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12.10.2020 - von Hanne Schweitzer und D.S.
"... Die innerdeutschen Reisebeschränkungen* setzen den autoritären Gesten beim Umgang mit der Corona-Krise eine weitere Krone auf. Das kann man alles so machen, aber die stoische Hinnahme der Einschränkungen fundamentaler Freiheitsrechte hat ein Ausmaß angenommen, das schockierend ist. ...", schreibt Ulf Poschardt in der WELT. Die Frankfurter Allgemeine zitiert dagegen unter der Überschrift "Immer lautere Kritik an Beherbergungsverboten" lieber Andere, die ein kleines bisserl die mehr als bedenklichen staatlichen Maßnahmen in Frage stellen; z.B. den Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung, Andreas Gassen: "Diese Regulierungswut ist oft eher kontraproduktiv". Innerdeutsche Reisen bezeichnet er als "Pseudogefahr".
Dabei wurde der Eingriff in die Reisefreiheit bereits im Juli 20 von der Exekutive beschlossen. Die Tagesschau formulierte das am 16.7. 20 so: "Zielgenauer gegen lokale Corona-Ausbrüche. ... Bund und Länder einigten sich auf ein zielgerichtetes Vorgehen.... Ein- und Ausreisesperren soll es geben können, wenn die Zahl der Infektionen weiter steigt oder es keine Gewissheit gibt, dass die Infektionsketten bereits unterbrochen sind."
Mit anderen Worten: Nicht überprüfbare Willkürmaßnahme.
Die NEUE PRESSE bringt anlässlich der Beherbungsgebote Merkel ins Spiel und spottet über die Freiheitsrechte der Bürger: „In den Ballungsräumen entscheidet sich, wie Deutschland die Corona-Krise überstehen wird. Merkel weiß das und gibt von oben die Linie vor – auch wenn ihr Mikromanagement nicht ganz der reinen Verfassungslehre entspricht.“ Im FAZ-Kommentar gibt Heike Schmoll in schlechtem deutsch den Söder: "Die Großstädte müssen ihre Regeln viel engmaschiger kontrollieren und Verstöße ahnden." (Die Großstädte?)
Michael Kretschmer, Ministerpräsident in Sachsen wird in der Freien Presse so zitiert: "Es würde in dieser Lage keinen Sinn machen, wenn jetzt alle wild durcheinander durchs Land fahren". Als ehemaliger K-Mann setzt Winfried Kretschmann, Grüner Ministerpräsident aus Baden-Württemberg, mehr auf den vorauseilenden Gehorsam seiner Landsleute. Der Bild am Sonntag diktierte er: "Ich erwarte von den Bürgern, dass sie aus Verantwortungsbewusstsein nicht mehr alles machen, was sie noch dürfen." An das Singen des Liedes von Marius Muller Westernhagen "Freiheit, Freiheit!", hat er da wohl nicht gedacht.
Christian Lindner von der FDP, der zu den beschlossenen Ein- und Ausreiseverboten im Juli nichts gesagt hat, kritisiert jetzt das innerdeutsche Beherbergungsverbot in der WELT. Die Einschränkung der Freizügigkeit innerhalb Deutschlands empfinde (!) er als unverhältnismäßig. Und fordert stattdessen: „Die Einstufung von Risikogebieten selbst
muss zudem auf der Basis von mehr Parametern erfolgen als nur der Zahl der
Neuinfektionen.“ Und in Richtung Süden läßt er verlauten: „Markus Söder sollte sich um seine Aufgaben vor Ort kümmern statt im Wochentakt neue `kluge` Vorschläge aus Bayern zu unterbreiten, wo die Zahlen mit Abstand am schlechtesten sind.“
Selbst Dietmar Barsch von der LINKEN übt Kritik an den mal wieder nicht vom Parlament sondern von den Regierungen verfügten Bestimmungen. Der Fraktionsvorsitzende der Partei sagt der WELT: „Das geltende Beherbergungsverbot ist unlogisch, denn es verbietet beispielsweise Reisen von Berlin nach Brandenburg, aber nicht umgekehrt“. Anders die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Sabine Dittmar, für die, wie für alle Abgeordneten, das Reiseverbot gar nicht gilt: "Ich weiß, dass es schwerfällt: Aber wir befinden uns in einer weltweiten Pandemie. Jetzt ist nicht die Zeit für unnötige Reisen in Risikogebiete, egal ob im In- oder Ausland.“
Susanne Geschke hat die passende Erwiderung. Sie schreibt in der Welt: "Aber es ist nicht mehr vernünftig, wie einseitig sich Politik und große Teile der Medien gerade auf eine einzige Krankheit fokussieren. Hunger, Not, Elend und Krieg in anderen Teilen der Welt? Unschön, aber nicht so wichtig wie die Infektionszahlen aus Berlin-Kreuzberg. ... Corona muss zu 100 Prozent besiegt werden, koste es was es wolle an Grundrechtseingriffen, widersprüchlichen und willkürlichen Rechtsverordnungen und Steuermilliarden. ... Es gibt einen regelrechten Überbietungswettbewerb in der Frage, wer die schlimmsten Zahlen befürchtet. Und wer dann wegen dieser möglichen Zahlen die härtesten „Maßnahmen“ ersinnt. ..." Da hat Poschardt was losgetreten!
