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326 Mitarbeiter der Uniklinik Tübingen: Nicht impfen und nicht boostern

F: H.S.

08.02.2022 - von Mitarbeitende der Uniklinik Tübingen, Hanne Schweitzer

Ende Januar 2022 haben Mitarbeitende der Uniklinik in Tübingen einen offenen Brief geschickt an den leitenden ärztlichen Direktor und Vorstandsvorsitzenden der Klinik. Diese besteht aus 17 Kliniken mit 1.589 Betten und 15 Instituten für die mittelbare Krankenversorgung. Der Brief war ebenfalls gerichtet an die kaufmännische Direktorin und Stellvertretende Vorstandsvorsitzende, den Pflegedirektor und an die Mitglieder des Personalrats. Unterschrieben wurde er von Beschäftigten aus allen Bereichen der Klinikarbeit.

Thema des Briefes ist, wenig überraschend - die Impfpflicht für das Gesundheitspersonal, die Mitte März 2022 in Kraft treten soll. Die 326 Unterzeichner eint: sie wollen sich entweder nicht impfen oder nicht boostern lassen. Weitere Themen sind der rüde Umgang der Geimpften mit den Ungeimpften während der Arbeit und die "diskriminierende" Pflicht der Ungeimpften, den Corona-Test unter Aufsicht durchführen zu müssen - entweder im Bürgertestzentrum oder bei den Vorgesetzten. Gefordert wird der Zugang zur Kantine für Ungeimpfte (mindestens das Essen holen soll erlaubt werden), und es wird Verwunderung darüber geäußert, dass Ungeimpfte in den Dienstplänen für März ab dem 16. März als "Freigestellt" eingetragen wurden.

(Letzteres könnte sich wegen der zunehmend mürber werdenden Impf-Deadline mittlerweile geändert haben. Der Brief ist vom 29.01.2022. Heute, am 7.2. dann: Söder gegen Lauterbach: Söder will die Pflicht zur Schutzimpfung gegen Corona in Bayern für die Beschäftigten im Pflege- und Gesundheitswesen bis auf weiteres nicht umsetzen. Großzügige Übergangsregelungen sollen dabei helfen. Vielleicht wirkt das ansteckend auf andere Bundesländer. Erst einaml nicht. Am Montag, dem 7.2.22 teilte ein Sprecher des Baden-Württembergischen Gesundheitsministeriums zu dpa, dass die Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen BWs weiter wie geplant umgesetzt werde. Man halte an der Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht fest, teilte ein Sprecher am Montag der Deutschen Presse-Agentur mit. Gewisse Übergangsfristen, das ja, auch die Gesundheitsämter hätten gewisse Spielräume, und wenn sich eine Pflegekraft am 14. März 22 erstmals impfen lasse, müsse sie nicht mit der Kündigung rechnen.)

Wer hat unterschrieben?
Die Tübinger Uniklinik firmiert als Anstalt des öffentlichen Rechts. Für das Jahr 2020 gibt sie an, einen "Gesamterlös Krankenversorgung" von "729.641 in T€" erzielt zu haben.
An der Erarbeitung dieses Erlöses hatten sich aber nicht nur "2.448 Ärztliche & wissenschaftliche Beschäftigte" beteiligt, wie die Klinik angibt, sondern auch die Mitarbeiterinnen von Reinigungsdiensten, der Wäscherei und weiteren "supportiven" Arbeitsbereichen. Dazu 960 Arbeitende in den Laboren, plus die in der Technik, im Fahrdienst und vor den Bildschirmen. 323 Unterschriften. Aus welchen Arbeitsbereichen?

