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Reisen während der COVID-19-Pandemie: Erosion alltäglicher Gewissheiten

Foto: H.S.

03.02.2021 - von Melanie Pierburg

Was macht die Corona-Pandemie mit uns und unserer Wahrnehmung von und Reaktion auf Welt? Die Soziologin Melanie Kierburg analysiert die Erosion alltäglicher Gewissheiten und sie beschreibt das Abhandenkommen von Selbstverständlichkeiten, die sich plötzlich als Unterstellungen entpuppen, am Beispiel ihrer Reise nach Ägypten zu Beginn des ersten Coronajahres. An ihre Beschreibung der Reise schließt sie eine theoretische Einordnung der Erfahrungen in Auseinandersetzung mit SCHÜTZ und LUCKMANN (1979 [1975], 1984) an.
Ihre Beschreibung beginnt so:

"Sich in Sicherheit singen. "Happy birthday to you. Happy birthday to you. Happy birthday, liebe Melanie, happy birthday to you. Happy birthday to you. Happy birthday to you. Happy birthday, liebe Melanie. Happy birthday to you."
Ich stehe vor einem silbernen Waschbecken in Toilettenräumlichkeiten des Flughafens Hannover und wasche meine Hände. Dazu verschränke ich die Finger ineinander, seife die Daumen gesondert ein und drücke die Fingerspitzen in die Handflächen. Innerlich singe ich dabei das Glückwunschlied – zweimal. Durch eine Dokumentation über Viruserkrankungen hatte ich wenige Wochen zuvor erfahren, dass man sich 30 bis 40 Sekunden lang die Hände waschen soll, um Infektionsrisiken zu verringern.
Weiter hieß es, die geforderte Zeitspanne umfasse das zweimalige Singen von "Happy birthday to you", eine eingängige Orientierung, die ich mir ad hoc aneignete. Das extensive Händewaschen mit der spielerischen Kontrolle der einzuhaltenden Dauer ist inzwischen zu einer Alltagspraktik für mich geworden. Allerdings vollziehe ich sie nach wie vor bewusst, da ich sie als iterative Verzögerung meiner üblichen Routinen wahrnehme. Händewaschen ist zu einem Zeitposten geworden, der mich immer wieder daran erinnert, dass die Welt um mich herum potenziell kontaminiert ist. [1]"

Inhaltsverzeichnis
1. Sich in Sicherheit singen
2. Keine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes, aber der Familie
3. Kugel mit Stäbchen: der Pandemiediskurs
4. Angelpunkt einer neuen Wirklichkeit: Temperaturmessen
5. Im Spiegel der Krise
6. Napoleon-Modus und explodierende Handywirklichkeit
7. Methodischer Zugang: Autoethnografie
8. Auslegung und Wirklichkeit
Anmerkungen
Literatur
Zur Autorin
Zitation

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Keywords: Autoethnografie; Wissenssoziologie; Corona-Krise; Erosion alltäglicher Gewissheiten; Reisen; soziale Wirklichkeit; Alltagssoziologie

Melanie PIERBURG ist Soziologin und arbeitet derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim. Dort bietet sie neben ihrer Lehrtätigkeit Beratungen zu qualitativen Forschungsmethoden an. Ihre eigenen Forschungsprojekte basieren vor allem auf ethnografischen Zugängen, die sie versucht zu reflektieren und weiterzuentwickeln.
Kontakt:
Dr. Melanie Pierburg
Institut für Sozialwissenschaften, Universität Hildesheim
E-Mail: pierbu(at)uni-hildesheim.de

Quelle: Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 22(1), Art. 2, http://dx.doi.org/10.17169/fqs-22.1.3581.

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