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06.12.2018 - von LAG Hessen
Viele Bewerbungen sind kein Rechtsmissbrauch. Nach elf Jahren hat das Landesaarbeitsgericht Hessen einem arbeitslosen Anwalt, der gegen die R+ V Versicherung wegen Altersdiskriminierung geklagt hatte, eine Entschädigung von 14.000 Euro zugesprochen. Die R+ V hatte in einer Stellenausschreibung Bewerber gesucht, deren Hochschulabschluß nicht mehr als ein Jahr zurück lag. Das war bei dem Anwalt der Fall. Er hatte allerdings nicht das von der R + V unausgesprochen vorausgesetzte jugendliche Alter eines Trainees. Am 13.11.2018 wurde die Beggründung des Urteils vom 18. Juni 2018 veröffentlicht. Das LAG Hessen lehnt eine Revisionsmöglichkeit ab, die R + Versicherung ist nicht zufrieden. Sie hat eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. (Az. 8 AZN 507/18).
Leitsatz:
1.
Durch eine in der Stellenausschreibung in Bezug genommenen Anforderungskriterium eines Hochschulabschlusses, der nicht länger als 1 Jahr zurückliegt oder innerhalb der nächsten Monate erfolgt, macht der AG klar, lediglich Interesse an der Gewinnung jüngerer Mitarbeiter/- innen zu haben. Dies ist aber geeignet, ältere gegenüber jüngeren Personen wegen des Alters zu benachteiligen.
2.
Ein Rechtsmissbrauch im Zusammenhang einer Bewerbung einer älteren Person ist dann anzunehmen, sofern die Bewerbung nicht erfolgt ist um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es dem Bewerber darum gegangen sein sollte, nur den formalen Status als Bewerber im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zu erlangen, mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung oder Schadensersatz geltend zu machen.
3.
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen, die den rechtshindernden Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen, trägt derjenige, der den Einwand geltend macht. Dabei geht es darum, ob es tatsächlich, objektive Umstände gibt, aus denen sicher angenommen werden kann, dass subjektiv nur der formale Status als Bewerber angestrebt worden ist.
4.
Bleiben dann Zweifel ist der Darlegungslast nicht genügt
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden - 5 Ca 2491/09 - vom 20.01.2011 abgeändert und der Tenor wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung in Höhe von 14.000,00 EUR (in Worten: Vierzehntausend und 0/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.06.2009 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, sämtliche künftigen materielle Schäden, die dem Kläger aufgrund der unterlassenen Einstellung bei der Beklagten vom 19.04.2009 entstanden sind, zu ersetzen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen einer Diskriminierung sowie Schadensersatz.
Die Beklagte, ein Versicherungsunternehmen, hat am 28.03.2009 auf ihrer Web-Site eine Stelle in einem Trainee-Programm für Absolventen verschiedener Wissenschaftsdisziplinen, darunter auch der Fachrichtung Rechtswissenschaft ausgeschrieben. Der Starttermin sollte August 2009 sein, während die Dauer für 12 Monate geplant war. Wegen der Einzelheiten dieser Ausschreibung für das Trainee-Programm 2009 wird auf die Anlage K 1 zur Klageschrift (Bl. 11 ff d.A.) Bezug genommen.
Der Kläger hat sich mit Schreiben vom 25.03.2009 auf diese Stelle für das Trainee-Programm 2009 Fachrichtung: Jura beworben. Wegen der Einzelheiten und des Inhalts dieses Schreibens wird auf die Anlage B. 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 15.01.2010 (Bl. 55 f d.A.) verwiesen. Diesem Bewerbungsschreiben war auch der Lebenslauf des Klägers beigefügt. Wegen der Einzelheiten dieses Lebenslaufs und der einzelnen Daten und Zeiträume der Qualifkationsmaßnahmen und Abschlüsse wird auf die Anlage B 2 zum Schriftsatz der Beklagten vom 15.01.2010 (Bl. 57 d.A.) verwiesen. Das Gehalt bei der Trainee-Stelle sollte ca. 3500,00 brutto monatlich betragen.
Der Kläger hat auf sein Bewerbungsschreiben hin von der Beklagten unter dem 19.04.2009 eine Absage erhalten.
Unter Trainee wird auch bei der Beklagten ein Hochschulabsolvent verstanden, der in einem Unternehmen systematisch als vielfältig einsetzbare Nachwuchskraft aufgebaut wird, üblicherweise durch ein Traineeprogramm mit aufeinander abgestimmten Einsätzen in verschiedenen Abteilungen, Seminaren und Netzwerkveranstaltungen.
Der Kläger hat im Jahr 2001 seine zweite juristische Staatsprüfung in München abgelegt. Anschließend ist es zu einer ehrenamtlichen Mitarbeit bei einem
Projekt im XX XX/Durban/RSA durch den Kläger gekommen. Seit dem Jahr 2003 ist der Kläger als selbständiger Rechtsanwalt mit seiner Kanzlei in A und später in München zugelassen. In der Zeit vom Januar 2006 bis Juni 2007 war der Kläger leitender Angestellter bei der B. Er hatte dort Personalverantwortung für 5 Volljuristen und 3 Bürokräfte. Im Zeitraum von Januar 2008 bis Dezember 2008 hat der Kläger ein LL.M.-Studium an der University of C absolviert und dies mit dem Abschluss Master of Laws (Schwerpunkt Arbeitsrecht) beendet. Das Thema seiner Abschlussarbeit lautete: "D".
Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Kläger vor seiner Bewerbung bei der Beklagten im Ausland verbracht hat. Des Weiteren war der Kläger zum Zeitpunkt der Bewerbung bei der Beklagten arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld I.
Darüber hinaus hat der Kläger im Zeitraum vor der Bewerbung bei der Beklagten und auch nach der Bewerbung bei der Beklagten auf der Grundlage von verschiedenen Bewerbungen Vorstellungstermine in verschiedenen Städten in verschiedenen Unternehmen und Institutionen wahrgenommen. Der Kläger hat sich ferner im Zeitraum der Bewerbung bei der Beklagten auch auf zahlreiche Stellen beworben bei denen nicht auf ein diskriminierendes Verhalten des Arbeitgebers zu schließen war.
Mit Schreiben vom 11.06.2009 hat der Kläger gegenüber der Beklagten wegen einer Diskriminierung wegen seines Alters Entschädigungsansprüche geltend gemacht. Wegen der Einzelheiten dieses Schreibens wird auf die Anlage B 3 zum Schriftsatz der Beklagten vom 15.01.2010 (Bl. 58 ff d.A.) Bezug genommen. Die Beklagte hat sodann den Kläger unter dem 29.06.2009 zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, was der Kläger jedoch abgelehnt hat.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Anforderung, dass der Hochschulabschluss maximal 1 Jahr zurück liegen dürfe, bedeute, dass die Beklagte in ihrer Stellenausschreibung Indizien geschaffen habe, die eine Diskriminierung wegen des Alters vermuten lassen würden.
Der Kläger hat behauptet, er sei für die ausgeschriebene Stelle als Trainee objektiv geeignet gewesen.
Er sei auch einer der bestqualifiziertesten Bewerber auf die ausgeschriebene Stelle gewesen. Er habe das Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Stelle in idealer Weise erfüllt. Er habe nämlich bereits über einen Zeitraum von 1 1/2 Jahren in einem Unternehmen der E-Gruppe als Volljurist gearbeitet und habe daher über erste Berufserfahrungen in einem großen Versicherungskonzern verfügt.
Der Kläger hat weiter behauptet, dass er in dem Bundesland Bayern mit einem sogenannten "kleinen Prädikat" sein Examen absolviert habe. Er habe nämlich zu den besten 35% seines Jahrgangs gehört, was die Examensnote angehe. Außerdem sei bei seiner Qualifikation auch sein LL.M.-Studiengang zu berücksichtigen. Schließlich habe er auch medizinische Kenntnisse vorzuweisen gehabt.