Der offene Brief der Mitarbeiter in der Uniklinik Tübingen ist nicht der einzige der in der Stadt und im Netz kursiert. Einer von ihnen ist auf den 9.11.2021 datiert. Er wurde dem Rektor der Universität, Prof. Dr. Bernd Engler zugestellt. Absender ist die Partei "dieBasis", deren Webseitenlogo die Worte "Freiheit" in grün, "Machtbegrenzung" in blau, "Achtsamkeit" in rot und "Schwarmintelligenz" in gelber Farbe zeigt. Die Worte werden, wohl wegen ihrer Bedeutungsschwere, "Säulen" genannt, und zwei Säulenbeauftragte kümmern sich um alle vier. Die Partei dieBasis wird als rechtsoffene Schwurbelpartei bezeichnet und wurde vom Facharzt für Allgemeine Medizin und Arbeitsmedizin, Dr. Dieter Kissling mitgegründet. Er gehört zum Vorstand des Instituts für Arbeitsmedizin in Baden/Schweiz.

An den Rektor der Tübinger Uni hat die Partei im letzten Jahr geschrieben: "Der Kreisverband Tübingen spricht sich hiermit entschieden gegen eine 3G-Regel an der Universität Tübingen aus und fordert die Universität auf, die Diskriminierung ungeimpfter Studierender zu unterlassen." Sprechen so Rechte? Zumindest nicht die militanten. Auf einem Foto, mit dem die Partei einige ihrer Mitglieder vorstellt, sind 18 Leute zu sehen, leger im Halbkreis stehend oder sitzend. Ganz hinten vier mittelalte bis alte Männer, vor ihnen 14 junge Leute, 11 davon junge Frauen. Die Texte für den Webauftritt der Partei schreibt Dr. Kissling. Er hat einen wesentlichen Anteil daran, dass im März 2021 immerhin 48.490 Leute aus dem Stand bei den Landtagswahlen in Baden Württemberg der Partei ihre Stimme gegeben haben. dieBasis wurde im Juli 2020 als Nachfolger der kurzlebigen Partei „Widerstand 2020“ gegründet.

Der Offene Brief der Partei an die Uniklinik ist als Aufforderung formuliert, der offene Brief der Mitarbeiter des Klinikums als Anfrage und Bitte: "Was können wir gemeinschaftlich tun, um dies abzuwenden?" "Wir bitten Sie eindringlich um Ihre Unterstützung"." Laut Satzung ist das Ziel der Parteiarbeit: "ein liebevoller, friedlicher Umgang miteinander, bei dem das Menschsein und die Menschlichkeit des Anderen immer Beachtung finden."

Gemeinsam ist beiden Briefen die Verwendung des Wortes Diskriminierung. Im Sprachgebrauch der neuen Rechten, bei den Freikirchlern und Evangelikalen wird das Modewort "Diskriminerung" zunehmend verwendet. Ebenso in der Eso- und anthroposophischen Szene. Apropos: Im bayerischen Coburg hat die Polizei ein Treffen von 55 Reichsbürgern aus der ganzen Republik aufgelöst, weil sie am Samstagabend unerlaubt in der Rudolf-Steiner-Schule von Coburg getagt haben. Den Zutritt zur Schule wurde ihnen vom Hausmeister verschafft. Der Kitt zwischen Esoterik und Anthroposophentum hält gut. Die Sozialwissenschaftlerin Claudia Barth von der Hochschule Esslingen: „In der deutschen Esoterik ist rassistisches, antisemitisches und völkisches Denken fester Grundbestandteil“.
Zur Erinnerung: "Als am 21. April 2021 die Corona-„Notbremse“ beschlossen wurde, schleuste ein Bundestagsabgeordneter drei Mitglieder der „Basis“ in den Bundestag ein, darunter der Aktivist Markus Haintz. Er und seine Kamerafrau versuchten, im Innern des Bundestags Filmaufnahmen anzufertigen, bis ihnen dies untersagt wurde." siehe netzpolitik.org
"Die Basis eine schrecklich nette Partei" unter: Link