In Berlin haben sich derweil Wirte zusammengetan, um gegen die seit Samstag dort geltende Sperrstunde zwischen 23 und 6 Uhr zu klagen. Der Berliner Senat wurde vom Verwaltungsgericht aufgefordert, dazu bis 11 Uhr am 12.10 Stellung zu nehmen. Die Sperrstunde in Berlin ist mittlerweile gerichtlich aufgehoben worden. In Frankfurt/M klagen Gastwirte ebenfalls gegen die Sperrstunde. Beim Verwaltungsgericht in Düsseldorf soll ein Eilantrag gegen die neue Regel eingereicht werden, so der Geschäftsführer des Branchenverbandes Dehoga Nordrhein, Thomas Kolaric, am 13.10.20. „Wir wollen wissen, ob die Sperrstunde aus Sicht eines Richters eine geeignete Maßnahme ist.“ Die Beherbergungsbranche muss den Schock wohl noch verdauen, der ihr das Herbstgeschäft
vermasselt hat. Am 15.10.20 wurde das Beherbergungsverbot in den Bundesländern Baden-Württemberg (Gericht), Niedersachsen (vom Oberverwaltungsgericht), Sachsen (durch Landesregierung) und im Saarland (durch Landesregierung) gekippt. Der Münchner Merkur kommentiert das Geschehen am 17.10.20 so: „Auch in einer Sondersituation wie dieser ist die Macht der Regierenden nicht unbegrenzt, müssen sich Verordnungen am Maßstab der Verhältnismäßigkeit orientieren, erledigt die Justiz ihre Arbeit."
Siehe auch: infosperber.ch Das irreführende Starren auf die Fallzahlen unter: Link
Tagesthemen und Berlin direkt
Bemerkenswert die beiden folgenden Medienmanipulationen bzw. Falschdarstellungen, die der Angsterzeugung dienen oder den Un-Sinn der 7-Tage-Inzidenz von 50/100.000 gehorsam propagieren und zwar unabhängig davon, dass "Neuinfektionen/Fälle" (= positiv getestet) NICHT bedeuten: infiziert, infektiös, krank, schwer krank, tot.
9.10.2020 Tagesthemen, u.a. Charité ab Minute 01:14:
Kai-Uwe Eckart, Direktor Internistische Intensivmedizin Charité
und Roland Körner, Oberarzt auf der Station !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!:
20 Covid-19 Patienten,
keine freien Betten,
KEINE Intensivbettenressourcen!
Link
oder:
Berlin-direkt, u.a. Stefan Willich, Leitender Epidemiologe Charité, aktuelle Zahlen ab Minute 3:38 Willich schlägt vor
statt 7-Tage Inzidenz mit 50/100.000 Bewohnern besser
Schwellenwert bzgl. intensivmedizinische Ressourcen
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
3 Prozent Auslastung in Charitè (Grafik)
Vorschlag für Schwellenwert: 25 %
Link D.S.
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Über die juristische Schieflage der Anti-Corona-Maßnahmen hat die Rosa Luxemburg-Stiftung schon im vergangenen April einen lesenswerten Beitrag von Halina Wawzyniak und Udo Wolf online gestellt.