Zusammenfassend hat der Kläger behauptet, dass er die von der Beklagten aufgestellten Bewerberkriterien in idealer Weise erfüllt habe. Unter Berücksichtigung der Umstände, dass im Regelfall bei einer Stellenbesetzung nicht Bewerber gefunden werden können, die alle Anforderungen erfüllen, dürfte der Kläger einer der bestqualifizierten Bewerber gewesen sein. Außerdem sei er nicht überqualifiziert gewesen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass 4 Bruttomonatsgehälter im vorliegenden Fall für die Höhe der Entschädigung angemessen sein. Wegen der Einzelheiten seines tatsächlichen Vorbringens hierzu wird auf Bl. 16 ff seines Schriftsatzes vom 22.02.2010 (Bl. 126 ff d.A.) zu verwiesen. Dabei stellt der Kläger auch darauf ab, dass die Examensnoten nicht das ausschlaggebende Kriterium für die damalige Besetzung der Trainee-Stellen gewesen seien. Er sei es nämlich gewesen, der über bessere Examensnoten verfügt habe, als eine der eingestellten Bewerberinnen und gleich zu bewertende Examensnoten wie eine weitere eingestellte Bewerberin. Daraus ergebe sich klar und deutlich, wäre der Kläger nicht wegen seines Alters diskriminiert worden, so hätte er die Stelle erhalten. Insbesondere sei dabei zu berücksichtigen, dass er im Gegensatz zu den eingestellten Bewerberinnen über die geforderten Kenntnisse im Arbeitsrecht und im Medizinrecht verfügt habe. Außerdem falle auf, dass die Beklagte ausschließlich Frauen eingestellt habe.
Im Hinblick auf den geltend gemachten Schadensersatzanspruch hat der Kläger behauptet, dass die besetzten Stellen weiterhin durch die damals als Trainee eingestellten Bewerberinnen besetzt worden seien. Die eingestellten Mitarbeiterinnen seien noch bei der Beklagten tätig, bzw. seien länger als ein Jahr dort tätig gewesen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der zu Widerhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu Euro 250.000,00 ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder einer Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, zu unterlassen, Stellenbewerber im allgemeinen und insbesondere den Kläger im Auswahlverfahren für eine Stelle als Trainee-Jurist wegen ihres/seines Alters zu benachteiligen;
die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine angemessene Entschädigung, deren Höhe des Ermessen des Gerichts gestellt werde, mindestens jedoch Euro 14.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 27. Juni 2009 zu zahlen;
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, sämtliche künftigen materiellen Schäden, die dem Kläger aufgrund der unterlassenen Einstellung bei der Beklagten vom 19. April 2009 entstanden sind zu ersetzen;
die Beklagte zu verurteilen an ihm eine angemessene Entschädigung in Geld, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch in Euro 3.500,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 23. November 2010 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass bei der Bewerbung des Klägers auf die Trainee-Stelle eine Scheinbewerbung vorliege.
Die Beklagte hat hierzu behauptet, der Kläger habe sich nicht ernsthaft beworben. Außerdem sei der Kläger ein "AGG-Hopper". Dies werde schon daraus deutlich, dass er ein Vorstellungsgespräch ausgeschlagen habe.
Die Beklagte hat weiter behauptet, dass der Kläger für die Stelle als Trainee deutlich überqualifiziert sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des tatsächlichen Vorbringens der Beklagten hierzu wird auf Blatt 3 ff ihres Schriftsatzes vom 24. 8. 2010 (Bl. 263 ff d.A.) verwiesen.
Außerdem habe der Kläger ungefragt auf persönliche Umstände im Zusammenhang mit dem Tode seines Vaters hingewiesen. Darüber hinaus habe er auch die Einladung zum Vorstellungsgespräch nicht angenommen.
Des Weiteren hat die Beklagte behauptet, der Kläger sich auch mehrfach deshalb beworben, um Entschädigungsansprüche geltend machen zu können. Wegen der Einzelheiten des tatsächlichen Vorbringens der Beklagten hierzu wird auf Blatt 6 ff ihres Schriftsatzes vom 15.01.2010 (Bl. 49 ff d.A.) sowie auf Blatt 2 ff ihres Schriftsatzes vom 16.08.2010 (Bl. 241 ff d.A.) verwiesen.
Außerdem hätte der Kläger seine Anwaltszulassung zurückgeben müssen, wenn er bei der Beklagten die Trainee-Stelle angetreten hätte. Darüber hinaus seien auch seine Examensnoten nicht gut genug gewesen. Die Mitbewerberinnen und Mitbewerber hätten bessere Noten gehabt.
Mit seinem am 20.01.2011 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht Wiesbaden - 5 Ca 2491/09 - die Klage abgewiesen. Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat in der Begründung hierzu ausgeführt, dass eine etwaige mittelbare Diskriminierung bei der Nichtberücksichtigung der Besetzung einer Trainee-Stelle gerechtfertigt sei. Die Beklagte habe nämlich ausgeführt, einen Trainee gesucht zu haben, der durch alle Abteilungen des Unternehmens geführt werden sollte. Der Kläger sei dem gegenüber beruflich schon verwurzelt gewesen. Mit dem Trainee habe man eine Nachwuchskraft gesucht, die aufgebaut werden sollte. Dieses legitime Ziel könne durch eine entsprechende Ausschreibung der Stelle angemessen und mit erforderlichen Mitteln verfolgt werden. Die Beklagte habe in berechtigter Weise in ihrer Stellenanzeige zum Ausdruck gebracht, dass sie einen Berufsanfänger suche. Außerdem habe die Beklagte den Kläger nicht wegen seines Geschlechts diskriminiert. Ein entsprechender Nachweis sei dem Kläger nämlich nicht gelungen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger innerhalb der zu Protokoll der Berufungsverhandlung vom 12.02.2018 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt.
Der Kläger bleibt bei seiner Auffassung, wegen der Forderung der Beklagten in der Stellenausschreibung, dass ein Hochschulabschluss nicht länger als 1 Jahr zurückliegen dürfe, sei der Kläger mittelbar diskriminiert worden.
Der Kläger behauptet, er sei auch objektiv für die Stellenbesetzung geeignet gewesen. Die eingestellten Mitbewerberinnen hätten keine besseren Examensnoten gehabt. Der Kläger sei auch ein subjektiv ernsthafter Bewerber gewesen.
Der Kläger vertritt die Auffassung, dass die mittelbare Diskriminierung bei seiner nicht Berücksichtigung auch nicht gerechtfertigt sei. Es gäbe kein legitimes Ziel, Arbeitnehmer zu suchen, die lernfähiger oder im Sinne des Unternehmens formbarer seien. Wegen der weiteren Einzelheiten des tatsächlichen Vorbringens des Klägers hierzu wird auf Blatt 2 ff seines Schriftsatzes vom 29.12.2011 (Bl. 454 ff) verwiesen.
Der Kläger behauptet, dass alle vier berücksichtigten Bewerberinnen weder über arbeitsrechtliche Kenntnisse noch über medizinische Kenntnisse verfügt hätten. Die letztlich eingestellte Bewerberin Frau F habe ebenso wie der Kläger ein befriedigendes erstes Staatsexamen und ein ausreichendes zweites Staatsexamen erzielt. Die Bewerberin Frau F verfüge über keine arbeitsrechtlichen Kenntnisse und keine medizinischen Kenntnisse. Sie sei daher weniger qualifiziert als der Kläger. Auch die Bewerberin G verfüge über ein erstes Examen mit der Note ausreichend sowie über ein zweites Examen mit der Note ausreichend. Die Bewerberin G verfüge über keine arbeitsrechtlichen und medizinischen Kenntnisse. Auch sie dürfte weniger qualifiziert sein als der Kläger.