Randalig ging es in Tübingen in "der Nacht vom 22.01 auf den 23.01.2022" zu. Das Infoportal "Tueinfo" berichtet: Jugendliche und junge Erwachsene randalierten am Tübinger Wohnprojekt „Münze“. "Sie rissen ein Transpi und Plakate herunter und riefen im Zuge dessen auch rechte Parolen. Ein Teil von ihnen griff kurz danach in der Bursagasse Höhe Porto Pino eine kleine Gruppe Antifaschist:innen mit Flaschen und Fäusten an. Als mehr Leute dazu strömten, flohen sie über die Platanenallee und wurden beim Betreten des Geländes der Burschenschaft Germania in der Neckarhalde gesehen. Dort fand eine Veranstaltung statt.
Die Angreifer waren relativ jung (ca. 16-24 Jahre) und trugen zum Teil Kleidung der Identitären Bewegung. Zwar waren sie ziemlich feige und griffen nur als große Gruppe wenige Leute an, aber dennoch sollte dieser Vorfall als Warnung dienen, keine rechten Aktivitäten innerhalb Tübingens zuzulassen.“

"Randalierer" genannte Rechte suchen und finden Schutz im Haus der Burschenschaft Germania in Tübingen. Germania ist die älteste schlagende und farbentragende Verbindung an der Universität. Die Mitglieder werden als "Germanen" bezeichnet und Studenten, die solche werden wollen, können ein Semester lang ein Zimmer im Germania-Haus für 250 Euro mieten. Für aktive Mitglieder der Burschenschaft kostet es nur noch 150 Euro. So wird Nachwuchs rekrutiert.
Hanne Schweitzer

OFFENER BRIEF
Sehr geehrter Herr Professor Bamberg, sehr geehrte Frau Sonntag, sehr geehrter Herr Tischler, sehr geehrte Damen und Herren des Personalrats,


ab dem 16. März 2022 gilt in Deutschland in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen eine einrichtungsbezogene Impfpflicht gegen COVID-19. Als Mitarbeitende des Universitätsklinikums Tübingen betrifft uns dieser Beschluss unmittelbar, aus diesem Grund wenden wir uns in diesem offenen Brief an Sie. Wir, das sind weit mehr als 300 Kolleginnen und Kollegen des Universitätsklinikums Tübingen, darunter sowohl medizinisches Fachpersonal, Ärzte, Verwaltungsangestellte als auch Mitarbeitende in technischen und supportiven Bereichen.

Die letzten zwei Jahre waren für uns alle am UKT entbehrungsreich und belastend. Viele von uns sind seit COVID-19 selbstverständlich eingesprungen, wann immer es nötig war, haben sich freiwillig versetzen lassen, um Engpässe zu kompensieren, viele Überstunden wurden gemacht. Persönliche Ängste traten in den Hintergrund, um stattdessen verunsicherten und verängstigten Patienten Halt zu geben. Durch diese außerordentlichen Leistungen sind viele an ihre Grenzen gekommen und über sich hinausgewachsen.

Es fällt uns nun aber zunehmend schwer, unsere eigene körperliche Unversehrtheit von politischen Entscheidungen abhängig zu machen. Einige Kolleginnen und Kollegen sind genesen, andere haben sich aus individueller Risikoabwägung gegen die Impfung entschieden, wieder andere möchten sich nicht mehr boostern lassen, weil unklar ist, wie oft sie ihre Impfung erneut auffrischen müssen und ob die Impfung den gewünschten Effekt gegen Omikron und weitere Varianten bringt. Wir haben zunehmend Impfdurchbrüche erlebt und zugleich viele Genesene in unserem Umfeld beobachtet, die während ihrer Erkrankung keine auffälligen Symptome entwickelten. Mittlerweile sind wir auch aufgrund der Mutationen nicht mehr vom Schutz der Impfung überzeugt.

Wir fragen uns, ob es tatsächlich richtig ist, unsere persönlichen Ängste und Bedenken über die COVID-19-Impfung zu ignorieren und zu übergehen. Wir sehen, dass Risikogruppen von der Impfung profitieren; wir beobachten aber auch, dass auf den Intensivstationen hauptsächlich Risikopatienten liegen, selten jedoch Patienten ohne relevante Vorerkrankungen.

