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28.05.2018 - von A.E.
Das Gleichstellungsgesetz ist leider eine Farce! Denn nach wie vor ist im Kulturbereich – vor allem an deutschen Opernhäusern – Altersdiskriminierung an der Tagesordnung. Zu meiner Biographie: Ich bin ausgebildete Sängerin und deutsche Staatsbürgerin mit derzeitigem Wohnsitz in Wien, Österreich. Nachdem ich hier in Wien unter großen persönlichen Opfern noch ein Gesangsstudium (Fachrichtung Opernrepertoire) absolviert habe, bin ich schon seit Jahren vorwiegend selbstständig als freischaffende Künstlerin und Musikpädagogin tätig. Daneben bewerbe ich mich aber auch um Vakanzen in Opernchören – vorausgesetzt, dass geeignete Stellenangebote (2. Sopran) vorhanden sind. Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass ich mit meinen 58 Jahren noch recht jung aussehe. Dank gewissenhaftem Training und diverser Weiterbildungen im Bereich Operngesang/Belcanto klingt auch meine Stimme noch nicht alt.
Da ich jedoch gerade im Opernchor-Bereich leider immer wieder mit dem Problem der Altersdiskriminierung konfrontiert bin, war ich zur Sicherung meiner Existenz und meiner Altersversorgung in den letzten Jahren immer wieder gezwungen, branchenfremde, dazu meist noch schlecht bezahlte Jobs in der Erwachsenenbildung anzunehmen.
Nachdem ich durch meine letzten anstrengenden Jobs im Trainingsbereich fast in einen Burn-out geschlittert wäre, bin ich seit Ende 2017 hier in Wien wieder einmal arbeitslos gemeldet. Gegenwärtig werde ich noch durch das Team4, KünstlerInnenservice, eine Beratungs- und Betreuungseinrichtung des AMS (Arbeitsmarktservice) Wien, betreut.
Vom 19. Februar bis 23. März 2018 nahm ich erfolgreich an einer Meisterklasse für SängerInnen teil, welche vom Team4 Wien, in Kooperation mit der Firma ARS (Art Rotation Service, Graz) veranstaltet wurde.
Altersdiskriminierung durch die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV), Künstlervermittlung (KV) Musiktheater/Leipzig, anlässlich eines Vorsingens in Wien
Am 2. Mai erhielt ich vom Team4 eine Einladung zu einem Chor-Vorsingen, das von der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit –Künstlervermittlung (KV) Musiktheater/Leipzig – angeboten wurde und am 18. Mai hier in Wien stattfinden sollte.
Da solche Vorsingtermine hier in Wien äußerst selten (wenn überhaupt) angeboten werden, nahm ich diese Einladung natürlich gern an und meldete mich sogleich zum Vorsingen an. Vorzubereiten waren 4 – 5 Opernarien, darunter die Arie der Pamina aus Mozarts Zauberflöte (Ach ich fühl’s, es ist verschwunden) als Pflichtstück. Nachdem ich mich zwei Wochen lang intensiv auf diese Audition vorbereitet hatte, nahm ich an dem Vorsingen am 18. Mai selbstverständlich teil.
Nach meinem Vortrag meinte der zuständige Mitarbeiter der Künstlervermittlung Leipzig anerkennend, es sei ganz klar, dass ich einen professionellen Background habe. Auch vom Leiter des Team4 Wien (der ansonsten recht kritisch ist) bekam ich ein anerkennendes Lob: „Schön!“, äußerte er sich zu meinem Vortrag und klopfte mir auf die Schulter.
Trotz allem gab der Leiter der KV Leipzig mir deutlich zu verstehen, dass er aufgrund meines Alters keine Chance mehr sehe, mich für eine Vakanz in einem Opernchor zu vermitteln. Nach seinen Worten kommen mittlerweile auf eine freie Stelle im Opernchor rund 120 BewerberInnen.
Es gäbe zwar seit einigen Jahren ein Gleichstellungsgesetz, wonach ältere BewerberInnen nicht diskriminiert werden dürften, jedoch liege die Altersgrenze inoffiziell nach wie vor bei 35 (!) Jahren. (So ist das übrigens auch bei Orchestermusikerin.) Dies hätte zur Folge, so der Leiter der KV Leipzig, dass ältere BewerberInnen von den Opernhäusern zwar zum Vorsingen eingeladen würden und häufig sogar an der zweiten Runde mit der Pflichtarie noch teilnehmen dürften (weil die Theater dazu verpflichtet seien). Jedoch würde man dann trotz allem nicht eingestellt, und ich müsste ja verstehen, dass die Chordirektoren an den Opernhäusern lieber „junge Gesichter“ (Originalton) sehen wollten! Aus diesem Grunde sehe er für mich nun einmal keine Chance auf eine Vermittlung in einen Opernchor.
