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Breites Bündnis fordert Abschaffung der Fallpauschalen in den Klinken

Foto: H.S.

28.09.2020 - von Bündnis Krankenhaus statt Fabrik

Das Bündnis Krankenhaus statt Fabrik veröffentlich gemeinsam mit Krankenhausbetreibern, zivilgesellschaftlichen Initiativen und Gewerkschafter*innen diese Corona-Resolution: Darin wird die Abschaffung der Fallpauschalen und ein Ende der Profitlogik in den Krankenhäusern gefordert.
28. September 2020 Die Corona-Krise muss Konsequenzen haben!
Angesichts der Corona-Pandemie werden die Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen offensichtlich. Aus ihnen müssen Konsequenzen gezogen werden. Die Coronakrise muss der Anfang einer grundsätzlichen Diskussion um die Ausrichtung des Gesundheitswesens in Deutschland sein.

Die Lage
1.
Seit 2004 werden die Krankenhäuser in Deutschland über Preise für die Behandlung jedes einzelnen Patienten (Fallpauschalen/DRGs) bezahlt. Die Krankenhäuser wurden auf „Effizienz“ getrimmt. Effizienz beschreibt eigentlich das Verhältnis zwischen dem erreichten Erfolg und dem dafür erforderlichen Aufwand. In diesem Sinne sind die DRGs das Gegenteil von effizient. Trotzdem wird die Effizienz von den Verteidigern der DRGs wie eine Monstranz vor sich hergetragen. Für „Effizienz“ wurden Krankenhäuser finanziell belohnt und manche konnten nur so wirtschaftlich überleben. „Effizienz“ in einem Preissystem bedeutet aber, dass möglichst viele Patienten, die sich lohnen, mit möglichst wenig Personal und in möglichst kurzer Zeit behandelt werden. Ein solches Vergütungssystem ist inhuman gegenüber den Patienten. Sie werden unter Erlösaspekten ausgesucht („gute/schlechte Risiken“), aufgenommen und behandelt (immer mehr unnötige Eingriffe) und dann noch möglichst früh (ohne Berücksichtigung ihrer sozialen Lage) entlassen. Hier offenbart sich die Problematik der Krankenhausfinanzierung und deren Folgen.

2.
Je mehr Gewinne gemacht werden müssen und je heftiger die Krankenhäuser unterfinanziert sind, desto unmittelbarer wirkten die Anreize für mehr „Effizienz“ in Krankenhäusern aller Trägerschaften. Ein solches Finanzierungssystem wurde dadurch auch inhuman gegenüber den Beschäftigten, weil die Arbeit pro Beschäftigten, also die Arbeitshetze systematisch gesteigert wurde. Insbesondere die Pflege und die Servicebereiche waren und sind hiervon betroffen. Viele sind ausgebrannt und/oder verlassen den Beruf. Die immer noch zu niedrige Bezahlung tut ein Übriges. Vorgaben, wie viele Pflegekräfte zur Versorgung der Patienten vorgehalten werden müssen, wurden abgeschafft, weil sie nicht zum Preissystem der DRGs passten. Betten und Beatmungsgeräte lassen sich vielleicht schnell nachproduzieren, aber was ist mit den fehlenden Pflegekräften? Jetzt bezeichnet man sie als „systemrelevant“ und sucht händeringend nach ihnen.

3.
Vorhaltung von Infrastruktur, z.B. für Notfälle und Epidemien, wird (bis auf minimale Ausnahmen) durch die DRGs nicht finanziert und stört die „Effizienz“. Dementsprechend findet in den Krankenhäusern keine oder nur eine möglichst geringe Vorhaltung statt. Jetzt wird deutlich, dass dies zu gefährlichen Engpässen geführt hat (Schutzmasken/-kleidung, Isolationsbetten, Überwachungs- und Beatmungsgeräte).

4.
Erklärtes Ziel der Einführung der DRGs war es, die Krankenhäuser möglichst marktkonform umzugestalten und den Wettbewerb der Krankenhäuser untereinander anzufachen. Markt und Wettbewerb statt Kooperation und Daseinsvorsorge. Jetzt erkennt man, dass es eigentlich darum geht, dass die Krankenhäuser gemeinsam handeln, sich absprechen und unterstützen.

5.
Erklärtes Ziel war es auch durch das DRG-System möglichst viele Krankenhäuser zu schließen und massiv Betten abzubauen. Argument war, dass es im internationalen Vergleich viel zu viele Betten und Krankenhäuser gebe. Es wurden zwar schon hunderte Krankenhäuser geschlossen und über 100.000 Betten abgebaut, den neoliberalen Thinktanks (Sachverständigenrat, Leopoldina, Bertelsmann, um nur einige zu nennen) war dies aber noch nicht genug. Jetzt ist Gesundheitsminister Spahn stolz auf die große Zahl von Betten in Deutschland („gut gerüstet“) und der angeblich schlimmste Nachteil wird nun zu Deutschlands größtem Vorteil.