Wir wünschen uns in diesem Zusammenhang eine offene und ehrliche Kommunikation sowie Transparenz, sowohl nach innen, als auch nach außen. Seit einem halben Jahr müssen sich viele von uns mit beleidigenden und beschämenden, teilweise sogar menschenverachtenden Verhaltensweisen am UKT auseinandersetzen. Ungeimpften Kolleginnen und Kollegen wird z.B. gewünscht, einen schweren Verlauf zu bekommen oder zwangsgeimpft zu werden. In ähnlicher Weise sind auch die uns anvertrauten ungeimpften Patienten betroffen. Wir befinden uns in einer Situation, die als Mensch kaum zu ertragen, geschweige denn zu begreifen ist.

Warum gibt es intern keine einheitlichen Vorgaben und Hilfe?

Wir können nicht nachvollziehen, dass im aktuellen und akuten Personalmangel des UKT schon heute Mitarbeitende ab März nicht mehr für Ihre Dienste eingeplant werden. Überall mangelt es an Pflegepersonal und dennoch soll es nun zu Freistellungen kommen. Wieso wird die prekäre Situation intern derzeit so stark befeuert? Und warum sollte Angestellten, die keinen Patientenkontakt haben, im Homeoffice arbeiten oder in Elternzeit sind, ab 16. März 2022 eine Freistellung drohen?

Warum müssen sich ungeimpfte Mitarbeitende vor ihren Vorgesetzten, bzw. neuerdings in einer Bürgerteststelle testen? Geimpfte Mitarbeitende können sich zuhause selbst testen. Dies empfinden wir als diskriminierend. Warum setzt sich das UKT hier nicht für eine Gleichbehandlung aller Mitarbeitenden ein?

Warum ist der Zutritt für ungeimpfte Mitarbeitende zur Kantine komplett verwehrt? Wenigstens eine Essensabholung müsste möglich sein. Warum hat der Personalrat des UKT bislang noch keine aktive Unterstützung angeboten? Wir empfinden das als Missstand und hoffen auf Hilfe.

Was können wir gemeinschaftlich tun, um dies abzuwenden?

Wir alle wissen, wie schwer es die letzten Jahre für das UKT war, Personal zu akquirieren. Jeder einzelne Mitarbeitende ist für das UKT wertvoll und systemrelevant! Aus unserer Sicht gefährden die aktuellen politischen Maßnahmen unser fragiles Gesundheitssystem nur noch stärker. Sie schwächen den Zusammenhalt, die Qualität und die Fähigkeit, eine optimale Krankenversorgung zu gewährleisten. Der immer stärker werdende Impfdruck bewirkt eine weitere Verhärtung.

Spätestens seit der Einführung der Impfpflicht setzen sich immer mehr Kolleginnen und Kollegen mit den oben aufgeführten Fragen auseinander. Selbst die geimpften Kolleginnen und Kollegen sind verunsichert, hinterfragen nun vieles mehr und signalisieren Solidarität. Einige sind bereits so frustriert, dass sie sich nach neuen Tätigkeitsfeldern umsehen, weitere melden sich vorsorglich arbeitssuchend bei der Agentur für Arbeit.

Wir bitten Sie eindringlich um Ihre Unterstützung!

Lassen Sie uns deshalb gemeinsam nach guten Lösungen für alle suchen. Aus unserer Sicht ist es dringend notwendig, gegenseitigen Respekt zu schaffen und zu stärken, unabhängig von Impfstatus oder anderen persönlichen Belangen.

Wir bitten Sie als unseren Arbeitgeber und unsere Vorgesetzten sowie unsere Kolleginnen und Kollegen, uns zu unterstützen, so dass wir alle gemeinsam weiterhin Krankenversorgung auf höchstem universitären Niveau anbieten können. Das ist das, was wir tun wollen!

Herzlichen Dank und beste Grüße, Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Quelle: Uniklinik Tübingen, Germania Tübingen, Partei dieBasis, Tueinfo, netzpolitik.org.