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Akademie in Halle schlägt vor: 1.600 Krankenhäuser schließen!

Djerba, 2006 Foto: H.S.

09.11.2016

Herr Professor, die Süddeutsche Zeitung hat es am 26.Oktober 2016 zuerst online gemeldet: 85 Prozent der Allgemeinkrankenhäuser in Deutschland sollen geschlossen werden – meinen jedenfalls so genannte „Experten“ einer Nationalen Akademie der Wissenschaften in Halle.

Just zur gleichen Zeit hat die Akademie und Institut für Sozialforschung Verona den Sammelband „Familie und Krankenhaus“ veröffentlicht. Sie und Ihre Mitautoren behandeln darin die systematische Missachtung der Familien in der deutschen Krankenhauspolitik und in der deutschen Gesundheitspolitik. Was sagen Sie zur oben zitierten Forderung, die orts- und damit familiennahe Krankenhausversorgung in Deutschland praktisch zu beseitigen?


Goeschel:**
Zunächst signalisieren die Verfasser des entsprechenden Thesenpapiers, dass der Reformterror in der Krankenhauspolitik trotz aller bisherigen Verschrottungs- und Zerstörungsorgien immer noch nicht zu Ende ist. Gewinne, so richtige Gewinne sind
in der Krankenhauswirtschaft offenbar erst wieder zu machen, wenn 300 Zentralkrankenhäuser mit dem derzeit vorhandenen Personal den Umsatz machen, den bisher 1.900 Normalkrankenhäuser gemacht haben. Für die Patientinnen und Patienten, d.h. für die Familien, aus denen diese Patientinnen und Patienten kommen, wird das eine Mega-Katastrophe. Das wird regelrechte Familienvernichtung. Und: „Nationale Akademie“ nennt sich dieser Verein, der sich ordentlich anstrengt, die Nationalbevölkerung zu schikanieren, wenn nicht zu dezimieren ? Eine eigenartige Einrichtung.

Frage:*
Aber da steht doch im Grundgesetz, dass die Familie unter dem Schutz der staatlichen Ordnung steht, Geht dann überhaupt so eine Schreibtischtäterschaft gegen die Familien ?


Goeschel:
Wie man sieht, geht zumindest bislang so eine Schreibtischtäterschaft gegen die Familien durchaus. Die Bundestags-SPD in Gestalt des Herrn Professor Lauterbach, seinerseits Aufsichtsratsmitglied eines der größten privaten Krankenhauskonzerne in Deutschland, und immer dabei, wenn es in der Gesundheitswirtschaft etwas zu zentralisieren und zu konzentrieren gibt, hat ja bereits Beifall für diesen Morgenthau-Plan in Sachen Krankenhäuser gespendet. Mit welchen Leuten man es hier zu tun hat, wird auch klar, wenn man weiß, welche Rolle die Berliner Charite´ in der Krankenhausversorgung spielt, deren Stiftungsratsvorsitzender Ganten laut Süddeutscher Zeitung wohl der Rädelsführer bei dieser Sache ist: Es vergeht fast keine Ausgabe des kritisch-alternativen Newsletter „labournet-germany“, in dem nicht über die miseblen Arbeitsbedingungen in der Charite´ berichtet wird. Solche Leute sind das, die solche Pläne machen.

Frage:
Unsere Frage war aber nicht , was das für Leute sind, die solche Ideen verbreiten, sondern ob solche Ideen mit dem Grundgesetz vereinbar sind.


Goeschel:
Wer fordert, 1.600 der 1.900 Krankenhäuser in Deutschland zu schließen, und wer angeblich „Experte“ für Gesundheitsversorgung ist, weiß natürlich, auch wenn er das Gegenteil behauptet, dass eine derartige Vernichtungsaktion das Ende einer ortsnahen- und damit familiennahen Krankenhausversorgung ist. Wer also wissentlich und willentlich eine wesentliche Existenzvoraussetzung von Millionen Familien zerstören will, ist ein Verfassungsfeind.

Frage:
Wir haben ein bisschen herum gegoogelt, ob, wer und wie diese Aufforderung zum Totalen Klassenkampf von oben bei den „üblichen Verdächtigen“ angekommen ist: Beifall bei der SPD (s.o.); Schweigen bei der LINKEN; Schweigen bei den GRÜNEN; Schweigen auch bei VER.DI. Kritik nur von der AfD. Was sagen Sie dazu?


Goeschel:
Das wundert mich nicht. Offenbar hat das hegemoniale Gutmenschentum bereits die Wirklichkeitswahrnehmung so weit eingetrübt, dass jede Aufforderung auch nur zu einer abwägenden Flüchtlingspolitik schon als angebliche „Gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit“ diffamiert werden kann. Gleichzeitig wird eine offen die Lebensbedingungen der Familien in Deutschland bedrohende Krankenhauspolitik aber gar nicht mehr als das erkannt, was sie ist: Tatsächliche „Guppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Offenbar genügt es mittlerweile, sich irgend einen „Expertenkittel“ um zu hängen, und schon wird aus systemkonformem Unmenschentum „Wissenschaft“.

