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Demografiebeauftragter aus dem Ländle: Noch 15 Jahre - dann wird´s eng

10.04.2018

Die Herausforderungen des demografischen Wandels lassen ein Zeitfenster von rund 15 Jahren offen. Der bundesweit einzige weisungsungebundene Demografiebeauftragte des Landes Baden-Württemberg Thaddäus Kunzmann ruft dazu auf, dieses Zeitfenster beherzt zu nutzen. „Um den Herausforderungen des demografischen Wandels zu begegnen, ist jetzt ein beherztes Vorgehen notwendig. Solange sich die geburtenstarken Jahrgänge im Berufsleben befinden, ist das Zeitfenster dafür offen. Das sind noch rund 15 Jahre. Danach wird der Fachkräftemangel in besonderem Maße deutlich. Es wird nicht ohne weiteren Zuzug gehen. In rund 30 Jahren werden die geburtenstarken Jahrgänge hochhaltrig. Dann stellt sich die Versorgungsfrage, zuerst und ganz besonders im ländlichen Raum“, so die Aussage des Demografiebeauftragten Thaddäus Kunzmann am Donnerstag in Stuttgart.Um diese Herausforderungen zu diskutieren, lädt er zu insgesamt vier Demografieforen ein:

•Am Mittwoch, 11. April 2018, in der Zehntscheuer in Eichstetten;
•Am Montag, 16. April 2018, im Landratsamt Friedrichshafen;
•Am Dienstag, 17. April 2018, im Technischen Rathaus in Heilbronn und
•Am Montag, 23. April 2018, im Landratsamt Esslingen;
jeweils in der Zeit von 9 bis 13 Uhr.„Die folgenden konkreten Fragestellungen möchte ich in den Mittelpunkt stellen“, teilt der Demografiebeauftragte mit:

1.
Kann ein „Demografiebonus“ den Kommunen im ländlichen Raum helfen?Die Siedlungsentwicklung in Baden-Württemberg ist sehr zentrenorientiert. Konkret gibt es in der Raumplanung Entwicklungsachsen, an denen sich das noch wenigstens 15 Jahre anhaltende Bevölkerungswachstum, u. a. hervorgerufen durch Zuzug, abspielen soll. Diese Entwicklungsachsen wieder orientieren sich im Wesentlichen an den Schienenverkehrswegen. Diese Zentrenorientierung ist wichtig, um Zersiedelung zu verhindern und Verkehrsströme zu bündeln. Und doch führt sie dazu, dass kleinere Kommunen abseits dieser Achsen mit Bevölkerungsrückgang leben müssen. Dies führt in Folge zu einem Verlust an Versorgungsstrukturen wie dem Bäcker, dem Metzger, dem Bankautomaten, dem Gasthaus und auch kirchlicher Einrichtungen und der Vereine.
Im Koalitionsvertrag ist festgelegt, diese vom demografischen Wandel zunächst betroffenen Kommunen mit einer „Regionalstrategie Daseinsvorsorge“ finanziell und strukturell zu unterstützen. Weiterhin ist festgelegt, einen „Demografiebonus“ einzuführen, der Kommunen mit stark rückläufiger Bevölkerungszahl bis zu 10 Jahre lang höhere Schlüsselzuweisungen aus den kommunalen Finanzausgleichsystemen garantiert. Kunzmann: „Auf beide Regelungen im Koalitionsvertrag, die Ministerpräsident Winfried Kretschmann in seiner Regierungserklärung vor demLandtag am 1. Juni 2016 ausdrücklich betont hat, will ich ausdrücklich hinweisen.“

2.
Wie kann der altersgerechte Umbau von Bestandswohnungen stärker unterstützt werden?
Es ist der Wille von Politik und Verwaltung, den Menschen auch im hohen Alter das Leben in ihrer heimischen Umgebung zu ermöglichen. Damit unterstützen wir den Wunsch der allermeisten Menschen nach Eigenständigkeit in der vertrauten Wohnung.„Prognos“ schätzt den Bedarf an barrierefreien Wohnungen bis ins Jahr 2040 auf rund eine halbe Million, von denen bisher erst ein kleiner Bruchteil gebaut ist. Realistischerweise wird diese notwendige Zahl auch in den Städten nicht geschaffen werden können. Die KfW bietet ein Programm „altersgerechtes Umbauen“ mit einem Zuschuss von max. 12.500 Euro an, das jedoch regelmäßig zur Jahresmitte überzeichnet ist. Dieses Programm muss vom Bund auf jeden Fall auskömmlich ausgestattet werden (heute 75 Mio. Euro). Praktisch keine Anreize gibt es vor allem für die privaten Vermieter, ihre vermieteten Häuser und Wohnungen barrierearm oder gar -frei umzubauen. Wenn der Grundsatz „ambulant vor stationär“ gelten soll, muss es zwingend Anreize zum Umbau von Bestandsmietwohnungen geben. Daneben ist das im Koalitionsvertrag festgelegte „Landeskompetenzzentrum Barrierefreiheit“ notwendig, um Kommunen und Bauträger dabei zu unterstützen, Barrierefreiheit bei Einrichtungen und Gebäuden, Straßen, Plätzen und im Öffentlichen Verkehr zu realisieren.

