Diskriminierung melden
Suchen:

Wenn Krankenkassen Leistungsanträge verzögern

07.11.2017

Gesetzliche Krankenkassen haben über einen Leistungsantrag ihrer Versicherten grundsätzlich innerhalb von drei Wochen zu entscheiden. Kommt die Kasse dem innerhalb dieser gesetzlichen Frist nicht nach, gilt die Leistung als genehmigt (fingierte Genehmigung), wie das Bundessozialgericht (BSG) in zwei Fällen entschieden hat (Az.: B 1 KR 15/17 R und B 1 KR 24/17 R). Das BSG bestätigte damit eine Entscheidung des saarländischen Landessozialgerichts und hob ein anderslautendes Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen auf.

Terminbericht des BSG Nr. 52/17 zu Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
Der 1. Senat des BSG berichtet über seine Sitzung vom 07.11.2017, in der er über vier Revisionen in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu entscheiden hatte.
1. B 1 KR 2/17 R
SG Köln - S 34 KR 1026/15

Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin beantragte mit einer ärztlichen Bescheinigung die Versorgung mit einer Augmentationsmastopexie. Die Beklagte forderte bei der Klägerin weitere Angaben an. Der beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) hielt die beantragte Operation nicht für notwendig. Gut fünf Wochen nach Antragseingang lehnte es die Beklagte ab, die beantragte Leistung zu bewilligen.
Das Sozialgericht hat die Beklagte verurteilt, die Klägerin mit einer Augmentationsmastopexie zu versorgen: Die Klägerin habe aus der fingierten Genehmigung ihres Antrags einen Anspruch auf Versorgung mit der beantragten Leistung. Die Beklagte rügt mit ihrer Sprungrevision die Verletzung von § 13 Abs. 3a SGB V. Sie hat inzwischen die Genehmigungsfiktion des Antrags mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben und den Antrag abgelehnt.

Das BSG hat die Revision der beklagten Krankenkasse zurückgewiesen.
Nach Auffassung des BSG hat das Sozialgericht die Krankenkassen zu Recht verurteilt, der Klägerin die beantragte Augmentationsmastopexie als Naturalleistung zu gewähren. Der Anspruch besteht kraft Genehmigungsfiktion. Deren Voraussetzungen sind erfüllt. Insbesondere entschied die Beklagte über den hinreichend bestimmten fiktionsfähigen Antrag nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Wochen. Sie führte bis dahin auch nicht wirksam eine Fristverlängerung herbei. Die Klägerin durfte die beantragte Leistung für erforderlich halten. Über die Änderung der ablehnenden Entscheidung der Beklagten durch die Rücknahme der fingierten Genehmigung hat das BSG nicht zu entscheiden. Sie gilt als vor dem Sozialgericht angefochten (§ 171 SGG).
2. B 1 KR 7/17 R
SG Düsseldorf - S 27 KR 116/15
LSG Essen - L 1 KR 680/15

Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin beantragte befundgestützt, sie wegen ihres Lipödems mit Liposuktionen an Armen und Beinen zu versorgen. Die Beklagte forderte bei der Klägerin telefonisch weitere Unterlagen an und beauftragte den MDK mit einer Stellungnahme. Rund drei Monate nach Antragseingang lehnte sie es auf der Grundlage der MDK-Stellungnahme ab, die beantragte Leistung zu bewilligen.
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht hat die Beklagte verurteilt, die Klägerin mit einer stationären Liposuktion zu versorgen: Die Klägerin habe aus der fingierten Genehmigung ihres Antrags einen Anspruch auf Versorgung mit der beantragten Liposuktion. Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 2 Abs. 1, § 12 Abs. 1, § 13 Abs. 1, Abs. 3a Satz 6 und Satz 7, § 135 und § 137c SGB V.

Das BSG hat die Revision der beklagten Krankenkassen zurückgewiesen.
Nach Auffassung des BSG hat das Landessozialgericht die Krankenkasse zu Recht verurteilt, der Klägerin die beantragte stationäre Liposuktion als Naturalleistung zu gewähren. Der Anspruch besteht kraft Genehmigungsfiktion. Deren Voraussetzungen sind erfüllt. Insbesondere stellte die Klägerin einen hinreichend bestimmten fiktionsfähigen Antrag. Die Beklagte entschied hierüber nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Wochen, sondern erst rund drei Monate nach Antragstellung. Die Klägerin durfte die Liposuktion für erforderlich halten.
3. B 1 KR 24/17 R
SG Duisburg - S 7 KN 307/14 KR
LSG Essen - L 16 KR 202/16

Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin beantragte befundgestützt, sie nach vorausgegangener massiver Gewichtsabnahme mit einer Abdominalplastik (Straffung der Bauchhaut) zu versorgen (17.12.2013). Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Sozialmedizinischen Dienst (SMD) und teilte dies der Klägerin mit (Schreiben vom 08.01.2014). Rund acht Wochen nach Antragseingang lehnte sie die beantragte Leistung ab.
Das Sozialgericht hat die Beklagte verurteilt, die Klägerin mit einer Abdominalplastik zu versorgen. Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte vorsorglich eine fingierte Genehmigung des Antrags mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen. Das Landessozialgericht hat dagegen die Klage gegen die Ablehnungs- und die Rücknahmeentscheidung abgewiesen: Die Rücknahme habe rechtmäßig eine eventuell fingierte Genehmigung beseitigt. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Versorgung mit einer Abdominalplastik. Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 96 SGG und § 45 SGB X.

Das BSG hat auf die Revision der Klägerin das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und die Entscheidung des Sozialgerichts wiederhergestellt.
Nach Auffassung des BSG besteht der Anspruch der Klägerin gegen die beklagte Krankenkassen auf Versorgung mit einer Abdominalplastik kraft Genehmigungsfiktion. Deren Voraussetzungen sind erfüllt. Die Beklagte entschied über den hinreichend bestimmten fiktionsfähigen Antrag nicht innerhalb der gesetzlichen Frist. Sie führte auch keine Fristverlängerung herbei. Die Klägerin durfte die Abdominalplastik für erforderlich halten. Der Leistungsanspruch ist auch nicht später erloschen. Die Rücknahme der fingierten Genehmigung ist Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Sie änderte die angefochtene Leistungsablehnung ab. Zu Unrecht hat das Landessozialgericht die Klage auch insoweit abgewiesen. Das BSG hat die Rücknahmeentscheidung der Beklagten aufgehoben. Es fehlt bereits an einem rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakt als Grundvoraussetzung der Rücknahme. Maßstab der Rechtmäßigkeitsprüfung sind die – hier erfüllten – Voraussetzungen des Anspruchs auf die fingierte Genehmigung (§ 13 Abs. 3a SGB V). Die Genehmigung der Abdominalplastik hat sich auch nicht auf andere Weise erledigt.
4. B 1 KR 15/17 R
SG Saarbrücken - S 23 KR 1194/14 KR
LSG Saarbrücken - L 2 KR 24/15 KR

Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin beantragte befundgestützt, sie nach vorausgegangener massiver Gewichtsabnahme ua mit einer Abdominalplastik (Straffung der Bauchhaut) zu versorgen (04.06.2014). Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den SMD, bewilligte als chirurgischen Eingriff eine Mamma-Thorax-Korrektur und lehnte die beantragte Versorgung mit weiteren Hautstraffungsoperationen ab (Bescheid vom 24.07.2014).
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen. Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte vorsorglich eine eventuell fingierte Genehmigung des abgelehnten Teils des Antrags mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen. Das Landessozialgericht hat dagegen die Rücknahmeentscheidung und die Ablehnung der Abdominalplastik aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin mit einer Abdominalplastik zu versorgen. Die Klägerin habe auf Grund einer rechtmäßigen Genehmigungsfiktion hierauf Anspruch. Die Rücknahme sei rechtswidrig. Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 13 Abs. 3a SGB V und § 45 SGB X.

Das BSG hat die Revision der beklagten Krankenkasse zurückgewiesen.
Nach Auffassung des BSG hat das Landessozialgericht die Krankenkasse zu Recht verurteilt, der Klägerin die beantragte Abdominalplastik als Naturalleistung zu gewähren. Der Anspruch besteht kraft Genehmigungsfiktion. Deren Voraussetzungen sind erfüllt. Die Beklagte entschied über den hinreichend bestimmten fiktionsfähigen Antrag nicht innerhalb der gesetzlichen Frist. Sie führte auch keine Fristverlängerung herbei. Die Klägerin durfte die Abdominalplastik für erforderlich halten. Der Leistungsanspruch ist auch nicht später erloschen. Die Rücknahme der fingierten Genehmigung ist Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Sie änderte die angefochtene Leistungsablehnung ab. Zu Recht hat das Landessozialgericht die Rücknahmeentscheidung der Beklagten aufgehoben. Es fehlt bereits an einem rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakt als Grundvoraussetzung der Rücknahme. Maßstab der Rechtmäßigkeitsprüfung sind die – hier erfüllten – Voraussetzungen des Anspruchs auf die fingierte Genehmigung (§ 13 Abs. 3a SGB V). Die Genehmigung der Abdominalplastik hat sich auch nicht auf andere Weise erledigt.

Pressemitteilung des BSG v. 02.11. und 07.11.2017

Quelle: Pressemitteilung des BSG v. 02.11. und 07.11.2017