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11.09.2018 - von H.S.
Wer zwischen 15 und 24 Jahre alt ist, wird bei Verstößen gegen Hartz IV-Vorschriften stärker sanktioniert, als alle, die älter sind. Eingeführt wurden die altersabhängigen Sonderregeln im Jahr 2007. Beim ersten Verstoß, der über ein Meldeversäumnis hinausgeht, indem etwa die Teilnahme an einer Maßnahme abgelehnt wird, oder zu wenige Bewerbungen geschrieben wurden, bietet das Gesetz die Möglichkeit, den Regelsatz für drei Monate um bis zu hundert Prozent zu streichen und bei einem weiteren Fehlverhalten auch die Mietbeihilfe einzustellen.
Im April diesen Jahres hatte Arbeitsminister Hubertus Heil eine Prüfung dieser Hartz IV-Sanktionen angekündigt und die altersdiskriminierende Regelung erwähnt: Der Wochenzeitung ´Die Zeit` sagte er: "Ich halte es nicht für sinnvoll, dass - wie es derzeit der Fall ist - für Jüngere strengere Regeln gelten als für Ältere." Dazu Andrea Nahles, zur Zeit Parteivorsitzende und SPD-Fraktionschefin: "Verschärfte Sanktionen für junge Menschen sind keinesfalls sinnvoll, aber eine generelle Abschaffung von Sanktionen halte ich für schwierig". Sie sprach aus Erfahrung. Als Arbeitsministerin war sie beim Versuch, die Sanktionen aufzuweichen, am Widerstand von Horst Seehofer und der Bayern-CSU gescheitert.
Im heißen August kommt das Thema vom April nun wieder hoch. Jetzt will Nahles, die den Kindern von Alleinerziehenden mit Hartz IV-Bezug 2016 noch das Sozialgeld für jeden Tag streichen wollte, den die Kinder beim anderen Elternteil verbringen würden, die Sonderbehandlung jüngerer Hartz IV-Empfänger abschaffen. Nun ist aber eine der fünf stellvertretenden Parteivorsitzenden dagegen. Malu Dreyer hält die Idee für „zu kurz gesprungen“. Die Ministerpräsidentin von Rheinland Pfalz, die es ausdrücklich ablehnt, dass jüngere Arbeitslose mit schärferen Sanktionen belegt werden als ältere, weil es gegen des Prinzip der Gleichbehandlung verstößt, schlägt statt Sanktionen vor, „gute und individuelle Maßnahmen anzubieten“, wie es in ihrem Bundesland der Fall sei.
Im September antwortet das SPD-geführte Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf eine entsprechende Frage der Fraktion der Grünen, dass derzeit nichts dergleichen geplant sei. Man schaue sich aber " einzelne Sanktionstatbestände" genauer an.
So weit ist man beim Bundesverfassungsgericht noch nicht. Bereits im Mai 2015 hatte das Sozialgericht Gotha wegen der Sanktionen für Hartz IV-Empfänger mit einem Vorlagebeschluss das Bundesverfassungsgericht angerufen (Sozialgericht hält Kürzung von Hartz IV für verfassungswidrig Link). Das BVG wies die Vorlage im Mai 2016 wegen Formfehlern zurück.
Im August 2016 rief das Gothaer Gericht erneut das Bundesverfassungsgericht an Link . Das nahm die Vorlage an zur Frage, ob die Sanktionsregelungen in § 31a in Verbindung mit §§ 31 und 31b des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Fassung vom 13. Mai 2011 (BGBI I S. 850, 2094), gültig ab 1. April 2011, mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG Sozialstaatlichkeit und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und mit Art. 12 GG vereinbar sind. (1 BvL 7/16).
Nach § 27a BVerfGG vom BVG eingeholte Stellungnahmen als sachkundige Dritte zur Verfassungsbeschwerde sind inzwischen veröffentlicht von:
- Tacheles e.V. Link
- Deutscher Verein Link
- VDK: Link
- Der Paritätische: Link
- SoVD: https://tacheles-sozialhilfe.de/fa/redakteur/Dies_und_das/SoVD_28-04-2017.pdf
- BDA: Link
Weitere Stellungnahmen zum Vorlageverfahren bei Tacheles unter Link
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