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Brief an Laschet, Ziemiak, Brinkhaus, Linnemann

Foto: H.S.

18.10.2021 - von Horst Gehring

Betreff Aussage Ziemiak: Aufarbeitung muss brutal offen sein

Sehr geehrte Herren,

zwei Wochen nach ihrer historischen Niederlage bei der Bundestagswahl streitet die Union immer noch verbittert über die Schuldfrage und den richtigen Weg aus der Krise.
Es stellt sich einigermaßen erstaunlich dar, mit welcher Selbstverständlichkeit diejenigen glauben, die CDU erneuern zu können, die in prägende Funktion zur alten Garde gehören. Sie sollten gehen.

In jedem Fall gilt: Aus der alten, teils bereits vorverlegten Garde sollten dem Beispiel Peter Altmaiers und Annegret Kramp-Karrenbauers noch weitere folgen und nicht etwa glauben, dass ihre große Zeit nun gerade beginnt. Sie ist vorüber.

Bei der Bundestagswahl Ende September hatte die Union mit 24,1 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren. So konnte die CDU von dreißig Wahlkreisen in Nds. nur acht für sich gewinnen. Alleine 22 Direktmandate fielen an die SPD. Als Kanzlerpartei mit Führungsanspruch fallen die Christdemokraten vorerst aus, die CSU-Quertreiber sowieso.

Seit 18 Jahren verfolge ich nun die Blockadepolitik der CDU/CSU zum Thema betriebliche Altersversorgung. Nach der Ära Merkel hat die Union nun die Rechnung ohne die etwa 20 Millionen Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer gemacht, die angesichts des demografischen Wandels die Notwendigkeit einer privaten Altersvorsorge erkannt haben. Nicht zu vergessen die Ü-60-Wähler. So müssen Politiker heute froh sein, wenn sie ihrerseits von den älteren Leuten beachtet, berücksichtigt und wertgeschätzt werden. Offensichtlich hat das die Führungsriege der Union bis in die einzelnen Wahlkreise missachtet. Ihre Analysen bezogen sich nachweisbar über Jahre auf einen akademischen Level, der weder die Empfindungen der Menschen weder berücksichtigt noch respektiert hat.

Noch im Jahr 2004 konnte ich nach Inkrafttreten des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes vom 01.01.2004 für ver.di mit der AOK Nds. einen Vergleich zu Gunsten eines Kollegen ab-schließen, wo es um erstattete Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Vorsorge-aufwendung ging. Immerhin sprechen wir hier über eine Versicherungssumme in Höhe von 55.000,00 Euro.

Im Jahr 2009 konnten meine Kollegin und ich in Osnabrück nochmals in dreihundert Widerspruchsverfahren für ver.di eine Gesamtsumme in Höhe von 1,8 Millionen Euro für unsere Mitglieder erzielen. Durch professionelle Verhandlungen gegenüber vierzig gesetzlichen Krankenkassen. Dieser Erfolg war einmalig in der Rechtsgeschichte. Quelle: ver.di Bund/Länder Journal 10/2010
Im gleichen Zeitraum erzielten mit Hilfe unseres geistigen Eigentums nochmal zehn Anwälte in einhundert Verfahren eine Gesamtsumme in Höhe von 600.000,00 €.

Ein Jahr später schob das BVerfG durch einen Beschluss einen Riegel vor diese Erfolgsstory. Mit diesem Beschluss müssen seither ca. 20 Prozent der angedachten Ersparnisse über einen Zeitraum von zehn Jahren abgeführt werden, wobei eine einmalige Abführung noch nicht einmal möglich ist für die, die das eventuell wollen. Und wenn man Pech hat, je nach Höhe der Zahlung, greift der Fiskus in Form des Finanzamtes zu und kassiert noch einmal einen zusätzlichen Beitrag.
Es folgten 11 harte Jahre für uns, begleitet durch ständiges blockieren von Verbesserungs-vorschlägen durch die Union.

Derweil glaubten Spitzenpolitiker wie Herr Michael Grosse-Brömer und Mathias Middelberg, dass sie fest in den Sattel sitzen. Dennoch waren sie sehr überrascht, dass sie Ihr Direktmandat am Abend des 26. September 2021 verloren hatten. Nur ein abgesicherter Platz auf der Parteienliste rettete ihr Berliner-Mandat. Hier haben sie nun eine Legislaturperiode Zeit, über ihr „Fehlverhalten“ gegenüber den Vorsorgenden nachzudenken. Ich bin davon überzeugt, dass keiner der Damen und Herren es nachvollziehen können, wie schmerzlich es für jeden Einzelnen Vorsorgenden war um seine Ersparnisse betrogen zu werden. Eine Elite, die in regelmäßigen Abständen ihre fürstliche Altersvorsorge auf Kosten der Steuerzahler absegnete.