Mit Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 16.01.2012 wurde die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden zurückgewiesen. Nach entsprechender Nichtzulassungsbeschwerde und der Zurückverweisung durch das Bundesarbeitsgericht wurde durch das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 18.03.2013 die Berufung des Klägers abermals zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten dieses Urteils wird auf Blatt 559 ff d.A. verwiesen.
Nachdem das Bundesarbeitsgericht den Rechtsstreit wegen der Auslegung der Diskriminierungsrichtlinien dem EuGH den Rechtsstreit vorgelegt hat, dieser die Vorlagefragen beantwortet hat, hat das Bundesarbeitsgericht auf der Grundlage seines Urteils vom 26.01.2017 -8 AZR 848/13- den Rechtsstreit an das erkennende Gericht zurückverwiesen. Wegen der Einzelheiten und des Inhalts dieses Urteils des Bundesarbeitsgerichts wird auf Blatt 590 ff d.A. Bezug genommen.
Hinsichtlich des zu prüfenden Einwands des Rechtsmissbrauchs der Bewerbung des Klägers verweist der Kläger auf folgende Umstände: Es gäbe kein objektives Moment des Rechtsmissbrauchs. Er habe nämlich zahlreiche andere Gründe gehabt, um sich auf diese Stelle zu bewerben. Es gehe ihm auch um die Fortentwicklung des Antidiskriminierungsrechts. Außerdem habe das Arbeitsamt Bewerbungen von ihm gefordert. Es habe nämlich im Jahr 2009 bei ihm eine Arbeitslosigkeit vorgelegen.
Des Weiteren legt der Kläger dar, dass das vorliegende arbeitsgerichtliche Berufungsverfahren nicht Gegenstand des Strafverfahrens in München sei. Es sei mittlerweile förmlich eingestellt worden.
Nachdem Auflagenbeschluss des erkennenden Gerichts in der Berufungsverhandlung vom 12.02.2018 ergänzt der Kläger sein Vorbringen wie folgt:
Es gäbe keinen Bezug zur Anklage oder zum Strafverfahren in München bei der hier streitigen Bewerbung. Der Kläger behauptet nämlich, er habe sich im Jahr 2009 über siebzigmal beworben, um seine Arbeitslosigkeit zu überwinden. Des Weiteren habe sich der Kläger im Jahr 2009 auch auf nicht diskriminierende Stellenausschreibung beworben. Wegen der Einzelheiten des tatsächlichen Vorbringens des Klägers hierzu wird auf seine Ausführungen auf Blatt 4 ff in seinem Schriftsatz vom 18.05.2018 (Bl. 981 ff d.A.) Bezug genommen.
Der Kläger legt des Weiteren dar, dass er zum Zeitpunkt der Bewerbung bei der Beklagten arbeitslos gewesen sei. Er habe deshalb den Nachweis von Bewerbungsbemühungen gegenüber der Agentur für Arbeit zu erbringen gehabt.
Soweit die Beklagte zur Darlegung des Rechtsmissbrauchs auf die Strafakte in dem Strafverfahren vor dem Landgericht München Bezug nehme, so ist der Kläger der Auffassung, dass die Strafakte im arbeitsgerichtlichen Verfahren einem Beweisverwertungsverbot unterliege. Außerdem, so behauptet der Kläger, würden die in der Strafakte behandelten Vorgänge ausschließlich aus den Jahren 2011 und 2012 stammen.
Im Hinblick auf die Höhe der geltend gemachten Entschädigung stellt der Kläger auf folgende Umstände ab:
Es geht ihm um die Abschreckung der Beklagten, es habe nämlich eine unberechtigte Medienkampagne gegen ihn, durch die Beklagte veranlasst, stattgefunden. Außerdem komme es immer noch zu Diskriminierungen durch die Personalabteilungen und schließlich sei mit seiner Entschädigungsforderung auch eine generalpräventive Funktion verbunden.
Daraus folgert der Kläger, dass bei der Höhe der Entschädigung der Entschädigungsrahmen oberhalb von 3 Gehältern zu bestimmen sei, da die Beklagte nicht habe nachweisen könne, dass der Kläger eine der 4 Stellen auch bei diskriminierungsfreier Auswahl nicht erhalten hätte. Die Beklagte habe nämlich durch ihren eigenen Sachvortrag dargelegt, dass der Kläger eine der 4 Stellen erhalten hätte. Der Kläger habe eine der 4 Stellen auch erhalten müssen, denn jedenfalls die Bewerberin G habe schlechtere Examensergebnisse als der Kläger aufzuweisen.
Im Hinblick auf den geltend gemachten Schadensersatzanspruch macht der Kläger geltend, dass ein bezifferbarer materieller Schaden möglicherweise in der Zukunft entstehe. Hätte nämlich der Kläger eine der Stellen bekommen, so hätte es dieses Verfahren und diesen Rechtsstreit niemals gegeben. Die Beklagte habe durch ihre PR-Maßnahme die berufliche Zukunft des Klägers zerstört. Der Kläger hätte auch heute noch ein Einkommen bei der Beklagten als Arbeitnehmer. Selbst wenn das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich beendet worden wäre, es hätte die aus Sicht des Klägers existenzvernichtende "Litigation-PR-Maßnahme" seitens der Beklagten nie gegeben, und der Kläger hätte auch künftig ein Einkommen, sei es als Arbeitnehmer oder als selbständiger Rechtsanwalt. Es sei auch noch nicht absehbar wie hoch der tatsächliche materielle Schaden des Klägers sein werde, da das wirtschaftliche Ausmaß der "Litigation-PR-Maßnahme" der Beklagten als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung derzeit noch nicht absehbar sei.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte wird abändernd verurteilt, an den Kläger eine angemessene Entschädigung, deren Höhe des Ermessens des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch Euro 14.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz hieraus seit dem 27. Juni 2009 zu zahlen.
abändernd festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, sämtliche künftige materielle Schäden, die ihm aufgrund der unterlassenen Einstellung bei der Beklagten vom 19. April 2009 entstanden sind, zu ersetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte behauptet, der Kläger habe gemeinsam mit seinem Bruder Scheinbewerbungen zur Einkommenssteigerung betrügerisch durchgeführt. Daraus folgert die Beklagte, dass der Rechtsstreit bis zum Abschluss des Strafverfahrens auszusetzen sei. Es gehe um die Einheit der Rechtsordnung.
Die Beklagte behauptet, der Kläger handele systematisch und zielgerichtet in der Vorstellung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise werde letztlich ein auskömmlicher Gewinn verbleiben. Er habe zum Beispiel mehrere Rechtsschutzversicherungen parallel unterhalten. Die Bewerbung bei der Beklagten sei Bestandteil eines größer angelegten Geschäftsmodells gewesen.
Zur Höhe der Entschädigung legt die Beklagte dar, sie hätte schuldlos gehandelt. Der Kläger wäre auch bei einer benachteiligungsfreien Auswahl nicht eingestellt worden. Die Beklagte habe nämlich mehrfach ausgeführt, dass der Kläger in der Gesamtschau schlechter für die ausgeschriebene Stelle qualifiziert gewesen sei als die letztlich eingestellten Bewerberinnen. Sie habe nämlich in der Stellenausschreibung "sehr guten Studienabschluss" der Rechtswissenschaften verlangt. Zwar sei die Mitbewerberin G nach den Examensnoten mit dem Kläger vergleichbar. Anders als der Kläger verfüge aber die Bewerberin G jedoch sowohl über den französischen Abschluss einer maitrise en droit als auch über einen Abschluss Magister juris mit einer Abschlussnote von 9,27 Punkten. In der Gesamtschau weise deswegen auch die Bewerberin G eine höhere juristische Qualifikation als auch der Kläger auf und wäre deswegen dem Kläger vorgezogen worden.