6.
Eine weitere Folge der Finanzierung über Preise ist der ungeheure bürokratische Aufwand, der betrieben werden muss, um Preise zu berechnen, Leistungen unter Kostengesichtspunkten zu dokumentieren, sie möglichst profitabel abzurechnen, von Seiten der Krankenkassen zu kontrollieren. Dies hat zu einem wahren Abrechnungskrieg zwischen Kassen und Krankenhäusern geführt, in dem immer weiter personell aufgerüstet wird. Jetzt wird deutlich, dass man sich eine solche Ressourcenverschwendung eigentlich überhaupt nicht leisten kann, wenn es um die gute Versorgung der Bevölkerung geht. 7. Private Krankenhausgesellschaften betreiben inzwischen mehr Krankenhäuser als die öffentliche Hand. Ihr Geschäftsmodell ist Gewinnerzielung und sie müssen ggf. ja auch noch ihre Aktionäre bedienen, so dass Versichertenbeiträge direkt in deren Taschen wandern. Gewinnanreize sind jedoch ungeeignet um Krankenhäuser als Teil der Daseinsvorsorge zu steuern. Während der Corona-Pandemie wurde deutlich, dass Krankenhäuser unabhängig von der Trägerschaft zur effektiven Bewältigung der gesellschaftlichen Anforderungen zumindest unter Aufsicht des Staates gestellt werden müssten, so wie es in Spanien, Frankreich und Finnland unter den Notstandsgesetzen der Fall war. Sonst gibt es keine Steuerungsmöglichkeit im öffentlichen Interesse, damit diese Krankenhäuser ihre Pflicht gegenüber der Gesellschaft in erfüllen.

Unsere Forderungen
1. Gesundheitsversorgung ist Daseinsvorsorge. Markt und Wettbewerb, Preise (DRGs) und Gewinne sind Ausdruck der Umwandlung der Gesundheitsversorgung in ein Geschäftsmodell mit ökonomischem Schwerpunkt und gefährden die Daseinsvorsorge. Das DRG-System muss ersetzt werden durch ein einfaches und bürokratiearmes Verfahren, durch das die ohne Verschwendung tatsächlich entstandenen Kosten (inkl. Vorhaltekosten) finanziert werden (Selbstkostendeckung). Die Bundesländer müssen ihrer Verantwortung für die Finanzierung notwendiger Investitionskosten wieder vollständig gerecht werden, damit keine Gelder, die zur Patient*innenversorgung vorgesehen sind, hierfür verwendet werden müssen. Die wirtschaftliche Verwendung der Gelder muss überprüfbar sein.

2. Ein weiterer Bettenabbau nur auf Grund wirtschaftlicher Zwänge darf nicht stattfinden. Die notwendige Zahl und Größe von Krankenhäusern und deren Kooperation (Aufgabenverteilung), die Zahl der Fachabteilungen und Intensiv-/Betten müssen durch eine Bedarfsplanung der Länder unter demokratischer Beteiligung der Bürger*innen und Beschäftigten im Gesundheitswesen und deren Gewerkschaften ermittelt und umgesetzt werden. Sie muss an Versorgungsregionen und Erreichbarkeit (Flächendeckung), sowie demografischen und Morbiditätsfaktoren ausgerichtet sein. Dabei haben wegen der Steuerungsfähigkeit im öffentlichen Interesse öffentliche Einrichtungen Vorrang.

3. Für alle Berufsgruppen im Krankenhaus müssen verbindliche (gesetzlich festgelegte) bedarfsgerechte Personalbedarfszahlen wissenschaftlich ermittelt, umgesetzt und finanziert werden.

4. Die Arbeitsbedingungen und die Vergütung der Beschäftigten in den Krankenhäusern müssen deutlich verbessert werden. Bei der Durchsetzung ihrer kollektiven Interessen unterstützen wir die Beschäftigten.

5. Wenn die Daseinsvorsorge für die Krankenhäuser im Mittelpunkt steht und Gewinnanreize entfallen, fallen Kliniken als Ziel renditegetriebener privater Geschäftsmodelle aus. Statt einer weiteren Verlagerung von öffentlichen und freigemeinnützigen Krankenhäusern in privater Trägerschaft, muss Gesundheitsversorgung als öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge eher wieder zurück in die Hände oder Kontrolle der Gebietskörperschaften gelegt werden.

Unterzeichner*innen des Aufrufes „Die Corona-Krise muss Konsequenzen haben“:
- Bündnis Krankenhaus statt Fabrik
- Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokraten im Gesundheitswesen Bayern
- Attac
- Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus
- Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen und -Initiativen
- Bundeskommission Katholische Betriebsseelsorge
- Deutsche Kommunistische Partei
- DIE LINKE
- Dr. Hans-Jürgen Urban (Vorstand der IG Metall)
- Düsseldorfer Bündnis für mehr Personal
- Gemeingut in BürgerInnenhand
- Gesundheitsladen München
- Interessenverband Kommunaler Krankenhäuser
- Interventionistische Linke
- Jusos in der SPD
- Kölner Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen
- Krankenhaus statt Fabrik Jena
- Netzwerk solidarisches Gesundheitswesen Freiburg
- Oberhauser Bündnis für eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung
- Pflegebündnis Celle Stadt und Land
- Solidarisches Gesundheitswesen e.V.
- Soltauer Initiative
- Stuttgarter Bündnis für mehr Personal in unseren Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen
- Tübinger Bündnis für mehr Personal in unseren Krankenhäusern
- Überbetriebliches Solidaritätskomitee Rhein-Neckar
- Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
- Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.diVolksinitiative Gesunde Krankenhäuser NRW

Ein entsprechendes Dossier finden Sie bei Labournet.de unter: Link

Offener Brief von Krankenhausbeschäftigten an Jens Spahn + weitere
Link

Quelle: Bündnis Krankenhaus statt Fabrik