Auszüge aus: ]Mit weniger Freiheitsrechten wird staatliches Versagen bezahlt
... In allen Bundesländern gibt es Rechtsverordnungen zur Eindämmung des Corona-Virus, das Bundesinfektionsschutzgesetz wurde geändert. Bestandteil der Rechtsverordnungen sind Einschränkungen der Freiheitsrechte von Einwohner*innen: Das Demonstrationsrecht, die Religionsfreiheit, die allgemeine Handlungsfreiheit und die körperliche Unversehrtheit. Alle Rechtsverordnungen schreiben vor, mit wem sich Menschen außerhalb ihrer Wohnung treffen und an vielen Stellen sogar, unter welchen Bedingungen sie überhaupt ihre Wohnung verlassen dürfen. Nirgendwo gibt es den Versuch, mit staatlichen Ordnungsmaßnahmen und unter Verweis auf das Grundgesetz die Produktion von dringend nötiger Schutzausrüstung (PSA) in die eigene Hand zu nehmen. Das dürfte kein Zufall sein, sondern bewegt sich in der Logik des Kampfes gegen das Corona-Virus. Nach dieser bezahlen Einwohner*innen mit der Einschränkung ihrer Freiheitsrechte für die Vernachlässigung des Staates bei der Gewährleistung der Daseinsvorsorge. Diese Logik bei der Bekämpfung des Corona-Virus könnte sich bedauerlicherweise festsetzen.
...
Möglichkeiten und Grenzen der Einschränkung von Freiheitsrechten
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im Februar 2020 im Hinblick auf Freiheitsrechte grundlegend entschieden (Rdn. 264): «Einschränkungen individueller Freiheiten sind nur dann angemessen, wenn das Maß der Belastung des Einzelnen noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen steht».
Diese Entscheidung und die eingangs zitierten Zahlen zum Maßstab genommen sind nicht wenige der ergriffenen Maßnahmen im Rahmen der Eindämmung des Corona-Virus unverhältnismäßig. Die Freiheitsrechte der Einwohner*innen müssen nach der Dogmatik des Grundgesetzes abgewogen werden gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit und die Gewährleistung einer ausreichenden medizinischen Versorgung. Es gibt nach der Dogmatik des Grundgesetzes keine «Supergrundrechte», so dass dem Recht auf körperliche Unversehrtheit zum Beispiel kein Absolutheitsrang zusteht, dem alles andere nachgeordnet wird. Gleiches gilt für die Gewährleistung einer ausreichenden medizinischen Versorgung.
...
Das BVerfG hat dies so ausgedrückt: «Insbesondere folgt aus dem Grundrecht des Artikel 2 Abs. 2 GG die Pflicht des Staates, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit der Bürger zu stellen (…)» (BVerfGE 88, 203/251). Genau das macht der Staat mit seinen Rechtsverordnungen.
Bei diesem Schutz muss der Staat aber andere Grundrechte ebenso berücksichtigen wie die weiteren vom Recht auf körperliche Unversehrtheit umfassten Bestandteile. Die körperliche Unversehrtheit umfasst die Gesundheit im engeren Sinn, die psychisch-seelische Gesundheit im weiteren Sinn und die körperliche Integrität (vgl. Dreier, GG, Art. 2, Rdn. 33). Maßnahmen zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit müssen demnach auch berücksichtigen, wie sie sich auf die psychisch-seelische Gesundheit auswirken und welche potentiellen Gefahren für die körperliche Unversehrtheit an anderer Stelle entstehen (Beispiel: häusliche Gewalt).
...
Freiheitsrechte sind ein Wert an sich
Linke Politik, die aus der Geschichte gelernt hat, darf Freiheitsrechte nicht gering schätzen. Freiheitsrechte zu verteidigen, gehört zur DNA linker, emanzipatorischer Politik – weil sie Grundlage für eine Gesellschaft sind, in der die freie Entwicklung des Einzelnen Bedingung für die freie Entwicklung Aller ist. Ohne Freiheitsrechte lässt sich gesellschaftlicher Fortschritt nicht erstreiten und auch keine sozial gerechte Politik. Die Würde des Einzelnen, die nach dem Grundgesetz unantastbar ist, beinhaltet, dass der Mensch nicht zum reinen Objekt staatlichen Handelns gemacht werden darf. Das bedeutet aber notwendigerweise die Inanspruchnahme von Freiheitsrechten. Ein Entzug der Freiheitsrechte zur Abwehr einer Gefahr macht den Menschen spätestens dann zum Objekt staatlichen Handelns, wenn dieser Entzug der Freiheitsrechte unverhältnismäßig ist.