Zum Rechtsmissbrauch der Bewerbung legt die Beklagte folgendes dar:Der Kläger und sein Bruder hätten sich um den Jahreswechsel 2009 um vermeintlich diskriminierend ausgeschriebene Stellen beworben. Sie hätten mehrere Rechtsschutzversicherungen unterhalten, es liege ein Gesamtzusammenhang und ein Geschäftsmodell vor, der Kläger würde auch Mandanten vertreten in Entschädigungsprozessen und es sei zu einer Übernahme dieses Bewerbungssystems von seinem Bruder durch den Kläger gekommen. Die Rechtsschutzversicherungen hätten auch des Öfteren die Deckung für den Rechtsstreit abgelehnt. Es sei im Jahr 2009 zu 55 Bewerbungen bei verschiedenen Arbeitgebern gekommen. Dabei habe der Kläger nicht vorgehabt, die Stellen zu besetzen. Daraus könne nur gefolgert werden, dass die Bewerbung des Klägers Teil eines umfassenden Planes gewesen sei. Hieraus ergäbe sich der objektive Rechtsmissbrauch bei der Beklagten.
Die Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass sich der Kläger im ersten Halbjahr 2009 auf Stellen bei folgenden Unternehmen und Institutionen beworben habe: H, I, J, Menschenrechtsbüro der K, L, M., N, O, P, Q, R, S, T, U, V, W, X. und Y. Es entziehe sich der Kenntnis der Beklagten, ob der Kläger sich bei diesen Unternehmen tatsächlich beworben habe und falls ja, ob er sich ernstlich um den Erhalt einer Stelle bemüht habe. Weiterhin bestreitet die Beklagte, dass der Kläger im ersten Halbjahr 2009 Vorstellungsgespräche bei folgenden Unternehmen Geführt habe: Z, AA, BB und CC.
Dem Kläger sei es allein darauf angekommen, sich durch rechtsmissbräuchliche Bewerbungen eine Einnahmequelle von einiger Bedeutung zu schaffen.
Außerdem habe der Kläger immer dann wenn seine Kanzlei nicht gelaufen sei, seine Aktivitäten bei der Bewerbung gesteigert. Es sei auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf die Gesamtumstände und das Gesamtvorgehen des Klägers zu achten. Das Bundesarbeitsgericht lasse eine Regel-Ausnahme-Betrachtung durchaus zu. Dann müssten aber für die Jahre 2011 bis 2013 über 500 rechtsmissbräuchliche Bewerbungen berücksichtigt werden. Der Kläger habe dabei eine Entschädigungssumme in Höhe von 88.250,00 Euro erzielt.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass die Erkenntnisse aus den Strafakten des LG München I im vorliegenden arbeitsrechtlichen Verfahren ohne weiteres verwertbar seien. Auch die Strafakte belege, wie die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 18.4. 2018 dargelegt habe, dass rechtsmissbräuchliche Verhalten des Klägers. Die Strafakten seien zu Entscheidungsfindung beizuziehen.Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden - 5 Ca 2491/09 - vom 20.01.2011 ist statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 b ArbGG). Die Berufung ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig.
In der Sache ist die Berufung des Klägers begründet. Das Arbeitsgericht hat, soweit es die Klage abgewiesen hat, dies zu Unrecht getan. Die vom Kläger in der Berufungsinstanz geltend gemachten Ansprüche erweisen sich in der Sache als begründet.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Entschädigungsanspruch zu. Dies ergibt sich sowohl dem Grunde nach als auch in der geltend gemachten Höhe.
Dem Kläger steht an sich ein Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG zu.
Die Klage ist begründet, soweit der Kläger mit seinem Klageantrag zu 1 von der Beklagten eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen einer Benachteiligung wegen seines Alters verlangt.
Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus, wonach sowohl eine unmittelbare als auch eine mittelbare Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes verboten sind. Dabei muss zwischen der benachteiligenden Behandlung und dem in § 1 AGG genannten Grund ein Kausalzusammenhang bestehen. Die Darlegungs- und Beweislast sowie das Beweismaß im Hinblick auf den haftungsbegründenden Kausalzusammenhang richten sich nach § 22 AGG.
Schreibt der Arbeitgeber eine Stelle entgegen § 11 AGG unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG aus, kann dies die Vermutung im Sinne des § 22 AGG begründen, dass der erfolglose Bewerber im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren wegen eines Grundes im Sinne von § 1 AGG benachteiligt wurde.
Die in der Stellenausschreibung aufgestellte Anforderung, Bewerber/-innen "ohne nennenswerte Berufserfahrung" zu suchen, ist mittelbar im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG mit dem in § 1 AGG genannten Grund "Alter" verknüpft. Denn bei der Berufserfahrung handelt es sich um ein Kriterium, dass dem Anschein nach neutral ist im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG. Unmittelbar wird damit nicht auf ein bestimmtes Alter Bezug genommen. Jedoch ist das Kriterium der Berufserfahrung mittelbar mit dem in § 1 AGG genannten Grund "Alter" verbunden. Bewerber/-innen mit einer längeren Berufserfahrung weisen gegenüber Berufsanfänger/-innen und gegenüber Bewerber/-innen mit erster oder kurzer Berufserfahrung typischer Weise ein höheres Lebensalter auf (BAG v. 11.08.2016 - 8 AZR 4/15 -; BAG v. 19.05.2016 - 8 AZR 470/14 -; BAG v. 26.01.2017 - 8AZR 848/13 -).
Durch das von der Beklagten in der Stellenausschreibung in Bezug genommene Anforderungskriterium eines Hochschulabschlusses, der nicht länger als 1 Jahr zurückliegt oder innerhalb der nächsten Monate erfolgt", hat die Beklagte klar gemacht, lediglich Interesse an der Gewinnung jüngerer Mitarbeiter/-innen zu haben. Diese Anforderung ist aber geeignet, ältere gegenüber jüngeren Personen wegen des Alters in besonderer Weise zu benachteiligen. Typischerweise werden ältere Personen allein wegen dieser Anforderung häufig von vornherein von einer Bewerbung absehen.
Diese mittelbare Diskriminierung ist auch nicht gemäß § 3 Abs. 2 AGG gerechtfertigt. Das von der Beklagten mit der Stellenausschreibung und der nachfolgenden Besetzung verfolgte Ziel war nicht rechtmäßig im Sinne des § 3 Abs. 2 AGG. Rechtmäßige Ziele in diesem Sinne können nur solche sein, die nicht ihrerseits diskriminierend sind und die auch ansonsten legal sind (BAG v. 12.11.2013 - 9 AZR 484/12 -; BAG v. 20.06.2013 - 6 AZR 907/12 -; BAG v. 26.01.2017 - 8 AZR 848/13 -). Die von der Beklagten genannten Ziele bei der Bereitstellung und der Einstellung zum Traineeprogramm betreffen typischerweise jüngere Personen, dies ist allerdings nicht frei von einer Diskriminierung wegen des Alters und kann deshalb grundsätzlich kein rechtmäßiges Ziel im Sinne von § 3 Abs. 2 Halbsatz 2 AGG sein (BAG v. 26.01.2017 - vorzitiert -).
