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IG BAU, was geht ab auf dem Bau?

Foto: H.S.

07.02.2020

Der Boom auf dem Bau lässt die Euro in den Kassen der großen Unternehmen klingeln, ohne dass der kränkelnde Arbeitsmarkt etwas davon hat. Das Geschäft wird mit Scheinselbständigkeit und prekärer bzw. illegaler Beschäftigung gemacht. Die unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten werden dabei in Kauf genommen.

Nun feierte die Gewerkschaft IG BAU sich selbst und dass es auf dem Bau auch weiterhin zwei Branchen-Mindestlöhne und damit „Lohnhaltelinien nach unten“ – insbesondere für fachliche Arbeiten – geben soll. Der Schlichterspruch, der die Mindestlohn-Tarifverhandlung Ende des Jahres beendet hatte, beinhaltet, dass die Lohnuntergrenze für Hilfsarbeiten auf dem Bau (Mindestlohn 1) bundesweit ab dem 1. April 2020 um 35 Cent auf 12,55 Euro pro Stunde angehoben und der zweite Mindestlohn für Facharbeiten (Mindestlohn 2) um 20 Cent auf 15,40 Euro pro Stunde steigen wird. Laut Gewerkschaft ist es gelungen, den „Angriff auf das bisherige Mindestlohnsystem“ abzuwehren und einen Rückfall auf den ab Januar gültigen gesetzlichen Mindestlohn von dann 9,35 Euro pro Stunde zu vermeiden.

Doch in der alltäglichen Praxis auf dem Bau wird sich nichts Substantielles ändern, da die Unternehmen mit geschickten Werkverträgen versuchen, auch die gesetzlich festgelegten Mindestlöhne zu unterwandern und vermehrt vor allem Wanderarbeiter beschäftigen.

Was nützt ein allgemeinverbindlicher Branchenmindestlohn, wenn der Unternehmer den Beschäftigten vorgibt, als Subunternehmer im Rahmen eines Werkvertrages für die Baufirmen tätig zu sein?
weiterlesen: https://gewerkschaftsforum.de/weiss-die-industriegewerkschaft-bauen-agrar-umwelt-ig-bau-eigentlich-noch-was-auf-dem-bau-abgeht/#more-7594

- Mit Kontrolle gegen Armut – Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch (GIBS) siehe: https://gewerkschaftsforum.de/mit-kontrolle-gegen-armut-gesetz-gegen-illegale-beschaeftigung-und-sozialleistungsmissbrauch-gibs/

Bundesverfassungsgerichtsurteil schwächt Tarifautonomie
"Aus dem Grundgesetz ergibt sich grundsätzlich kein Anspruch darauf, dass Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden

Beschluss vom 10. Januar 2020
1 BvR 4/17
Nach dem Tarifvertragsgesetz (TVG) können Tarifverträge durch dasBundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) für allgemeinverbindlich erklärt werden. Sie gelten dann nicht nur für die Tarifvertragsparteien und ihre Mitglieder, sondern auch darüber hinaus. Jedoch ergibt sich aus der in Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie kein Recht darauf, dass ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird. Daher hat die 3. Kammer des Ersten Senats mit heute veröffentlichtem Beschluss die Verfassungsbeschwerde einer Gewerkschaft und einer durch Tarifvertrag eingerichteten Sozialkasse nicht zur Entscheidung angenommen.

Sachverhalt:
Im Baugewerbe sind Tarifverträge über Sozialkassen des Baugewerbes geschlossen worden. Diese Kassen sind gemeinsame Einrichtungen der Tarifparteien. Sie sollen im Bereich des Urlaubs, der Altersversorgung und der Berufsbildung Leistungen erbringen, die wegen Besonderheiten der Baubranche sonst nicht oder nur eingeschränkt zu bekommen wären. Finanziert wird dies über Beiträge der Arbeitgeber, die im Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) festgelegt sind. Grundsätzlich ist die Beitragspflicht im Grundsatz auf solche Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber beschränkt, die wegen ihrer Mitgliedschaft in einem tarifschließenden Verband an den VTV gebunden sind. Allerdings wurde der VTV in der Vergangenheit regelmäßig nach § 5 TVG vom BMAS im Einvernehmen mit dem zuständigen Ausschuss für allgemeinverbindlich erklärt. Daher wurden auch nicht tarifgebundene Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu Beiträgen herangezogen.