3.
Welche Potentiale bietet die Digitalisierung im Hinblick auf den demografischen Wandel?Wir befinden uns bei der Digitalisierung noch am Anfang der Entwicklung. Klar abzusehen ist jedoch, dass die Zukunft gigabytefähig sein wird. Telemedizinische Anwendungen oder das fahrerlose Fahren erfordern ein Datennetz, das synchron in hoher Geschwindigkeit hohe Datenmengen transportiert. Dies setzt Glasfaserleitungen in die Haushalte ebenso wie ein lückenloses 5G-Funknetz voraus. Zum Beispiel ermöglicht das fahrerlose Fahren im ländlichen Raum Ruftaxisysteme, die heute aus Kostengründen nicht darstellbar sind. Die Möglichkeiten in der Mobilität sind damit deutlich verbessert. Und Mobilität bedeutet auch im hohen Alter Lebensqualität. Bisher ist die flächendeckende Ausstattung mit Glasfaser vor allem im ländlichen Raum noch sehr lückenhaft. Mit der Digitalisierungsoffensive des Landes werden in den nächsten Jahren deutliche Fortschritte erzielt werden können. Insbesondere jedoch der Bund muss seinen Schwerpunkt auf den Glasfaserausbau legen. Das Festhalten am Vektoring, das eine Kombination von Glasfaser mit den bereits seit Jahrzehnten liegenden Kupfertelefonkabeln darstellt, hat den Glasfaserausbau lange genug verzögert.Parallel ist das 5G-Netz so zu installieren, dass keine Funklöcher zurückbleiben.

4.
Wie können Prävention und Rehabilitation stärker in den Fokus rücken?
Wenn viele von uns hochaltrig werden und auch im hohen Alter selbständig leben wollen, müssen wir uns stärker als bisher selbst um unsere eigene Gesundheit kümmern. Eine bewusste Lebensführung mit viel Bewegung und gesunder Ernährung sind einfach unabdingbar. Das Halten sozialer Kontakte über die Familie hinaus in die Nachbarschaft, in die Kirche und den Verein beugen demenzieller Erkrankungen vor. Das alles ist keine Garantie, dass wir gesund alt werden. Aber es hilft dabei. Für Prävention ist es zudem nie zu spät.Alle Akteure sind aufgefordert, bei der Bewusstseinsbildung für ein gesundes Leben mitzuarbeiten.Gleichzeitig braucht es eine stärkere Fokussierung insbesondere auf die geriatrische Rehabilitation. Jede medizinisch notwendige Reha-Maßnahme muss auch genehmigt werden. Dieses Ziel ist im Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Zukunft der Pflege“ festgelegt. Bisher entscheidet über die Zustimmung zu einer geriatrischen Reha-Maßnahme die Krankenversicherung, während jedoch den unmittelbaren Vorteil die Pflegeversicherung hat. Deshalb regt der Demografiebeauftragte in Übereinstimmung mit dem Koalitionsvertrag an, die Pflegekassen an der Entscheidung und Finanzierung einer Reha-Maßnahme zu beteiligen. Eine entsprechende Bundesrats-Initiative des Landes ist im Koalitionsvertrag vereinbart.

Abschließend:
„Ich halte entsprechende Initiativen für unabdingbar, weil uns realistischerweise in Zukunft die notwendigen Pflegekräfte nicht zur Verfügung stehen werden, um dem wachsenden Pflegebedarf nachzukommen. Die Hochaltrigkeit der geburtenstarken Jahrgänge findet in einer Zeit des massivsten Fachkräftemangels in allen Berufsfeldern statt. Damit müssen zwingend Alternativen gefunden werden.“

Quelle: PM Demografiebeauftragter Baden Württemberg 5.4.2018