Bei der Bemessung der Höhe der Entschädigungsleistung ist die Kammer nach folgenden Kriterien vorgegangen: Auch bei der Beurteilung der angemessenen Höhe der festzusetzenden Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG sind alle Umstände des Einzelfalles, wie etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handels und der Sanktionszweck der Entschädigungsnorm zu berücksichtigen (BAG vom 26.01.2017 - 8 AZR 848/13-). Danach muss die Entschädigung einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz gewährleisten. Die Härte der Sanktionen muss der Schwere des Verstoßes entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt (EuGH vom 25.04.2013 - C-81/12-; BAG vom 22.05.2014 - 8 AZR 662/13 -; BAG vom 26.01.2017 - 8 AZR 848/13-).Soweit der Kläger einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG über die in § 15 Abs. 2 S. 2 AGG angegebene Höhe hinaus geltend macht, der Kläger fordert vorliegend eine Entschädigung in Höhe von 4 Bruttomonatsgehältern von jeweils Euro 3.500, obliegt es der Beklagten, sofern sie sich auf die Höchstgrenze berufen möchte, im Einzelnen darzulegen und zu beweisen, dass der wegen eines Grundes nach § 1 AGG benachteiligte Kläger auch bei diskriminierungsfreier Auswahl die ausgeschriebene Stelle nicht erhalten hätte (BAG vom 19.08.2010 - 8 AZR 530/19 -; BAG vom 17.08.2010 - 9 AZR 839/08 -; BAG vom 26.01.2017 - 8 AZR 848/13 - ).Der Kläger hat insofern geltend gemacht, dass er aufgrund seiner bisherigen Berufserfahrung, der bisher von ihm eingenommen Positionen und der arbeitsrechtlichen Kenntnisse, aber auch der medizinrechtlichen Kenntnisse für die Besetzung als Trainee bei der Beklagten geeignet gewesen wäre. Der Kläger hat auch dargelegt, dass er zumindest teilweise, aufgrund der Examensnote gegenüber den anderen Mitbewerberinnen und Bewerber zur Besetzung bei der Beklagten angestanden hätte, wenn nicht die Diskriminierung stattgefunden hätte. Deswegen kommt es, da die ausgeschriebenen Stellen mit 4 Mitbewerberinnen besetzt worden sind, im Hinblick auf die Frage der Besteignung nicht allein auf eine Vergleichsbetrachtung mit den Anforderungen der Stellenausschreibung an, sondern insbesondere auf eine Vergleichsbetrachtung mit den tatsächlich eingestellten Bewerberinnen (BAG vom 11.08.2016 - 8AZR 406/14 -; BAG vom 26.01.2017 - 8 AZR 848/13 -).
Den von der vorzitierten Rechtsprechung geforderten Beweis der Nichteinstellung des Klägers bei einer Diskriminierungsfreiheit, hat die Beklagte nicht angetreten. Die Beklagte hat während des gesamten Rechtsstreits darauf abgehoben, dass der Kläger keine so guten Examensnoten gehabt hätte, wie die ausgewählten Mitbewerberinnen, er hätte seine Anwaltszulassung zurückgeben müssen und schließlich das der Kläger überqualifiziert gewesen sei. Auch wenn man zugunsten der Beklagten auf die Maßgeblichkeit der erzielten Examensergebnisse abstellt, so geht hieraus nicht hervor, dass der Kläger die zu besetzende Position auch dann nicht erhalten hätte, wenn keine Diskriminierung stattgefunden hätte. Die Beklagte selbst hat nämlich nicht darauf entscheidend abgestellt, dass die Examensnote das allein ausschlaggebende Kriterium gewesen wäre. Es war vielmehr für die Beklagte so, dass sie den Kläger für überqualifiziert gehalten hatte, andere Qualifikationen der Mitbewerberinnen durchaus berücksichtigt hat und ihr Vorbringen auch nicht auf alle 4 ausgewählten Mitbewerberinnen dann bezogen hat. Damit hat die Beklagte nicht ausreichend dargelegt oder gar bewiesen, dass der wegen eines Grundes nach § 1 AGG benachteiligte Kläger auch bei diskriminierungsfreier Auswahl die ausgeschriebene Stelle als Trainee nicht erhalten hätte.
Damit hat die Beklagte die von § 15 Abs. 2 S.2 vorgesehen Begrenzung nicht im Einzelnen dargelegt, sodass über einen höheren Entschädigungsbetrag zu entscheiden war. Vorliegend hat die Kammer dabei berücksichtigt, dass der Kläger sich im Jahre 2009 nach seiner Rückkehr nach Deutschland in einer Orientierungsphase befunden hat, die Beklagte ihn für überqualifiziert gehalten hat und aufgrund des weiteren Vorgehens nicht nur bloß die Stellenbesetzung mit dem Kläger abgesagt hat, sondern ihn sogar zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat.
Darüber hinaus hat dieses Gerichtsverfahren seit dem Bewerbungsvorgang 9 Jahre angedauert. Der Schutzzweck der Antidiskriminierungsrichtlinie und vor allem eine abschreckende Wirkung kann nur dann gewährleistet werden, wenn in einer solchen Situation die Höhe der Entschädigung mit 4 Bruttomonatsgehältern angesetzt wird. Sonstige Gesichtspunkte im Hinblick auf die präventive Wirkung, auf die Nachhaltigkeit der Sanktion, die eine Unterschreitung des vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruches veranlassen müssten, sind aus dem tatsächlichen Vorbringen der Beklagten nicht zu entnehmen. Die Beklagte hat sich im Hinblick auf die Vorgehensweise des Klägers auf ein abgestimmtes und systematisches Verhalten berufen.
Die Klage erweist sich auch im Hinblick auf den Antrag zu 2, soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, allen materiellen zukünftigen Schaden zu setzen, zulässig und begründet.
Die Klage gerichtet auf die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung der Beklagten ist nach § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 256 Abs. 1 ZPO zulässig.
Die Klage ist gerichtet auf die Feststellung eines Rechtsverhältnisses, es liegt auch das erforderliche Feststellungsinteresse vor, wenn nämlich der Schadenseintritt möglich ist, auch wenn Art und Umfang sowie Zeitpunkt des Eintritts noch ungewiss sind. Es muss lediglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bestehen (BAG v. 17.03.2016 - 8 AZR 677/14 -; BAG v. 12.04.2011 - 9 AZR 229/10 -; BAG v. 19.08.2010 - 8 AZR 315/09 -; BAG v. 26.01.2017 - vorzitiert -).
Soweit der Kläger die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz bereits entstandener Schäden begehrt, steht der grundsätzliche Vorrang der Leistungsklage der Zulässigkeit des Feststellungsantrags auch dann nicht entgegen, wenn der Kläger die Klage wegen eines Teils des sich entwickelnden Schadens schon bei der Klageerhebung hätte beziffern können. Eine Partei ist nicht gehalten, ihre Klage in einer Leistungs- und einer Feststellungsklage aufzuspalten, wenn ein Teil des Schadens schon entstanden ist und wenn hier mit der Entstehung eines weiteren Schadens nach ihrem Vortrag noch zu rechnen ist (BAG v. 17.03.2016 - 8 AZR 677/14 -; BAG v. 26.01.2017 - vorztiert -).
Der Anspruch des Klägers ist auch nicht im Hinblick auf das festzustellende Rechtsverhältnis begrenzt. Es geht den Parteien nicht ausschließlich darum, ob der Arbeitgeber nach § 15 Abs. 1 AGG zum Ersatz eines Vermögensschadens in Form entgangenen Gewinns, hier das Arbeitsentgelts verpflichtet ist. Der Kläger hat nämlich in seinem Vorbringen in der Berufungsinstanz deutlich gemacht, dass es möglicherweise auch Ansprüche im Zusammenhang mit einer sogenannten "Litigation-PR-Kampagne", die von der Beklagten veranlasst worden sein könnte, geben kann.