Die Folgen der Altersdiskriminierung: Hartz IV, Niedriglohnsektor und Altersarmut
Ich bin, ehrlich gesagt, entsetzt darüber, dass sich an dieser Situation und an diesem diskriminierenden Verhalten in all den Jahren, seitdem ich meine Heimat Deutschland verlassen habe, immer noch nichts geändert hat! In meinen Augen ist das Verhalten sowohl des Leiters der KV Leipzig (einer Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit!) als auch der Chordirektoren an deutschen Opernhäusern in hohem Maße diskriminierend. Und ich bin keineswegs bereit, dies hinzunehmen!
Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass in Deutschland das Regelrentenalter – auch für Frauen – inzwischen auf 67 (!) Jahre angehoben wurde! In der Praxis bedeutet das für betroffene BewerberInnen: Mit über 35 Jahren bekommen sie keinen Job mehr – und das, obwohl sie noch ganze 32 Jahre (!) bis zu ihrer Rente vor sich haben! (Das ist ja leider auch in anderen Branchen nicht viel anders.)
Und was machen die Betroffenen in diesen langen 32 Jahren? Bestenfalls können sie vielleicht noch eine Umschulung machen, deren Kosten dann oft nicht einmal von der Bundesagentur für Arbeit übernommen werden. Außerdem gibt es ja auch nach einer solchen Umschulung keineswegs eine Garantie dafür, dass es in der neuen Branche nicht auch Altersdiskriminierung gibt – zumal dieses Phänomen ja wegen des Gleichstellungsgesetzes niemals offen ausgesprochen wird!
Was passiert dann also mit den betroffenen Bewerbern? Sie rutschen entweder in Hartz IV oder müssen sich mit mies bezahlten Jobs im Niedriglohnsektor herumschlagen, bis sie von diesem fast ein halbes Leben dauernden Martyrium „erlöst“ werden und endlich in Pension gehen können! – Und dann ist auch noch Altersarmut vorprogrammiert!
Persönliche Konsequenzen
Wenn ich heute gefragt werde, wie es mir geht und was ich jetzt so mache, pflege ich zu sagen: „Danke der Nachfrage! Ich genieße meinen erzwungenen Vorruhestand!“ Wenn es in Deutschland nicht mehr erwünscht ist, dass Menschen über 35 ihre künstlerische Tätigkeit (für die sie ein teures Studium auf sich genommen haben) beruflich ausüben, dann sollen die Politiker uns wenigstens in Ruhe lassen und nicht noch von uns verlangen, bis zum Umfallen in branchenfremden, noch dazu mies bezahlten Jobs zu arbeiten!
Altersdiskriminierung gibt es zwar auch hier in Österreich. Auch hier sind die Politiker ziemlich betriebsblind, lethargisch und unfähig, wenn es um dieses Thema geht. Aber es gibt einen gravierenden Unterschied: Als Frau kann ich in Österreich – im Gegensatz zu Deutschland – (noch) mit 60 in Pension gehen! Also werde ich das menschenverachtende, zermürbende Erwerbsleben im Oktober 2019 endlich hinter mir haben! Dann interessiert mich das alles nicht mehr, und die Herren Chordirektoren können mich mal kreuzweise! Denn dann bekomme ich wenigstens meine österreichische Pension (auch wenn sich diese gerade einmal auf die Grundsicherung belaufen wird.)
Dass ich nach Abschluss meines Gesangsstudiums in Österreich geblieben bin, war also trotz allem die richtige Entscheidung. Wäre ich nach Deutschland zurückgekehrt, wäre ich (infolge der nach wie vor üblichen Altersdiskriminierung) wohl längst in Hartz IV abgerutscht und müsste mich obendrein noch sieben Jahre lang (bis zum Renteneintritt) mit den Jobcentern herumschlagen! Doch Gott sei dank habe ich mich anders entschieden! Nun kann sich das stets so hoch gelobte Deutschland meine Versicherungsbeiträge und meine Steuerzahlungen endgültig in die Haare schmieren! Da auf meine Arbeit ganz offensichtlich kein Wert mehr gelegt wird, ist es mir mittlerweile auch egal geworden, wenn im Alter der Staat (bzw. der Steuerzahler) die Konsequenzen tragen muss.
Fazit
Wenn es um das Thema Altersdiskriminierung geht, sind nun einmal die Politiker gefragt. Das Gleichstellungsgesetz ist nichts als eine Farce, solange es nicht energisch und effizient umgesetzt – sprich: mittels Sanktionen gegenüber diskriminierenden Arbeitgebern durchgesetzt – wird!
Wenn unsere Politiker es in all den Jahren nicht geschafft haben, ihre „Hausaufgaben“ zu machen, dann müssen wir eben aus der Not eine Tugend machen und unsere Auftritte selbst organisieren. Oder wir bleiben am besten gleich zu Hause und singen unsere Arien für uns allein im stillen Kämmerlein! So werden wenigstens unsere geduldigen (ebenfalls verarmten) Nachbarn noch mit Gratiskonzerten versorgt!
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