Frage:
Was tun?


Goeschel:
Nachdem die Herrn „Wissenschaftler“ großen Mut darin beweisen, anderen Leuten das (Über-)Leben schwer zu machen, sollte eine kritische Öffentlichkeit nun mit ebenso großem Mut die Retourkutsche besteigen und zuvor im Strafgesetzbuch blättern. Im § 70 StGB ist dort das „Berufsverbot“ für Leute vorgesehen, die unter „Missbrauch ihres Berufs“ oder unter „grober Verletzung der mit ihm verbundenen Pflichten“ rechtswidrige Taten begangen haben und weiter begehen werden. Die Empfehlung von Totalkrieg gegen die familiennahe Krankenhausversorgung ist nicht nur rechtswidrig, sondern darüber hinaus auch verfassungswidrig. Das Thema „Berufsverbot für Menschenfeind-Professoren“ ist damit angesagt.

Frage:
Wer soll dann ein entsprechendes Strafverfahren beantragen und bei welcher Staatsanwaltschaft soll das geschehen?


Goeschel:
Das sind Fragen die stellen Sie besser einem Strafrechtler oder eine Strafrechtlerin. Ich sehe zunächst Aufklärungsbedarf über die geradezu infame Arbeitsteilung zwischen verantwortungslosen „Experten“ der beschriebenen Art und verantwortungsscheuenden Mandatsträgern und verantwortlichem Ministerialpersonal in der Krankenhausversorgung und in der Gesundheitsversorgung überhaupt.
Berufsverbot für Menschenfeind-Professoren – das wäre daher auch ein Thema für den Herrn Kollegen Heitmeyer aus dem schönen Bielefeld. Der versorgt die davon mittlerweile etwas ermüdete Öffentlichkeit seit einem viertel Jahrhundert mit seinem
Allzweckkonzept und entsprechenden Vielschreibereien zum Thema „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Seit Merkels Migrationsputsch sind jetzt alle Kanäle voll mit Willkommenskultur hier und Fremdenfeindlichkeit da. Der bedauernswerte Kollege Heitmeyer geht da so ein bisschen unter. Also: Neues Thema. Statt Menschenfeindsuche im Osten jetzt Menschenfeindsuche unter den Kollegen.

Frage:
Machen Sie sich hier über irgend jemanden lustig ?


Goeschel:
Ich versichere Ihnen: Ich mache mich nicht hier und auch nicht anderswo über irgend jemanden lustig. Trotzdem im Ernst: In der so genannten „Gesundheitsökonomie“ ist dringend nötig, was es in der Makroökonomie spätestens seit der gegenwärtigen Weltkrise des Kapitalismus wieder gibt. Nämlich eine Auseinandersetzung und eine Abrechnung mit den professoralen Schreibtischtätern. Wir haben vor ein paar Jahren eine Analyse über die „Reformideologien“ im Gesundheitswesen und die Rolle von diversen Professoren als Stichwortgebern hierbei erstellt.

Was mehr noch als das klägliche Niveau dieser „Gesundheitsökonomie“ aufgefallen ist: Der insgesamt zahlenstarke Aufmarsch wechselnder Professor(inn)enteams zur Propagierung und Legitimierung immer neuer „Reformrunden“ zu immer neuen Lösungsvarianten des immer gleichen Zielkonflikts. Dieser Zielkonflikt lautet: Verbilligung der Lohnarbeit auf dem Umweg über die Neben-Löhne, d.h. „Beitragssatzstabilität“ in der Krankenversicherung einerseits, aber auch Eröffnung und Erweiterung von Profitchancen für die „Gesundheitswirtschaft“ auf Kosten der Beitragszahler und Leistungsempfänger andererseits. Herausgekommen ist jeweils „Menschenfeindlichkeit“ vom feinsten.

Beispiel: Pflegeversicherung und Pflegeversorgung. Deren Einführung war das Programm zur Abdrängung der Älteren aus der Vollkaskoversorgung der Krankenversicherung in die Teilkaskoversorgung der Pflegeversicherung. Ähnliches erleben wir gerade mit der Abschaffung der ausgebildeten Kinderkrankenschwestern und der anhaltenden Schließung der Kinderstationen der Krankenhäuser, d.h. mit der Abdrängung der Kinder in eine Minimalpädiatrie.

Frage:
Im Sammelband „Familie und Krankenhaus“ greifen Sie und Ihre Mitautoren noch andere Versorgungsbereiche und Patienengruppen auf, gegenüber denen „Menschenfeindlichkeit“ in Form von Unter- und Fehlversorgung mit Krankenhausleistungen geübt wird; z.B. Kinder und Männer. Können wir dazu etwas hören ?


Goeschel:
Zum Thema Kinder habe ich gerade einen Satz gesagt. Wir haben mittlerweile zwei größere Untersuchungen zur regionalen Krankenhausversorgung und zur defizitären Gesundheitsversorgung der Kinder in Deutschland erstellt . Für ein Krankenhaus an
der Nordseeküste haben wir schon vor zehn Jahren ein „Zentrum für Frauen, Mutter und Kind“ als Versorgungsmodell entwickelt. Das war und ist als Beitrag zum praktischen Widerstand gegen die Kinderfeindlichkeit in der Krankenhauspolitik und in der Krankenhausökonomie gedacht.

