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Warum die Angst vor dem Altsein berechtigt ist!!!

Foto: H.S.

07.07.2018 - von Dr. Dirk Mittermeier

Östliche Vorstadt Bremen: In einem Wohnhaus mit vielen älteren Menschen und einem intakten nachbarschaftlichen Miteinander kommt der 90jährige Heinz Z. morgens nicht aus dem Bett. Sein linkes Knie schmerzt sehr und ist stark geschwollen. Er bekommt nachbarschaftliche Hilfe in Form von Frühstück. Das Büro eines privaten Pflegeunternehmens im Erdgeschoss schickt zwei Helfer in die Wohnung. Der Neunzigjährige wird in einen Sessel gesetzt. Der Hausarzt ist urlaubsbedingt nicht verfügbar, die Vertretung will um 14:00 Uhr kommen, erscheint um 15:30 Uhr. Nachbarn versorgen den geistig fitten Senior nun auch mit Mittagessen. Der herbei"geeilte" Arzt weist den Patienten ins Krankenhaus ein. Ein Krankenwagen ist gegen 18:00 Uhr verfügbar und bringt Heinz Z. zum St. Joseph-Stift. Soweit so gut(?).

Im Krankenhaus dann gibt es mit Wartezeiten Untersuchungen: Blutentnahme, Röntgen, EKG. Die ärztliche Diagnose: Verschleiß im Knie, wie er bei älteren Menschen häufig auftritt. Wegen der kardiologischen Befunde besteht keine Operationsmöglichkeit. Ein Bett in der Geriatrie steht nicht zur Verfügung. Es gibt während des gut 6stündigen Aufenthalts in der Ambulanz sporadisch Gespräche mit einer internistischen Ärztin und einem chirurgischen Facharzt. Um kurz vor Mitternacht ist die Information kurz und knapp: "Sie müssen nachhause!" so der Arzt. Die Frage des Patienten, wie er das anstellen solle, da er zur Zeit alleine lebe und seinen Schlüssel einer Nachbarin überlassen habe. Der Arzt: "Ja, soll ich Ihnen meine Wohnung zur Verfügung stellen?"

Um 00:30Uhr (gehts noch?) wird Heinz Z. mit einem Stock, auf einem Schuh, mit dem zweiten Schuh separat im Plastikbeutel "entlassen". Bevor er ein Taxi besteigt, telefoniert erneut mit der Nachbarin zu dieser nächtlichen Stunde, sagt, er wolle sie jetzt nicht wegen des Schlüssels behelligen und jetzt erstmal in ein Hotel, da er eine Rückkehr in seine Wohnung nicht für machbar hielt. Sie besteht darauf ihn, ihn ins das Haus hereinzulassen. Der hilfsbereite Taxifahrer hilft ihm bei dem Einstieg in sein Auto und erlaubt sich die Frage "Ist das denn richtig, was hier passiert?" Die Nachbarin öffnet ihm die Haustür und schafft ihn mit einem vom Nachbarn ausgeliehenen Rollstuhl in seine Wohnung. Eine weitere ebenfalls noch schlaflose Nachbarin hilft dabei, ihn ins Bett zu bringen.

Dabei drängen sich etliche Fragen auf:
- Ohne Rücksicht auf das situative Umfeld und das hohe Alter des Patienten wird hier, zumal mitten in der Nacht, ein 90jähriger auf die Piste geschickt?
- War eine Notfall-Ambulanz hier überfordert und wäre er mit Zahlung einer "Notfallgebühr" umsichtiger behandelt worden?
- Wie gehen Notfallambulanzen zukünftig mit einer stetig steigenden Zahl von älteren und hochbetagten "Verschleißpatienten" um? Vielleicht ist es an der Zeit, dass Krankenhäuser auch für diese Fälle Überlegungen anstellen, wie solche Fälle zu "managen" sind, dem Ruf einer Krankeneinrichtung wäre das auf jeden Fall sehr zuträglich!
- Kümmert es irgend jemanden im Krankenhaus, einen 90jährigen nachhause zu schicken, ohne sich über eine bestehende oder nicht bestehende Hilfe zu informieren oder sich zu versichern, dass der Patient alleine zurecht kommt? Oder geht es nur darum, die Ambulanz möglichst schnell leer zu arbeiten?
- Mit welchem Selbstverständnis werden solche Maßnahmen "verordnet" und ergriffen?
- Gilt "Entlassungsmanagement" nur für diejenigen, die mindestens eine Nacht im Krankenhaus "aufgenommen" wurden?
- Was wäre passiert oder hätte passieren können, wenn nicht - wie in diesem Fall - hilfsbereite und erreichbare Nachbarn vorhanden gewesen wären?
- Müssen wir daraus die Lehre ziehen, dass es unter den Vorzeichen dieses Einzelfalls (ist es ein Einzelfall?) bei den auch ansonsten bestehenden strukturellen Problemen der Gesundheitsversorgung in der Stadt nicht erstrebenswert sein kann, in Bremen ein hohes Alter zu erreichen?

Skandalös finde ich das!

Leserbrief Dr. Dirk Mittermeier, am 5.7.2018 20:44 Uhr
An "Bild", "WESER-Kurier", WESERreport, buten un binnen, "Bremer Nachrichten", taz.

Link: Über das sozialstaatliche (Verwirr-)Hütchenspiel
Quelle: Mail an die Redaktion