Mit Beschluss vom 21. September 2016 entschied das Bundesarbeitsgericht, dass die Allgemeinverbindlicherklärungen der Jahre 2008 und 2010 unwirksam seien. Sie hätten den Voraussetzungen im damals geltenden TVG nicht entsprochen. So habe sich der zuständige Minister beziehungsweise die Ministerin oder der jeweilige Staatssekretär oder die Staatssekretärin nicht mit der Allgemeinverbindlicherklärung befasst. Auch habe nicht festgestellt werden können, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber mindestens 50 % der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt hatten. Gegen diesen Beschluss des Bundesarbeitsgerichts richten sich die Verfassungsbeschwerden einer Gewerkschaft, die einen solchen Tarifvertrag über die Sozialkassen geschlossen hat, und einer Sozialkasse.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:
I. Die Koalitionsfreiheit der Beschwerdeführenden wird nicht dadurch verletzt, dass das Bundesarbeitsgericht die Allgemeinverbindlicherklärungen der Tarifverträge über die Sozialkassen der Jahre 2008 und 2010 für unwirksam erklärt hat.

Aus Art. 9 Abs. 3 GG folgt für die Beschwerdeführenden kein Anspruch auf Allgemeinverbindlicherklärung des VTV. Zwar schützt die Koalitionsfreiheit das Recht der Tarifparteien, auch Tarifverträge zu schließen, die von vornherein darauf zielen, auch Nichtmitglieder zu verpflichten. Daraus folgt aber kein Anspruch darauf, dass diese auch für allgemeinverbindlich erklärt werden müssen. Vielmehr darf der Staat seine Normsetzungsbefugnis nicht beliebig außerstaatlichen Stellen überlassen und die Bürgerinnen und Bürger nicht schrankenlos der normsetzenden Gewalt von Akteuren ausliefern, die ihnen gegenüber nicht demokratisch oder mitgliedschaftlich legitimiert sind.
Ein Anspruch darauf, dass ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird, folgt auch nicht aus der Pflicht des Gesetzgebers, zu ermöglichen, dass von der Koalitionsfreiheit tatsächlich Gebrauch gemacht werden kann. Art. 9 Abs. 3 GG enthält insofern kein Gebot, jeder Zielsetzung, die Koalitionen verfolgen, zum praktischen Erfolg zu verhelfen. Das Grundrecht garantiert den Koalitionen vielmehr die tatsächlich realisierbare Chance, durch ihre Tätigkeit die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern. Soweit diese Chance nicht gegeben ist, kann Abhilfe verlangt werden; ein solcher Fall ist hier aber nicht erkennbar. Die Anforderungen, die das Bundesarbeitsgericht an die Allgemeinverbindlicherklärungen gestellt hat, lassen die Anstrengungen der Koalitionen, ihre Ziele zu erreichen, nicht leerlaufen. Auch beeinträchtigt es die Chancen der Koalitionen nicht, wenn gefordert wird, dass im zuständigen Ministerium konkret personell Verantwortung übernommen werden muss. Die weitere Anforderung einer 50 %-Quote gebundener Beschäftigter schränkt zwar die Möglichkeiten der Koalitionen ein, ihre Tarifverträge auf Außenseiter zu erstrecken. Doch entfällt damit nicht jede Möglichkeit, die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG in Anspruch zu nehmen.

II. Aus denselben Gründen hat die Kammer auch die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführenden gegen weitere Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts nicht zur Entscheidung angenommen, mit denen die Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV der Jahre 2012, 2013 und 2014 für unwirksam erklärt worden waren (1 BvR 593/17, 1 BvR 1104/17 und 1 BvR 1459/17).

Quelle: Gewerkschaftsforum.de, 10.1.2020 + BVG, PM Nr. 8/2020 vom 5. Februar 2020