Soweit das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 26.01.2017 -vorzitiert- darauf abstellt, dass im Hinblick auf die Geltendmachung eines Vermögensschadens bezogen auf das Arbeitsentgelt es zu einer Darlegung der haftungsausfüllenden Kausalität kommen müsste, so hat der Kläger Bezug genommen, auf mögliche weitere Schäden im Zusammenhang mit seinem Berufsleben. Es geht dem Kläger anscheinend nach seiner Berufungsbegründung nicht ausschließlich um den entgangenen Gewinn im Zusammenhang mit der Durchführung des Traineeprogramms. Der Kläger hat nämlich die Kausalität bezogen auf seine berufliche Entwicklung und das "Litigation-PR-Programm" der Beklagten bezogen. Deswegen ist es im Hinblick auf die Darlegung des Klägers bezogen auf den haftungsausfüllenden Zusammenhang für die Situation einer sogenannten abstrakten Feststellungsklage ausreichend die Möglichkeit eines weiteren Schadenseintritts durch den Kläger dargetan. Die Beklagte hat diese Zusammenhänge und die möglicherweise mit ihrem Verhalten im Zusammenhang des Einstellungsvorgangs im Hinblick darauf begrenzen wollen, dass sie nicht schuldhaft gehandelt habe. Damit ist aber die grundsätzliche Möglichkeit eines Schadensersatzanspruchs für den Kläger nicht ausreichend in Zweifel gezogen, zumal nach § 280 Abs. 1, S. 2 BGB ein Verschulden des Schuldners eines Schadensersatzanspruchs vermutet wird. Eine gleiche Vermutungsregelung stellt § 15 Abs. 1 S. 2 AGG oder § 311 Abs. 2 BGB auf. Auch wenn etwaige deliktische Ansprüche des Klägers von einer anderen Verschuldenszuordnung ausgehen könnten, der Kläger hat damit seiner Darlegungslast im Hinblick auf die haftungsausfüllende Kausalität im Rahmen des von ihm in seiner Ausformung vorgenommenen Feststellungsantrags genügt.
Das Entschädigungs- und Schadensersatzverlangen des Klägers ist auch nicht dem Einwand des Rechtsmissbrauchs im Sinne des § 242 BGB ausgesetzt, mit der Folge dass diese geltend gemachten Ansprüche nicht bestehen würden.
Rechtsmissbrauch im vorliegenden Zusammenhang durch den Kläger wäre dann anzunehmen, sofern er sich nicht beworben haben sollte um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihm darum gegangen sein sollte, nur den formalen Status als Bewerber im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung/- oder Schadensersatz geltend zu machen (BAG v. 11.08.2016 - 8 AZR 406/16 -; BAG v. 19.05.2016 - 8 AZR 470/14 -; BAG v. 26.01.2017 - vorzitiert -). Dabei führt nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten stets oder auch nur regelmäßig zur Unzulässigkeit zur Ausübung der hierdurch erlangten Rechtstellung. Hat der Anspruchsteller sich die günstige Rechtposition aber gerade durch ein treuwidriges Verhalten verschafft, liegt eine unzulässige Rechtsausübung im Sinne von § 242 BGG vor.
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen, die den rechtshindernden Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen, trägt nach den allgemeinen Regeln der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast derjenige, der diesen Einwand geltend macht (BAG v. 18.06.2015 - 8 AZR 848/13 -; BAG 23.08.2012 - 8 AZR 285/11 -; BAG v. 13.10.2011 - 8 AZR 608/10 -; BAG v. 26.01.2017 - vorzitiert -).
Unter diesen Voraussetzungen begegnet der Rechtsmissbrauchseinwand nach § 242 BGB auch keinen unionsrechtlichen Bedenken (EUGH v. 28.07.2016 - C 423/15 -).
Dem Bewerbungsschreiben des Klägers allein lassen sich keine hinreichenden objektiven Umstände entnehmen, die den Schluss auf ein rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Klägers erlauben würden (BAG v. 26.01.2017 - vorzitiert -). Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung, ob jemand sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern ob es ihm vielmehr darum gegangen ist, nur den formalen Status als Bewerber im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, eine Entschädigung oder Schadensersatz geltend zu machen, ist in der Regel der Zeitpunkt der Bewerbung. Damit können im Rahmen der Prüfung, ob ein Entschädigungs- und Schadensersatzverlangen dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwandes ausgesetzt sind, in der Regel nur Umstände aus der Zeit bis zur Absage berücksichtigt werden und deshalb regelmäßig nicht solche die zeitlich danach liegen. Vorliegend datiert die Absage der Beklagten vom 19. April 2009. Das Schreiben des Klägers, mit dem dieser die Einladung der Beklagten zu einem Gespräch abgelehnt hatte, trägt das Datum des 30. Juni 2009. Die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat nicht dargetan, weshalb ausnahmsweise gleichwohl aus der unter dem 30. Juni 2009 erteilten Absage des Klägers zum Bewerbungsgespräch auf die Motivation zu schließen sein soll, mit der dieser sich beworben hat. Das Schreiben mit dem der Kläger das Gesprächsangebot der Beklagten abgelehnt hatte, enthält insoweit auch keine Anhaltspunkte (BAG v. 26.01.2017 - vorzitiert -).
Soweit die Beklagte in der Berufungsverhandlung nunmehr darauf abhebt, dass die vorzitierte Aussage ein Regel -Ausnahmeverhältnis aufstellen würde, so hat sich nach dem Auflagenbeschluss des Gerichts und dem tatsächlichen Vorbringen der Parteien auch insoweit nichts anderes ergeben, dass dieses Regelverhältnis ausnahmsweise durchbrochen sein könnte.
Soweit die Beklagte nämlich geltend gemacht hat, der Kläger habe zahlreiche Bewerbungen versandt, mit denen er sich auf Stellen mit unterschiedlichen Schwerpunkten bei verschiedenen Arbeitgeber im Bundesgebiet beworben habe, kann die Beklagte alleine daraus nichts herleiten. Ein solcher Umstand erlaubt nicht den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers. Ein solches Vorgehen kann nämlich dafür sprechen, dass der Kläger, zumal er zum Zeitpunkt seiner Bewerbung arbeitslos war und sich beruflich orientierte, eine neue berufliche Herausforderung suchte (BAG v. 26.01.2017 - vorzitiert -). Des Weiteren kann der Rechtsmissbrauch auch nicht daraus entnommen werden, dass eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbung versandt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt hat (BAG v. 26.01.2017 - vorzitiert -).
Soweit das Bundesarbeitsgericht (BAG v. 26.01.2017 - 8 AZR 848/13 - im Zusammenhang mit der Aufhebung der Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgericht dem Gericht aufgegeben hat, den Parteien im Hinblick auf die Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben für die Annahme des Rechtsmissbrauchs Gelegenheit zur weiteren Vorbringen zu geben, so ist dies durch den Auflagenbeschluss und der nachfolgenden Berufungsverhandlung geschehen.
Das tatsächliche Vorbringen der Beklagten rechtfertigt aber in diesem Fall unter Beachtung der Vorgaben durch den Europäischen Gerichtshof und der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts kein andere Ergebnis, insbesondere kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs nicht angenommen werden. Auch war die Strafakte des LG München I nicht beizuziehen.
