlender politischer Wille. Deswegen wandte ich mich nochmals telefonisch an die Ausschuss-Vorsitzende, die mir eine erneute Prüfung zusicherte. Danke dafür. Dennoch habe ich im ersten, im zweiten Text und auch im Telefonat auf Altersdiskriminierung verwiesen, Rechtsquellen benannt und dennoch
keine sachbezogene Antwort erhalten. Keine der im Ausschuss vertretenen politischen Parteien wollte zu Altersdiskriminierung in diesem Fall Stellung beziehen, den Einfluss von Europarecht auf Bundesgesetze zur Kenntnis nehmen oder gar bestätigen.


Zur Antwort der parlamentarischen Staatssekretärin und des Bundesministers

Soweit mein Petitionsanliegen vom Ausschuss bewusst missverstanden wurde, wurde der Regierung die Positionierung erleichtert. Der Empfehlung zur Erwägung „soweit es um die Verbesserungen für pflegende Angehörige bei der gesetzlichen Rente geht“ nicht zu folgen, Absicht zu bekunden ohne konkret zu unterstützen, bleiben leere Worthülsen. Die geänderte Rechtslage durch Flexirentengesetz hätte man kennen müssen, weil dadurch auch ohne EU-Recht diskriminierende Ungleichbehandlung gesellschaftspolitisch unhaltbar werden. Das
Gesundheitsministerium, das unsere Teilkasko-Pflegeversicherung verantwortet, sollte wissen, wenn Rentenpunkte zu Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhalts für den gesellschaftlichen Beitrag Pflege werden, so gleicht der Hinweis auf Finanzrahmen, höhere Beitragssätze und zusätzliche Steuermittel, einer neoliberalen Aufforderung an die am geringsten Bezahlten, bzw. in 24/7-Jobs Beschäftigten, in der Pflege „unbezahlte“
Überstunden zu leisten, der sich selbst entlarvt.


Zur Europarechtlichen Dimension

Altersdiskriminierung ist in der Richtlinie 2000/78, in Art. 19 AEUV und in Art. 21 Abs.1 der EU-Grundrechte-Charta, im Art. 3 GG (Papier ist geduldig) und mit zahlreichen Einschränkungen im AGG verboten. Das EuGH-Urteil C-587/20 hat Rechtsgeschichte geschrieben: Die Richtlinie 2000/78 „… ist keinesfalls auf Arbeitsverhältnisse begrenzt. Vielmehr ist der Zweck der Richtlinie auf die Beseitigung aller auf Diskriminierungsgründe gestützter Hindernisse für den Zugang zu Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhalts und die Fähigkeit, durch Arbeit, egal in welcher Rechtsform, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.“
Für Aufklärung, Auskunft, Beratung und Klarheit, Sachdienlichkeit im Sinne von SGBI und für EU-Menschenrechte hier ist niemand zuständig.


Zum Demokratiebezug

Es ist nicht nur abenteuerlich, wenn Mandatsträger unter der Flagge Demokratie und Sozial segeln, aber knallhart neoliberal Klassenkampf gegen die Schwächsten unserer Gesellschaft führen. Wählertäuschung.
Vergessen wir nicht, behinderte Pflege (Pflegenotstand: Selbst Pflegedienste können abwählen, was sie nicht leisten können oder wollen!) spielt mit den Lebenschancen älterer Bürger, ist für die Betroffenen im Zweifel auch tödlich. Mir wäre wohler, könnte ich behaupten: Denn Sie wissen nicht was sie tun. …


Ausblick

Es gibt auch bei anderen Europäischen Partnern Regelungen, die nicht zum Europarecht passen. Selbst bei unstreitigen Regresspflichten wegen Kunstfehler, ist erst ein Urteil nötig, bevor jemand zahlt.
Unsere britischen Nachbarn hatten Probleme mit der EU, auch unsere ungarischen und polnischen Nachbarn stören sich daran, dass einiges nun durch EU-Recht gestaltet wird.


Care work: Equal pay for equal work
Zur Erinnerung: Normenhierarchie:

1. EU-Primärrecht
2. EU-Sekundärrecht
Verordnungen
Richtlinien
3. Grundgesetz
4. Einfache Gesetze, Bund, Länder
5. Untergesetzliches Regelwerk
6. Satzungen Selbstverwaltung usw.

Europäische Menschenrechts Charta und Grundgesetz enthalten Diskriminierungsverbote.
Gerichte bilden Recht in ihrer Ebene fort: Landesrecht, Bundesrecht, Europarecht.
Das AGG regelt Anti-Diskriminierung auf Anregung der EU-Richtlinie für die BRD.
Richtlinien, die Staaten nicht voll oder zu spät umsetzen, werden unmittelbar für Bürger gültig, falls konkret genug.
Gerichte müssen Lücken schließen, Missverständnisse ausräumen und unbestimmte Rechtsbegriffe auslegen.
Die nationalen Gerichte sind an die Auslegung des EU-Rechts durch den Europäischen Gerichtshof gebunden. Das Verbot, wegen des Alters zu benachteiligen, findet sich nicht nur in der genannten Richtlinie 2000/78, sondern auch in Art. 19 AEUV und in Art. 21 Abs. 1 der EU-Grundrechtecharta.

Der EuGH hat mit C-587/20 (steht nach Normenhierarchie über dem GG) Rechtsgeschichte geschrieben:
Die Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78 meint „ … sie ist keinesfalls auf Arbeitsverhältnisse begrenzt. Vielmehr ist der Zweck der Richtlinie auf die Beseitigung
aller auf Diskriminierungsgründe gestützter Hindernisse für den Zugang zu Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhalts und die Fähigkeit, durch Arbeit, egal in welcher Rechtsform, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.“


Was heißt das jetzt

Gemäß Flexirentengesetz (ermöglicht Arbeiten nach Erreichen der Regelaltersgrenze) zahlt die Pflegeversicherung Rentenbeiträge für Pflegepersonen, die auf 0,01 Prozent ihrer Rente verzichten (keine Vollrente mehr beziehen), wenn Sie einen oder mehrere Personen mit Pflegegrad 2 oder höher nicht erwerbsmäßig insgesamt mindestens 10 Stunden und an mindestens zwei Tagen pro Woche häuslich pflegen, was sich rentensteigernd auswirkt.

Damit ist Pflege Arbeit oder gesellschaftlicher Beitrag und die gewährten Rentenpunkte sind Mittel zur Sicherung des Lebensunterhalts (C-587/20). Dies Rechtsverhältnis stellt die Norm dar.
Alle weiteren o.g. Regeln im SGB XI, SGBVI und Fristen analog BSG 2013Az. B 13 R 91/11 bezwecken Ausschluss und Diskriminierung, sind unmittelbare Verstöße gegen Europäisches Anti-Diskriminierungsrecht, hier Altersdiskriminierung.

Zusatzforderungen, neben der Einstufung durch den MDK (Pflege durch Angehörige ist nicht antragsbedürftig!) einen kurz befristeten Extra-Antrag stellen zu müssen, um jüngere Pflegepersonen, die vielleicht noch einer anderen Beschäftigung nachgehen (müssen), aus-
schließen und diskriminieren zu können, werden weder „Arbeit“ noch „Lebensunterhalt“ des Urteils gerecht.

Rechtsfolge: Gesetzliche Regelungen der EU-Staaten, die der Richtlinie nicht entsprechen, sind eu-rechts-konform auszulegen, eu-rechts-konform anzuwenden oder überhaupt nicht mehr anzuwenden."

Quelle: R. Liebig, Petitionsausschuss des Bundestags, Bundessozialminister