...
Es ist nicht nur legitim, sondern geboten, die Maßnahmen zu hinterfragen und gegen gesellschaftliche und persönlich Kollateralschäden abzuwägen.
Die Kritik an der Einschränkung der Freiheitsrechte ist schon wegen der Freiheitsrechte an sich nötig. Sie macht aber auch auf die grundlegende Logik hinter dem staatlichen Handeln zur Bekämpfung des Virus aufmerksam. Es wird überall zu Recht beklagt, dass auch das Gesundheitswesen einer Verwertungslogik unterworfen wurde. Der kluge Hinweis von Gregor Gysi, seit mehr als 25 Jahren immer wieder vorgetragen, dass ein Krankenhaus keine Würstchenbude sei, verhallte. Jan Korte fordert zu Recht eine Entprivatisierung des Gesundheitswesens. Staatliches Handeln hat im Bereich der Daseinsvorsorge Gesundheit versagt. Dieses Versagen sollen nun die Einwohner*innen mit dem Verzicht auf Freiheitsrechte bezahlen. Diese Logik ist gefährlich. Denn diese Logik, einmal in Gang gesetzt und verankert, findet dann auch in Nicht-Krisen-Zeiten Anwendung. Am Ende kauft sich der Staat von seiner Verantwortung zur Daseinsvorsorge durch Einschränkung der Freiheitsrechte frei. Die Einwohner*innen zahlen doppelt. Die Logik der Krisenbekämpfung lautet vereinfacht: Weil der Staat seiner Verpflichtung zur Sicherung von Leistungen der Daseinsvorsorge (hier ausreichende Anzahl an Intensivbetten, Beatmungsgeräten und Schutzkleidung) nicht nachgekommen ist, müssen die Einwohner*innen mit Einschränkungen ihrer Freiheit «bezahlen». Um nicht falsch verstanden zu werden, auch das beste Gesundheitssystem kann nicht für alle Einwohner*innen Intensivbetten, Beatmungsgeräte und Schutzkleidung vorrätig haben. Aber der Staat steht in der Verantwortung, um die Freiheitsrechte der Einwohner*innen zu schützen, sich zu kümmern.
Es wäre natürlich nicht nur in Zeiten der Corona-Krise mehr als angemessen, den Beschäftigten höhere Löhne zu zahlen. Von ordnungspolitischen Maßnahmen zur Sicherstellung der Produktion von persönlicher Schutzausrüstung oder Beatmungsgeräten ist nirgendwo die Rede. Da wird fleißig auf das Prinzip der Freiwilligkeit gesetzt, obwohl es mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und den Artikeln 14 und 15 Grundgesetz ausreichend juristische Rechtfertigungsgründe für ordnungspolitische Maßnahmen des Staates in einer solchen Krise gäbe.
Es ergibt sich zumindest eine Schieflage, wenn einerseits auf Grund staatlichen Versagens in unverhältnismäßiger Art und Weise den Einwohner*innen Freiheitsbeschränkungen auferlegt werden, andererseits ordnungspolitische Maßnahmen zur Sicherstellung der Gesundheitsversorgung unterbleiben. Wenn ein Notfall vorliegt, dann ist es eben nicht mit repressiven Ordnungsmaßnahmen gegen Einwohner*innen getan, sondern dann müssen die Instrumente des Rechtsstaates auch zur Sicherung der Krankenversorgung eingesetzt werden. Alles andere wäre absurd. Hürden zur Umsetzung solchen Maßnahmen wurden mittlerweile – zeitweilig – abgeschafft. Die entsprechenden DIN-Normen für Schutzausrüstungen sind seit Ende März 2020 kostenlos zugänglich und mit dem Infektionsschutzgesetz des Bundes wurde erstmals die Option ergriffen, dass die Wirkungen eines Patentes nicht greifen sollen, wenn die «Erfindung im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt benutzt werden soll».
Wenn die Logik der Corona-Bekämpfung in Form der Bezahlung fehlender staatlicher Daseinsvorsorge durch (zeitweiligen) Entzug der Freiheitsrechte nicht hinterfragt wird, werden am Ende Freiheitsrechte flöten gehen und die Daseinsvorsorge gleich mit – dagegen demonstrieren kann ja dann keiner mehr.
Rosa Luxemburg-Stiftung unter: Link
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