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AKTIVIERUNGSPOLITIK UND ERWERBSARMUT

15.07.2017 - von Dorothee Spannagel, Daniel Seikel, Karin Schulze Buschoff, Helge Baumann

Erwerbsarmut – auch bekannt als working poor – ist ein weit verbreitetes Phänomen in ganz Europa. Deutschland ist hierbei keine Ausnahme. Im Jahr 2014 war in Deutschland nahezu jeder zehnte Er-werbstätige zwischen 18 und 64 erwerbsarm. Wie lässt sich Erwerbsarmut wirksam bekämpfen? Welchen Einfluss hat die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auf Erwerbsarmut? Ist aktivierende Arbeitsmarktpolitik ein geeignetes Mittel, um Er-werbsarmut zu senken? Der vorliegende Report analysiert auf Grundlage eines systematischen Vergleichs zwischen 18 EU-Mitgliedstaaten die Auswirkungen unterschiedlicher arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Instrumente auf Erwerbsarmut. Die Befunde zeigen, dass strenge Anspruchsvoraussetzungen für den Leistungsbezug und niedrige Lohnersatz- und Sozialleistungen das Risiko erhöhen, arm trotz Arbeit zu sein. Derartige Akti-vierungspolitiken, die dem sogenannten Workfare-Ansatz entsprechen, steigern also das Erwerbsarmutsrisiko. Strenge Anspruchsvoraussetzungen und niedrige Lohnersatz- und Sozialleistungen sollen erwerbslose Personen dazu zwingen, auch schlecht entlohnte Arbeitsangebote anzunehmen. Dies kann dazu führen, dass aus armen Arbeitslosen arme Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen werden. Unzureichende staatliche Transferskönnen überdies zur Folge haben, dass das Haushaltseinkommen nicht über die Armutsschwelle hinauskommt.

Die Untersuchung zeigt aber auch, dass investive aktive Arbeitsmarktpolitik, also Maßnahmen zur Verbesserung des Humankapitals wie Aus- und Weiterbildung, das Erwerbsarmutsrisiko senken kann. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass eine
Kombination aus investiver aktiver Arbeitsmarktpolitik und auskömmlichen Lohnersatz- und Sozialleistungen der beste Weg ist, um Erwerbsarmut zu bekämpfen. Demnach sind Strategien, die dem Leitbild eines fördernden Wohlfahrtsstaates entsprechen, der erfolgversprechendste Ansatz zur
Bekämpfung von Erwerbsarmut.

Für Deutschland bedeutet dies, Möglichkeiten der beruflichen Qualifikation und Weiterbildung auszubauen und auch für atypisch und/oder im Niedriglohnbereich Beschäftigte zugänglich zu machen. Zudem muss die Arbeitsvermittlung verstärkt
auf eine nachhaltige und qualifikationsgerechte Vermittlung von Erwerbslosen ausgerichtet werden. Darüber hinaus sollten die Zumutbarkeitsregeln im
Hartz-IV-System entschärft werden. Schließlich muss sichergestellt werden, dass Lohnersatzleistungen und Hartz-IV-Leistungen Armut wirksam verhindern.

WSI-Report Nr. 36 von 07. 2017 der Hans Böckler-Stiftung von Dorothee Spannagel, Daniel Seikel, Karin Schulze Buschoff, Helge Baumann unter: https://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_report_36_2017.pdf

Quelle: WSI