Seit Jahren fordern Betroffene, Sozialverbände und Gewerkschaften eine gerechte Umsetzung der betrieblichen Altersversorgung. Die Abschaffung der doppelten Belastung von Betriebsrenten mit Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag in der An- und Auszahlungphase müsste auch dem Willen des Gesetzgebers entsprechen. Mit der Freigrenze zum Freibetrag wurde 2019 ein wichtiger Schritt erzielt.

Gerne erinnere ich an die großspurigen Versprechungen der CDU im Jahr 2018, wo sich die CDU Deutschlands zum Drei-Säulen—Modell der Altersvorsorge bekannte. Hiermit sollte die betriebliche Altersvorsorge gestärkt werden.

Gleichzeitig stellte der Freistaat Bayern eine Woche nach dem CDU-Parteitag in Hamburg einen Antrag an den Bundesrat mit folgender Überschrift:

Entschließung des Bundesrates zur Änderung der Verbeitragung von Betriebsrenten in der GKV zur Steigerung der Attraktivität der betrieblichen Altersversorgung.

Dieser Antrag wurde auf Initiative von Frau Merkel nicht bearbeitet. Mit der Außerkraft-setzung eines mehrheitlich beschlossenen Antrages zur Doppelverbeitragung hat die Kanzlerin ihrer Partei aber einen schlechten Dienst erwiesen. Die CDU hat durch diese eingreifende Maßnahme an Glaubwürdigkeit verloren.

Mit der Umsetzung des BRSG wurde 2018 eine neue Konstellation geschaffen, die das Problem noch verschärft hat. Hier ist dringender Handlungsbedarf angesagt. Somit sind alle Formen der Doppelverbeitragung abzuschaffen. Soll das Vertrauen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in die betriebliche Altersversorgung gestärkt bzw. wieder zurückgewonnen werden, muss eine Gleichbehandlung aller Formen der betrieblichen Altersversorgung im Sozialversicherungsrecht gewährleistet werden. Denn dieses Ziel lässt sich nur erreichen, wenn die Sozialabgabenfreiheit bei Entgeltumwandlung wieder abgeschafft wird, so dass Beiträge nur in der Ansparphase belastet werden und die Leistungen im Rentenbezug beitragsfrei bleiben.

Ich kann die CDU nur auffordern, dass sie die Fehler aus der Vergangenheit aufarbeitet - „und das muss brutal offen passieren“. Dabei muss „alles auf den Tisch“. Die Betroffenen realisieren sehr genau, dass diejenigen, von denen sie so kaltschnäuzig um ihre Altersvorsorge gebracht werden, selbst im Höchstem Maß versorgt sind. Alle Erklärungen für das Wahlverhalten hinterließen in den letzten Jahren die Absicht, die Würde der Verlierer zu schützen und verletzten damit die Würde derjenigen, die sich aus tiefstem Frust und respektloser Behandlung von der einstigen Volkspartei abgewandt haben. In vielen Gesprächen wurde mir mitgeteilt, dass viele Politiker keine Verbindung mehr zu den Menschen und deren Alltag haben. Mediale Darstellungen sollen das kaschieren. Armin Laschets Verhalten im Flutgebiet dokumentiert das.

Unverzeihlich betrachte ich noch die heutige Regelung aus Oktober 2003. Aus ehemaligen Unterlagen ist zu lesen, dass der eigentliche Gesetzesentwurf von Ulla Schmidt erheblich von Horst Seehofer (CSU) damals beeinflusst worden ist. Mit dem seinerzeitigen Maßnahmenpaket wollte der Gesetzgeber vorgeblich systemwidrige Ungleichbehandlungen bei der Verbeitragung von Betriebsrenten und Versorgungsbezügen korrigieren bzw. beseitigen. Insgesamt sollten die Maßnahmen dazu führen, dass auch Rentnerinnen und Rentner mit Versorgungsbezügen „in angemessenem Umfang an der Finanzierung für sie“ beteiligt sind, so die Gesetzesbegründung. Zudem ging der Gesetzgeber davon aus, dass die eingeführten Regelungen zu einer „für alle gerechten Belastung“ führen und nur Rentnerinnen und Rentner, die „über Versorgungsbezüge …. als zusätzliche ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit steigernde Einnahmen verfügen“ eine Mehrbelastung im Vergleich zu den bisherigen Regelungen tragen müssen.

Die offizielle Begründung kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Staat seinerzeit ohne Vorwarnung, ohne Übergangs- und Vertrauensschutzregelungen und ohne Rücksichtnahme auf rentennahe Jahrgänge rückwirkend in bereits bestehende Verträge eingegriffen hat. Mit einem Federstrich wurde so die Altersvorsorge vieler Bürger zunichte gemacht! Insbesondere Betriebsrentnerinnen- und Betriebsrentner mit Altverträgen, die in Form einer einmaligen Kapitalabfindung ausgezahlt werden, mussten von einem Tag auf den anderen hinnehmen, dass die Auszahlleistung – alleine durch den Eingriff der Sozialversicherungsträger – fast um ein Fünftel gekürzt wurde.