Der Einwand des Rechtsmissbrauchs ist ein unionsrechtlicher geprägter und anerkannter Grundsatz in der Rechtsprechung des EuGH. Nach der Durchführung des Vorabentscheidungsverfahren hat das BAG diesen Grundsatz für den vorliegenden Fall übernommen. Er bleibt unter Beachtung der unionrechtsrechtlichen Ausprägungen eben ein verbindlicher Grundsatz. Des Weiteren kommt den entscheidungsbefugten Gerichten die Aufgabe zu, diesen Grundsatz fallbezogen zu konkretisieren. Dies ist vorliegend vom BAG in mehreren Entscheidungsfällen geschehen. Das erkennende Gericht hat dies seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Wer sich dagegen auf eine Ausnahmesituation beruft, die es erforderlich machen würde, von diesem regelhaft ausgeformten Grundprinzip abzuweichen, hat die Aufgabe konkret zu benennen, welche Regel im Zusammenhang der Rechtsprechung des EuGH oder des BAG durchbrochen sein soll. Erst wenn die konkretisierten Regeln als zu durchbrechen gekennzeichnet sind, können die besonderen Fallkonstellationen bewertet werden.
Hinzu kommt ein weiteres: Die Beklagte beruft sich vorliegend auf das systematische Vorgehen des Klägers, wie es sich insbesondere aus der Strafakte ergeben soll. Im Ausgangspunkt ist schon festzuhalten, dass sich aus diesem tatsächlichen Vorbringen keine festen zeitlichen Konturen oder Bezüge auf die hier zu beurteilende Bewerbung aus dem Jahr 2009 ergeben. Darüber hinaus geht es vorliegend um die Übernahme und Konkretisierung eines unionsrechtlichen Grundsatzes. Die hierzu entscheidende Frage, ob nämlich bundesrepublikanisches Strafrecht und seine etwaigen Ergebnisse es erforderlich machen, einen unionsrechtlichen Grundsatz oder seine Übernahme und seine Konkretisierungen im Regel-Ausnahmeverhältnis zu durchbrechen, hat die Beklagte nicht klar beantwortet. Kurzum: Die Beklagte hat nichts eigens begründet, warum ein unionsrechtlicher Grundsatz im Zivilrecht und Antidiskriminierungsrecht, aufgrund welcher Bewertungen durch nationalstaatliches Strafrecht, wie es sich aus einer Strafakte ergeben soll, durchbrochen werden muss. Dies gilt umso mehr als die Parteien im vorliegenden Rechtsstreit dem erkennenden Gericht keine strafgerichtliche Verurteilung des Klägers mitgeteilt haben. Systematische Kategorisierungen und normhierarchische Überlegungen zur Auslegung eines auf europäischen Richtlinien beruhenden Gesetzes wie das AGG im Verhältnis der Rechtsprechung des EuGH, des BAG und eines Strafgerichts sprechen auf der Grundlage der dem Gericht mitgeteilten Umstände nicht dafür, das Regel-Ausnahmeverhältnis im konkreten Fall zu durchbrechen. Die Strafakte war deshalb auch nicht beizuziehen.
Dieses prozessuale Vorgehen verletzt auch den von der Beklagten in Bezug genommen Grundsatz der "Einheit der Rechtsordnung" nicht. Hier geht es nämlich um konkrete rechtsystematische und normhierarchische Zusammenhänge zwischen einem unionsrechtlichen Grundsatz, arbeitsgerichtlichen Konkretisierungen hierzu und ein etwaiges Ergebnis einer strafgerichtlichen Entscheidung. Von einer Einheit oder einer herzustellenden Einheit der unterschiedlichen Rechtskreise und Normhierarchien kann aber auf der Grundlage der Argumentation der Beklagten nicht ausgegangen werden.
Auch wenn die Beklagte mit diesem Argument die europarechtskonforme Auslegung des AGG gemeint haben sollte, so gilt folgendes:
Die Beklagte hat in ihren Ausführungen in dem Schriftsatz vom 18.04.2018 darauf abgestellt, dass der Kläger und sein Bruder mehrere Rechtsschutzversicherungen vorgehalten hätten, um die Kosten der Rechtsstreitigkeiten unauffällig auf mehrere Versicherungen aufteilen zu können. Die vom Kläger bei der Beklagten eingereichte Bewerbung sei vor diesem Hintergrund im Gesamtzusammenhang mit dem vom Kläger und seinem Bruder entwickelten Geschäftsmodell zu sehen, sich mittels nicht ernstlicher Bewerbungen auf vermeintlich diskriminierende Stellenausschreibungen und der anschließenden Geltendmachung einer Entschädigung nach dem AGG einer Einnahmequelle von nicht unerheblicher Bedeutung zu verschaffen. Dies werde deutlich, dass der Kläger im Jahr 2004 als Prozessbevollmächtigter eines Mandanten der mehr als 15-mal nach erfolglosen Bewerbungen Entschädigungsansprüche gegen das ausschreibende Unternehmen wegen einer vermeintlichen Diskriminierung geltend gemacht hatte, sich diese Vorgehensweise im Wege einer systematischen Vorgehensweise zu eigen gemacht habe. Dies ergäbe sich auch aus Bemerkungen und Notizen des Bruders des Klägers aus dem Jahr 2008. Hieraus habe sich ein regelrechtes Geschäftsmodell des Klägers und seines Bruders ergeben. Auch das OLG München habe das Verhalten des Klägers als strafbar eingeschätzt. Es ergäbe sich daraus aus objektiven Gesichtspunkten und aus subjektiven Gesichtspunkten die Voraussetzungen eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Klägers.
Es ist zwischen den Parteien mittlerweile unstreitig, dass die konkrete Bewerbung des Klägers bei der Beklagten nicht Gegenstand eines Strafverfahrens vor dem Landgericht München oder aber einem anderen Strafgericht ist. Auch wenn die Gründe für die weitere Strafverfolgung insoweit zwischen den Parteien nicht klar heraus gearbeitet wurden, zumindest so gesehen, ist dieser Bewerbungsvorgang einer weiteren, strafrechtlichen Beurteilung nicht zugänglich gemacht worden. Daraus kann die erkennende Berufungskammer keine bewertenden Erkenntnisse im Hinblick auf die objektiven Anhaltspunkte oder die subjektiven Annahmen des Klägers gewinnen.
Aber auch soweit die Beklagte von einem "System" des Klägers in der Zusammenarbeit mit seinem Bruder spricht, so lassen sich die vorstehend zitierten Anforderungen durch die höchstrichterliche Rechtsprechungen nicht verifizieren. Maßgeblich sind nämlich das konkrete Bewerbungsverfahren und der Zeitpunkt bis zur Absage durch die Beklagten. Nach den bisherigen Feststellungen ist das Absageschreiben der Beklagten unter dem 19. April 2009 verfasst worden. Es müsste dann also so gewesen sein, dass der Kläger in den Vorjahren vor 2009 bereits ein System entwickelt haben müsste. Welche Bewerbungen zusammen mit seinem Bruder zu welchem Zeitpunkt in welcher Rolle und in welcher Funktion der Kläger abgegeben oder gestaltet haben könnte, geht allerdings aus dem tatsächlichen Vorbringen der Beklagten nicht konkret hervor. Die Beklagte bezieht sich insoweit auf die Beiziehung der Strafakten.
Entscheidungen im Strafverfahren oder Ermittlungen binden die Arbeitsgerichte bei der Beurteilung eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens jedoch nicht. Die Arbeitsgerichte, noch dazu in dem konkreten Verfahrenszug, die Berufungskammer, haben vielmehr alle relevanten Umstände selbst zu würdigen (BAG v. 22.01.1998 - 2 AZR 455/97 -; BAG v. 02.03.2017 - 2 AZR 698/15 -). Auch wenn es so gewesen sein sollte, dass die Strafakte nähere Informationen über ein gemeinsames Zusammenwirken des Klägers mit seinem Bruder enthalten würde, so existiert deswegen keine Entlastung der tatsächlichen Angaben durch die Beklagte. Dies liegt vor allem daran, dass das Bundesarbeitsgericht und der Europäische Gerichtshof die Voraussetzungen für den Einwand des Rechtsmissbrauchs konkretisiert haben und auch eine konkrete Verfahrenskonstellation angenommen haben, die zu dem Auflagenbeschluss der Berufungskammer geführt hat und die den Parteien es ermöglicht hat, diese Vorgaben zu präzisieren und zu konkretisieren.
