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Corona-Berichterstattung: Publikumsdialog oder Weltverbesserungsjournalismus?

Foto: H.S.

02.11.2021 - von Leif Kramp/Stephan Weichert

+++ Studie der Otto Brenner Stiftung analysiert erstmals konstruktiven Journalismus während der Corona-Pandemie +++ Zentraler Befund der Fallanalysen: Konstruktiv vermittelter Journalismus kann diskursiven Charakter und Vielfalt gesellschaftlicher Debattenkultur stärken +++ Lösungsorientierte Formate tragen zur Intensivierung journalistischer Publikumsbeziehungen bei +++ Aber: dieser „neue“ Journalismus hat auch Grenzen +++ Aktivistisch motivierter Journalismus bringt Glaubwürdigkeitsrisiko mit sich +++ Studie gibt redaktionelle Handlungsempfehlungen für zukünftige lösungsorientierte (Krisen)Berichterstattung +++
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Lösungsorientierte Krisenberichterstattung kann den diskursiven Charakter und die Vielfalt der gesellschaftlichen Debattenkultur stärken, macht zugleich aber immer wieder Grenzen und Potenziale von Publikumsnähe und Aktivismus in den Medien sichtbar. Das ist eines der zentralen Ergebnisse der heute von der Otto Brenner Stiftung veröffentlichten Untersuchung „Konstruktiv durch Krisen?“. Die Studie der beiden profilierten Medienforscher Leif Kramp und Stephan Weichert untersucht in zehn „Fallanalysen zum Corona-Journalismus“, so der Untertitel, erstmals die konstruktive Berichterstattung deutschsprachiger Medien zur Covid-19-Pandemie.

„In den von uns untersuchten lösungsorientierten Ansätzen findet sich der Wunsch vieler Journalist:innen wieder, gemeinsam mit ihrem Publikum die von Krisen gebeutelte Welt zu verbessern“, sagt Studienautor Stephan Weichert. „Dieser Weltverbesserungsjournalismus führt jedoch nicht zwangsläufig zu einer `Deformation professionelle´“, so der Forscher weiter, „wenn solcherlei Berichterstattungsabsichten hinreichend transparent gemacht werden“. Insbesondere „politische oder persönliche Motive einzelner Journalist:innen“ müssten deutlich gekennzeichnet sein, um zu verhindern, dass die Medien in der Wahrnehmung ihrer Nutzer:innen die Realität „schönfärben“ und so an Glaubwürdigkeit verlieren. Die Ergebnisse der Studie – für die das Autorenduo die Berichterstattung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanbieter, klassischer Zeitungshäuser und digitaler Publisher analysiert und Pionier:innen des lösungsorientierten Journalismus zu dessen Weiterentwicklungsmöglichkeiten befragt hat – zeigen, dass dies nicht immer ausreichend berücksichtigt wird.

Positiv schlagen konstruktive Angebote mit der Verbesserung der Publikumsbeziehungen und des Dialogs mit den Nutzer:innen zu Buche: „Gerade Krisen wecken ein starkes Bedürfnis nach verlässlicher Information und Aufklärung. In der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie guter Journalismus konstruktiv dazu beitragen kann, die Menschen gegenüber tiefgreifenden Verunsicherungen resilienter zu machen“, sagt Studienautor Leif Kramp. Konstruktive Ansätze seien „eine Investition in die Journalismus-Publikums-Beziehung und fördern die Interaktion mit den Nutzer:innen in vielfacher Hinsicht“.

Die für die Untersuchung analysierten Berichte widmen sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln und quer durch die bestehende Gattungs-, Genre- und Formatvielfalt der Berichterstattung über Covid-19, was zeige, so Kramp, dass konstruktive Berichterstattung „niedrigschwellig in denkbar unterschiedlichen redaktionellen Kontexten und bei einer großen Spannbreite von Themen möglich ist“. Solange er redlich betrieben werde, könne konstruktiver Journalismus die Orientierungsleistung und somit das Vertrauen in journalistische Leistungen generell stärken.

„Eine kritische, ergebnisoffene Bestandsaufnahme journalistischer Arbeit ist aufgrund sich dramatisch verändernder Rahmenbedingungen generell wichtig“, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung. Durch die Erfahrungen in der Corona-Krise sei es aber dringlicher denn je, sich mit den Chancen, aber auch mit den Grenzen des Konzeptes konstruktiver Berichterstattung zu befassen. Zwar gäbe es durchaus Fallstricke durch eine „Vereinfachung oder Umdeutung der Wirklichkeit in Form positiver Schattierungen“, jedoch sei er überzeugt, so Legrand weiter, dass konstruktiv vermittelte Themen speziell in Krisen einen hohen Nutzwert für das breite Publikum haben können.

Die Studie schließt mit redaktionellen Handlungsempfehlungen, die eine konstruktive Krisenberichterstattung als Bestandteil künftiger journalistischer Arbeit verstehen.

Leif Kramp/Stephan Weichert: Konstruktiv durch Krisen? Fallanalysen zum Corona-Journalismus, OBS-AH 107, Frankfurt am Main, im Oktober 2021 OBS-Arbeitsheft 107 Corona-Berichterstattung: „Publikumsdialog“ oder „Weltverbesserungsjournalismus“? ISSN-Print: 1863-6934 ISSN-Online: 2365-2314 ber die Internetseite der Otto Brenner Stiftung können weitere Exemplare dieses OBS-Arbeitsheftes kostenlos bezogen werden – solange der Vorrat reicht. Es besteht dort auch die Möglichkeit, sowohl aktuelle als auch bereits
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Quelle: OBS