Die Folgen sind auch heute noch bitter zu spüren. Denn in den momentanen Zeiten sinkender Überschüsse fließen nach Abzug der Krankenversicherungsbeiträge oft nicht einmal die gezahlten Beiträge zurück – und das völlig unabhängig davon, ob diese in der Finanzierungsphase bereits verbeitragt wurden oder nicht.

Politikmanager aller Couleur reiben sich die Augen: Neuerdings sind die Ü-60-Wähler nicht mehr wie früher eine von vielen wichtigen Gruppen. Sie haben mit ihren Enkelkindern die Wahl entschieden. Auch die Jugend hat begriffen, dass ihre Altersversorgung um einen erheblichen Teil gemindert wird, wenn man nicht frühzeitig die Weichen stellt. Neben der Klimapolitik ist auch ein gerechter Stundenlohn und die spätere Rente ein wichtiger Bestandteil ihrer Lebensqualität.

Die Addition von Demografie und Demografie kann im Ergebnis grausam sein. Das Prinzip jedenfalls bleibt: one man, one vote. Politiker sind gut beraten, sich den Älteren mit einer Mischung aus Fürsorglichkeit und Hochmut zu nähern, sondern vor allem mit Respekt. Olaf Scholz hat es mit seiner Plakataktion vorgemacht. Die „sogenannten Direktversicherungsgeschädigten“ haben es nicht verdient, wenn sie sich an das Bundesgesundheitsministerium wenden um ihre Sorgen vorzutragen, dass sie höhnisch mit haarsträubenden Argumenten abgewiesen werden. Diejenigen, die diese Republik nach dem Krieg wieder aufgebaut haben, haben es satt, sich von Jens Spahn in seiner arroganten Art abweisen zu lassen. Ein Politiker, der mit seinen Maskenskandal ein Milliardenloch für die kommende Regierung überlässt. Der sogenannte Wucherparagraph wird Jens Spahn aber einholen. Da der Wucherparagraph jedoch seit Entstehen des BGB am 18.08.1896 nahezu unverändert geblieben ist, kann diese Regelung (§ 302a StGB) der heutigen Regelung angepasst werden.
Was Jens Spahn auch hat sträflich vernachlässigt hat, ist die Gleichstellung von Pflicht-versicherten und freiwillig Krankenversicherten.

Bei dieser Angelegenheit möchte ich auf die Bestechlichkeitsvorwürfe von Unionspolitikern bei „Geldwäscheaktionen“ mit Aserbeidschan hinweisen. Auch dieses Thema sollte bei Ihnen dringend aufgearbeitet werden.

Denken Sie immer daran, dass diese mächtige Gruppe von ca. 6 Millionen Wahlberechtigten für Überraschungen gut ist. Und dies alles ist längst noch nicht der Höhepunkt, sondern erst der Beginn eines Trends. Die 60-plus-Kuhorte, wie die Soziologen sagen, wächst weiter, von Jahr zu Jahr, wie eine gewaltige Welle. Wer diese Welle nutzen kann, gewinnt.

Am Freitag wollen die Ampel-Parteien ein Zwischenfazit ziehen und möglicherweise bereits über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheiden.

Das ist kein Spaziergang, das wird eine schweißtreibende Wanderung einen steilen Berghang hinauf: Die Teams von SPD, Grünen und FDP, die jetzt im Detail die Möglichkeiten für eine Ampel-Koalition ausloten, stehen vor einer gewaltigen Kraftprobe.

Wie machen wir die Sozialversicherungen zukunftsfest? Und vor allem: Wie finanzieren wir das alles? Alles Themen, die ich im Programm von Armin Laschet vermisst habe. Die Union ist nach ihrem Wahldesaster in einem desolaten Zustand. Sie wird noch Monate, vielleicht Jahre brauchen, die Niederlage aufzuarbeiten und sich neu aufzustellen. Sollte widererwarten eine Koalition aus SPD und Union entstehen, würde Deutschland „durchdrehen“.

Vielleicht gibt es aber doch eine Möglichkeit, dass mit einem verjüngten Unionsteam eine gewisse Annäherung in Zukunft stattfinden kann, wenn es um gravierende Themen geht. Die Hoffnung stirbt jedenfalls zuletzt, wie der Volksmund sagt.

Seien Sie aber versichert, dass Millionen von Betroffenen aus den Jahren der Blockadepolitik gelernt haben und sich zukünftig entsprechend wehren können.

Mit freundlichen Grüßen

Quelle: Horst Gehring, 14 Oktober 2021