Die Beklagte spricht in ihrem tatsächlichen Vorbringen von einem System, benennt aber keine konkreten Bewerbungsabläufe, deren Rechtsmissbräuchlichkeit oder gar deren Strafbarkeit. Des Weiteren bleibt der Beitrag des Klägers hierzu auch unklar.
Des Weiteren lassen sich dem tatsächlichen Vorbringen der Beklagten unter Bezugnahme auf die Beiziehung der Strafakte auch nicht entnehmen, dass etwaige systematische Vorgehen sich bereits vor der Absage der Beklagten in dem hier konkreten Bewerbungsverfahren ergeben würde. Es ist hingegen so, dass die dem Kläger in dem Strafverfahren vorgeworfenen Vorgänge nach 2009 eingetreten sind. Dies würde aber unter Berücksichtigung des maßgebenden Zeitpunkts für die Beurteilung, ob sich jemand rechtsmissbräuchlich beworben hat, nicht ausreichen. Die Beklagte selbst spricht in ihrem tatsächlichen Vorbringen auch davon, dass schon aufgrund der immensen Vielzahl, der ab 2011 begangenen Taten die Staatsanwaltschaft München I aus prozessökonomischen Gründen von einer Verfolgung abgesehen habe. Daraus wird deutlich, dass eine Systematik, ein abgestimmtes Verhalten des Klägers vor dem hier zu beurteilenden Bewerbungsvorgang sich mit der notwendigen Konkretion sich aus den Strafakten nicht ergeben würde. Auch wenn die Beklagte in ihrem tatsächlichen Vorbingen deutlich macht, dass bei der Bewerbung des Klägers bei der Beklagten eine Gesamtbetrachtung geboten ist, so entspricht dies nicht den klaren Vorgaben der vorzitierten Rechtsprechung des EuGH und des BAG. Es geht nämlich darum, ob es tatsächliche Umstände gibt, aus denen sicher angenommen werden kann, dass nur der formale Status als Bewerber vom Kläger angestrebt worden ist.
Folgende Gesichtspunkte lassen doch erhebliche Zweifel an dieser Annahme aufkommen: Der Kläger kehrte von einem längeren Auslandsaufenthalt im Jahr 2009 in die Bundesrepublik zurück. Der Kläger war zum damaligen Zeitpunkt arbeitslos. Er hatte sich nach den einschlägigen Regeln dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen und hatte seine Bewerbungsbemühungen nachzuweisen. Nach den Angaben des Klägers war sein Bruder zum damaligen Zeitpunkt ebenfalls arbeitslos. Des Weiteren gibt der Kläger seit längerer Zeit an, ein verstärktes Interesse an der rechtspolitischen Fortbildung des Antidiskriminierungsrechts zu haben. Er hat dies in mehreren Interviews so angegeben und er hat auch objektive Umstände hierzu geschildert. Das Bundesarbeitsgericht lässt es bei der Beurteilung eines Rechtsmissbrauchs auch zu, dass auch eine andere Möglichkeit gegeben sein kann, die den Rechtsmissbrauch ausschließt. Die Beklagte bestreitet die Bewerbungs- und Einstellungsbemühungen demgemäß auch nur mit Nichtwissen, § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 138 Abs. 4 ZPO.
Die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis verlangt aber das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Elements. Dies hat die erkennende Berufungskammer in dem Auflagenbeschluss vom 12.02.2018 aufgenommen und den Parteien Gelegenheit gegeben, hierzu Stellung zu nehmen. Hinsichtlich des objektiven Elements muss sich aus einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergeben, dass trotz formaler Einhaltung der in der betreffenden Unionsregel vorgesehenen Bedingungen das Ziel dieser Regelung nicht erreicht wurde. In Bezug auf das subjektive Element muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte (EuGH vom 28.07.2016 - C-423/15 -; EuGH vom 17.12.2015 - C-419/14-) die Absicht ersichtlich sein, sich einen ungerechtfertigten Vorteil aus der Unionsregelung dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden (EuGH vom 28.01.2015 - C-417/13-; EuGH vom 13.03.2014 - C-155/13-; EuGH vom 16.10.2012 - C-364/10-; BAG vom 11.08.2016 - 8 AZR 4/15-). Das Missbrauchsverbot ist allerdings nicht relevant, wenn das fragliche Verhalten eine andere Erklärung haben kann als nur die Erlangung eines Vorteils (EuGH vom 28.07.2016 - C-423/15-; BAG vom 11.08.2016 - 8 AZR 4/15-). Die Prüfung, ob die Tatbestandsvoraussetzungen einer missbräuchlichen Praxis erfüllt sind, hat gemäß den Beweisregeln des nationalen Rechts zu erfolgen.
Deswegen hätte die Beklagte die näheren Umstände darzulegen gehabt, warum es auch keine andere Erklärung für das Verhalten des Klägers geben könnte, als das eines rechtspolitischen Interesses oder aber der Vermeidung oder Beendigung seiner Arbeitslosigkeit im Jahr 2009. Die Beklagte hingegen zieht sich auf ein Bestreiten mit Nichtwissen zu diesen Punkten zurück. Auch wenn man nun zugunsten der Beklagten davon ausgehen würde, es würde sich gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 138 Abs. 4 ZPO um ein wirksames, zu gleich qualifiziertes Bestreiten handeln, so würde dies den Beweisregeln des nationales Rechts nicht genügen, denn die Antidiskriminierungsrichtlinien dürfen durch die Darlegungs- und Beweislastverteilung im nationalen Recht nicht eingeschränkt werden. Die Berufungskammer hat damit deutlich gemacht, dass sie die prozessuale Konstellation konkret durch einen Auflagenbeschluss anhand der Vorgaben der Rechtsprechung des EuGH und des BAG konkretisiert hat, die Parteien haben innerhalb der gesetzten Fristen dazu Stellung genommen, der Kläger hat bezogen auf seine Motivation oder aber seine objektive Situation eine mögliche andere Erklärung aufgezeigt, die Beklagte hat dies sowohl unter Einbeziehung des etwaigen Inhalts der Strafakte, als auch unter Berücksichtigung eines Bestreitens mit Nichtwissen im Hinblick auf die Bewerbungsbemühungen des Klägers im ersten Halbjahr 2009 zwar in Abrede gestellt. Dies kann aber nicht zu der Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Klägers führen. Die Bewerbungsbemühungen des Klägers im ersten Halbjahr 2009, seine sonstigen Handlungsweisen und Motivationen sind damit nicht widerlegt und sind nach der vorzitierten Rechtsprechung des BAG auch dazu geeignet, die Annahme eine rechtsmissbräuchlichen Verhaltens zu verhindern.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage im § 91 ZPO, da die Beklagte im Hinblick auf die vorgenommene Antragstellung des Klägers in vollem Umfang unterlegen ist.
Gesetzliche Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht. Die Kammer hat sich bei ihrer Entscheidungsfindung und bei der Gewährung von rechtlichem Gehör an die Ausführungen und Hinweise des BAG in der Entscheidung vom 26.01.2017 (8 AZR 848/13) gehalten.
Landesarbeitsgericht Hessen — Urt. v. 18.06.2018
Az.: 7 Sa 851/17
ECLI: ECLI:DE:LAGHE:2018:0618.7SA851.17.00
Verfahrensgang:
vorgehend:
ArbG Wiesbaden - 20.01.2011 - AZ: 5 Ca 2491/09
LAG Hessen, 18.06.2018 - 7 Sa 851/17
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