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Sachgrundlose Befristung: Unverschämtheit fiel nicht vom Himmel

Foto: H.S.

20.01.2020 - von Hanne Schweitzer

Für heutige Verhältnisse hat die "sachgrundlose Befristung" einen realtiv langen Vorlauf. Sie passierte nicht über Nacht. Die drastische Reduzierung UNBEFRISTETER Beschäftigungsverhältnisse folgt der Absicht und dem Willen von multinationalen Konzernen, europäischen Arbeitgebern und den Sozialpartnern der EU. Die ARBEITNEHMERFEINDLICHE Ausrichtung des politischen Handelns auf der EU- und bundesdeutschen Ebene dient der Steigerung von Unternehmensgewinnen und der Zerschlagung der zuvor in Europa gültigen Lebenslaufmodelle.

To make a long story short und ohne Anspruch auf Vollständigkeit: "Sachgrundlose Befristungen" werden - nach etlichen Vorgeplänkeln, 1997 auf EU-Ebene etabliert. Auf Vorschlag der EU-Kommission verabschiedet der Europäische Rat eine Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (RI1997/81/EG). Begründet wird sie unter anderem so: „Die Verwirklichung des Binnenmarktes muß zu einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft führen. Dieser Prozeß erfolgt durch eine Angleichung dieser Bedingungen auf dem Wege des Fortschritts und betrifft namentlich andere Arbeitsformen als das unbefristete Arbeitsverhältnis, wie das befristete Arbeitsverhältnis,Teilzeitarbeit, Leiharbeit und Saisonarbeit“.

Seit 1997 ging´s steil bergab
Zwei Jahre später, 1999, markiert eine weitere EU-Richtlinie den Weg des Fortschritts: die Rahmenrichtlinie über befristete Arbeitsverträge (1999/70/EG). Sie kommt nicht alleine daher, sondern mitsamt eines Anhangs, um dessen Anfertigung der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) , der Europäische Unternehmerverband (UNICE) und die Lobby für den Öffentlichen Dienst (CEEP) vom Rat der EU "ersucht" wurden. Titel des Anhangs: Rahmen vereinbarung über befristete Arbeitsverträge. Darin enthalten sind: "Vereinbarungen zur Modernisierung der Arbeitsorganisation, darunter flexible Arbeitsregelungen, um die Unternehmen produktiv und wettbewerbsfähig zu machen und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Flexibilität und Sicherheit zu erreichen". Während die Ziele für die Arbeitgeber deutlich benannt werden, Produktivität und Wettbewerbsfährigkeit, also Profit, bleibt im Dunkeln, von wessen Flexibilität und Sicherheit geschwafelt wird.

Zwar erkennen die Unterzeichner der Veinbarung großzügig an, daß "unbefristete Arbeitsverträge die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses" sind und "zur Lebensqualität der betreffenden Arbeitnehmer und zur Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit" beitragen, aber nach diesen schönfärberischen Worten geht es zur Sache. "Die aus objektiven Gründen erfolgende Inanspruchnahme befristeter Arbeitsverträge hilft Mißbrauch zu vermeiden. ... Befristete Arbeitsverträge können den Bedürfnissen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer entsprechen" Können. müssen also nicht. Geradezu peinlich wird es, wenn die EU-weit beabsichtigte Etablierung befristeter Arbeitsverhältnisse ausgerechnet zur Chancengleichheit beitragen sollen: "Da mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer in befristeten Arbeitsverhältnissen in der Europäischen Union Frauen sind, kann diese Vereinbarung zur Verbesserung der Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern beitragen."

In Paragraph 5 der Rahmenvereinbarung kommen die drei Präsidenten und drei Generalsekretäre der europäischen Sozialpartner, die ihren Friedrich Wilhelm unter den neoliberalen Anhang gesetzt haben, auf den Mißbrauch zurück. Wieder werden weder Täter noch Opfer genannt. Stattdessen werden sachliche Gründe für befristete Arbeitsverhäötnisse aufgezählt.
"1. Um Mißbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse zu vermeiden, ergreifen die Mitgliedstaaten ... unter Berücksichtigung der Anforderungen bestimmter Branchen und/oder Arbeitnehmerkategorien eine oder mehrere der folgenden Maßnahmen:
a) sachliche Gründe, die die Verlängerung solcher Verträge oder Verhältnisse rechtfertigen;
b) die insgesamt maximal zulässige Dauer aufeinanderfolgender Arbeitsverträge oder -verhältnisse;
c) die zulässige Zahl der Verlängerungen solcher Verträge oder Verhältnisse.
2. Die Mitgliedstaaten ... und/oder die Sozialpartner legen gegebenenfalls fest, unter welchen Bedingungen befristete Arbeitsverträge oder Beschäftigungsverhältnisse:
a) als "aufeinanderfolgend" zu betrachten sind;
b) als unbefristete Verträge oder Verhältnisse zu gelten haben."

