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KEINE Weihnachtsgeschichte

Foto: H.S.

31.12.2018 - von Hartmut Jeromin

oder wenigstens keine nur Weihnachtsgeschichte. Denn sie ist vielfältig verschlungen in die Zeitläufe und mit manchen Aktiva und Passiva belastet. Zudem weis ich nicht, ob ich sie vollständig oder nur zu Teilen zu Papier bringen soll … Also, wir waren gerade mit anderem, nun ausreichendem Wohnraum versorgt worden, hatten die Mühen des Vorrichtens bewältigt und für Abfindungsforderungen der Vormieter unseren letzten Groschen ausgegeben, das Leben konnte neu beginnen. Aber nun kam nach den Herbstferien dieser Einschreibebrief und der rief mich zu den Fahnen des Vaterlandes! Erstmalig und in meinem 34 Lebensjahr. Bisher hatte ich sowas erfolgreich gemieden aber nun doch.

Also Anfang November „eingerückt“. Mit allem Drum und Dran und sie schenkten uns da nichts. Uns, das waren vorwiegend Männer meines Alters, alles Familienväter, Berufstätige, lebenserfahrene Männer aus der Region. Und Anfang November bedeutete auch über Weihnachten und Ostern in der Kaserne oder den „Orten der Unterkünfte“ zu verbringen. Im Advent durften zwar die Angehörigen zu Besuch kommen, meine Frau mit 3 Kindern, mit Bus und Bahn, nur um den Mann und Vater zu erleben in einer völlig fremden Situation, in Uniform, unter fremden Leuten. Eine ziemliche Zumutung für alle im traurigen November. Und bis Stunden zuvor wusste ich nicht, ob ich Heiligabend zu Hause sein würde, aber ich konnte am 24.12. den Dienstort in Richtung Familie verlassen. Auf dem Wege zum Bahnhof noch etwas für den Gabentisch besorgt, in letzter Minute, was es so gab. Es wurde nur ein kurzer Urlaub.

Dieses Eingesperrt sein unter ständigem Befehlszwang führte zu allerhand Neurosen unter uns Männern. Und wir konterten mit „Humor“, mit „Geigel“, mit den seltsamsten Späßen, mehr in Richtung der Vorgesetzten als gegen die eigenen Leute. Das Gelächter half uns, die Lebenslage zu überstehen. Z.B. lachten wir sehr, als K, der Bergmann als Teil der Torwache für „Ente“ beide Torflügel aufriss. Auf Nachfrage seitens „Ente“; warum so, antwortete K. „damit sie mit den Füssen nicht anstoßen“. „Ente“ wurde ein Offizier von uns genannt, weil er einen mit den Füssen sehr auswärtigen Gang hatte, er watschelte. Sowas zog erheiternde Kreise nicht nur beim „Fußvolk“. Und so blieb es nicht aus, dass auch ich mich rappelte und meiner satirischen Ader mehr Raum geben konnte, wenn auch nur in kleinen Schritten. Wir standen quasi im Wettbewerb um die döllsten Dinger. Das schaffte Ansehen und Kameradschaft.

Ja, und nun beim „Essenfassen“, im Speisesaal: K.: „Soll ich Mal?“ Er sollte und machte. Der aufsichtsführende Berufsunteroffizier ging im Mittelgang hin und her, die essende Mannschaft spitzte, K. schlich sich hinter einer Steinsäule an, der Uffz. (das Ohr) machte gerade hinten kehrt, da biss ihn K. ins Ohr und verschwand blitzschnell wieder hinter der Säule. Mit lautem Aufschrei, Hand am Ohr und rotem Kopf erntete der Genosse Uffz. das Gelächter im vollen Essenssaal. Natürlich, Späße auf Kosten anderer. Diese Welt kannte keine Gnade oder ausgleichende Gerechtigkeit! Das lag im System.

Mich holte das in den Jahren danach manchmal wieder ein. Ich arbeitete in den Ferienzeiten oft in den Kinderferienlagern des Patenbetriebes. Um mit dem Dazuverdienst unseren etwas kostspieligeren Urlaub an der Ostseeküste begleichen zu können. Gleich nach dem stressigen Schlussspurt des Schuljahres mit Prüfungen, Zeugnissschreiben , Klassenbuch abschließen und Schulentlassungsfeier. Nun also eine kurze freiwillige Trennung von der Familie für einen guten Zweck: Der Urlaub wurde gesichert und der Betrieb brauchte keinen Werktätigen abstellen für die Ferienbetreuungsarbeit. Denn Arbeit war es, wegen der Ferienkinder rund um die Uhr. Du hast da Verantwortung und Pflichten, die Eltern verlassen sich darauf. Rund um die Uhr bedeutete aber wenig Schlaf. Außer dem langen Sommertag und den Nachtwachen gab es da noch die „Nachtfestspiele“. Die Helfer versammelten sich zum Feierabend, zum Bier oder in eine Kneipe. Dann ging es manchmal noch zum Nachtschwimmen. Da wurde der Schlaf manchmal kurz …und drei Wochen war das durchzuhalten. So geriet so mancher unter Spannung und die konnte nur durch Gelächter ausgeglichen werden. Wieder dieser „Humor“, dieser „Geigel“, diese Späße. Und ich machte mit und entsann mich des Ohrbisses des K. und fand ein Opfer, ein Junge, der immer etwas gegen den Strom schwamm. Soweit wäre das auch gut gegangen, nur, der Junge hielt nicht still, sondern zuckte beim Biss mit dem Kopf weg und riss sich dabei etwas das Ohrläppchen ein. Die Reaktionen im Lager waren nicht besonders aber es sprach sich herum: H. hat den und den gebissen und der hat geblutet. Schlimme Sache. Die Betriebsleitung erfuhr davon, ich kam mit einer Missbilligung davon.

Beim Abschlussfest im großen Speisesaal des Ferienlagers passierte es dann. Der Koch mit Gefolge trug ein Tablett, darauf war etwas unter einem weißen Tuch versteckt. Ich ahnte nichts. Aber alle Augen waren im Saal auf mich gerichtet, der Aufzug näherte sich meinem Platz im Saal, eine große Spannung lag über dem Rund: der Koch servierte mir etwas, mit Besteck. Ich deckte es auf- ein großes Ohr von einem Hirsch! Unbändiges Gelächter im Raum von 300 Kindern, diesmal traf es also mich - ausgeglichen! Ich biss nochmals zu, in das Hirschohr!

Nach so einer Ferienarbeit fuhr ich dann mit letzter Kraft zur Familie an die Ostsee, meist in der Nacht. Da im Feriengrundstück unter einer Birke, die da wohl heute noch steht, schlief ich mehrere Tage und Nächte hintereinander bevor ich meine Funktionen in der Familie wieder erfüllen konnte. In den Ferien an der See bestanden die vor allem in: Früh beim Bäcker anstellen, später dann Getränke besorgen, dann Gemüse oder Obst einkaufen, ein oder zweimal in der Woche wurde Fleisch und Wurst geliefert, außerdem noch Milch besorgen, manchmal auch wildwachsende Brombeeren pflücken in den Hecken. Gerne natürlich die Kinder am Strand tummeln …

Vielleicht sollte nun langsam Gras über die Geschichten wachsen, obwohl es ja Orte und auch Personen daraus noch gibt. Aber zur besinnlichen Jahreszeit erinnert man sich. Dabei helfen durchaus auch Schweineohren vom Bäcker oder ein Hirschbraten und dazu ein guter Rotweint- meint Hartmut Jeromin im Dezember 2018.

Link: Sport war immer
Quelle: Hatmut Jeromin