EU-Richtlinien müssen in allen Mitgliedstaaten umgesetzt werden
Folgerichtig tritt im Dezember 2000 das bundesdeutsche "Teilzeit- und Befristungsgesetz" in Kraft. Das ist schludrig gemacht, beeinträchtigt die Gemütsruhe von Betriebsräten und auch die von zahlreichen Richtern.
2005 äußert sich der Generalanwalt der EU über das bundesdeutsche Gesetz: "Generalanwalt: Teilzeitbefristugsgesetz ist Käse" https://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=933. Noch im gleichen Jahr folgt das Urteil: "EU-Gerichtshof kippt Teilzeitbefristungsgesetz" https://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=1055.

Doch die Lobby der ArbeitnehmerInnen, mit den Attributen Ängstlichkeit und Schwäche geschlagen, bezieht aus dem Urteil keine Stärke. Das Heft des Handelns liegt beim BDA und der Politik. Die Arbeitgeber brauchen wasserdichte Gesetze für die Amerikanisierung des bundesdeutschen Arbeitsmarkts und 2007 macht sich die SPD dafür stark: "Münte plant neues Teilzeitbefristungsgesetz" https://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=1489 und: "Neuer Anlauf für Teilzeitbefristungsgesetz" https://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=1803.

Seitdem hat sich nicht mehr viel getan. Das "Teilzeit- und Befristungsgesetz - TzBfG" wird verabschiedet, geändert, modifiziert, justiiert, gelobt oder verflucht. Artikel 14 spricht eine deutliche Sprache.
Zulässigkeit der sachlich begründeten Befristung eines Arbeitsvertrags
(1) Die Befristung eines Arbeitsvertrages ist zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Ein sachlicher Grund liegt insbesondere vor, wenn
1. der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht,
2. die Befristung im Anschluss an eine Ausbildung oder ein Studium erfolgt, um den Übergang des Arbeitnehmers in eine Anschlussbeschäftigung zu erleichtern,
3. der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird,
4. die Eigenart (!!!) der Arbeitsleistung die Befristung rechtfertigt,
5. die Befristung zur Erprobung erfolgt,
6. in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe die Befristung rechtfertigen,
7. der Arbeitnehmer aus Haushaltsmitteln vergütet wird, die haushaltsrechtlich für eine befristete Beschäftigung bestimmt sind, und er entsprechend beschäftigt wird oder
8. die Befristung auf einem gerichtlichen Vergleich beruht.
Befristung bei Neueinstellung (§ 14 Abs. 2 TzBfG)

Zulässigigkeit der sachgrundlosen Befristung eines Arbeitsvertrags
(1) bis zu einer Gesamtdauer von 2 Jahren (§ 14 I 1 Hs. 1 TzBfG)
(2) die auch durch eine höchstens dreimalige Verlängerung durch eine kalendermäßige Befristung erreicht werden darf (§ 14 I 1 Hs. 2 TzBfG),
(3) insoweit nicht davon in einem Tarifvertrag (§ 14 I 3 TzBfG) oder durch Bezugnahme auf einen einschlägigen Tarifvertrag (§ 14 I 4 TzBfG) abgewichen wird;
(4) jedoch nur, wenn mit demselben Arbeitgeber nicht zuvor schon ein Arbeitsverhältnis i. S. d. § 14 II 2 TzBfG bestanden hat.
- im Fall der Neugründung eines Unternehmens (§ 14 Abs. 2a TzBfG)

Weil das aber noch immer nicht niederschmetternd genug für ArbeitnehmerInnen ist, die keine seidenen Strümpfe tragen, enthält Artikel 14 noch eine eigene, altersdiskriminierende sachgrundlose Regelung für alle, die älter als 52 Jahre sind: "Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist bis zu einer Dauer von fünf Jahren zulässig, wenn der Arbeitnehmer bei Beginn des befristeten Arbeitsverhältnisses das 52. Lebensjahr vollendet hat und unmittelbar vor Beginn des befristeten Arbeitsverhältnisses mindestens vier Monate beschäftigungslos im Sinne des § 138 Absatz 1 Nummer 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch gewesen ist, Transferkurzarbeitergeld bezogen oder an einer öffentlich geförderten Beschäftigungsmaßnahme nach dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch teilgenommen hat. Bis zu der Gesamtdauer von fünf Jahren ist auch die mehrfache Verlängerung des Arbeitsvertrages zulässig."

Die vom Chef der Linken, Riexinger, unlängst geforderte "bessere Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer", und "ein Mindestlohn von 13 Euro" ändert NULL an der menschenfeindlichen Geisteshaltung derjenigen, deren Machtposition es ihnen ermöglicht, den Erlass solcher Richtlinien und Gesetze zu veranlassen.

Heute, am 15 Januar 2020 finden bundesweit Aktionen für Entfristung (#Zukunftsvertrag) statt. siehe: https://www.labournet.de/?p=145356

Quelle: Büro gegen Altersdiskriminieung