Frage:
Im Sammelband „Familie und Krankenhaus“ stellen Sie und ihre Mitautoren auch „Zentren für Männergesundheit“ als dringlichen Beitrag in der Krankenhausversorgung und in der Gesundheitsversorgung dar. Worum geht es dabei ?


Goeschel:
Das Thema „Männergesundheit“ ist ein echtes Prachtexemplar von Beispiel für „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ im Gewande von „Korrektem Gutmenschentum“. Seit etwa zwei Jahrzehnten wird in den kerneuropäischen Nachbarländern das Thema der teilweise dramatischen Männervorsterblichkeit gegenüber der Frauenlanglebigkeit diskutiert und die mangelhafte Eignung der Gesundheitsversorgung für die Männerbevölkerung debattiert. In Deutschland passiert das Gegenteil: Hier hat das damals zuständige Bundesministerium für irgendwas mit Familie und Frauen etc. 2001 zwar einen telefonbuchfetten „Frauengesundheitsbericht“ zusammenschreiben lassen. Der war aber nicht nur gar kein Ruhmesblatt für die dafür sicherlich fürstlich bezahlten diversen Gender-Forscherinnen und Frauen-Institute. Dieser Bericht wurde auch als Barrikade benutzt, um einen mindestens ebenso wichtigen, angesichts des Lebenserwartungsdefizits der Männer eigentlich wichtigeren, „Männergesundheitsbericht“ eineinhalb Jahrzehnte zu verzögern. Was dann von einer nach geordneten Gesundheitsbehörde als Männergesundheitsbericht des Bundes vorgelegt wurde, spottet
eigentlich jeder Beschreibung.

Ich erlaube mir dieses Urteil, weil wir als erste in Deutschland Ende der 1980er Jahre Analysen zur Gesundheitslage der Frauen in den Regionen und zur Stellung der Frauen in der Krankenversicherung vorgelegt haben. Vor zehn Jahren haben
wir dann einen Männergesundheitsbericht für Italien und später für Bayern vorgelegt.
Da hätte die Autorin des Männergesundheitsheftchens des Bundes wenigstens intelligent abschreiben können.

Frage:
Wo bitte geht’s hier zum Krankenhaus ?


Goeschel:
Bei einer derartig miserablen Großwetterlage für die Männergesundheit blieb in den zurück liegenden Jahrzehnten gar nichts anderes übrig, als die damals selbst auf Innovationssuche befindlichen Krankenhäuser für die Männergesundheit zu motivieren und zu mobilisieren. Das ist in gar nicht so wenigen Fällen auch gelungen. Allerdings hat dann der von den Kassenkonzernen und der Krankenhauspolitik durchgepeitschte DRG-Terror, also die Krankenhausfinanzierung über Pauschalpreise, die Krankenhäuser reihenweise ins Defizit getrieben und jede Innovation verhindert, die nicht Kosten senkt und Gewinne erhöht.

Die abhängig beschäftigten Männer finanzieren mit ihren Zwangsabgaben zur Krankenversicherung noch immer die Hauptlast der Krankenhausversorgung der gesamten Bevölkerung; sie waren die Hauptopfer der Entlassungswellen zu Beginn der kapitalistischen Weltkrise; sie leisten die gesundheitsschädlichsten Stressarbeiten etwa als LkW-Fahrer im europäischen Güterverkehr und sie werden von der Volkskrankheit „Ehescheidung“ viel ungeschützter getroffen wie die Frauen.

Geschiedene Männer sind in den Pflegeheimen überrepräsentiert. Und: Die Professorengattin in Düsseldorf lebt zwanzig Jahre länger als der Leiharbeiter in Mecklenburg-Vorpommern. Frauen- und Kinderärzte und Frauen- und Kinderabteilungen gibt es (noch). Männerärzte und Männerzentren hingegen werden gar nicht erst eingeführt. Das alles unter den Augen und mit dem „Segen“ hochblondierter oder nachgefärbter Bundesministerinnen für dies und das. Angeführt von einer Bundeskanzlerin, die für die reihenweise kaputt gearbeiteten Deutschmänner jetzt erst einmal hunderttausende Frischmänner herbei geputscht hat.

Frage:
Sehen wir es recht, wenn wir „Familie und Krankenhaus“ durchblättern, dass Sie und Ihre Mitautoren die Krankenhausversorgung vom Behandlungsbedarf der ausgegrenzten Patientengruppe wie Kinder, Männer, Pflegebedürftige etc. her rekonstruieren wollen ?


Goeschel:
Das sehen Sie richtig !

Danke für dieses Gespräch !

Erstveröffentlichung auf dieser Webseite: 9.11.2016

*
Das Interview führte eine Autorengemeinschaft der Accademia ed Istituto per la Ricerca Sociale Verona. Das vollständige Interview liegt in der Verantwortung von
Prof. Albrecht Goeschel i.S.d.Pressegesetzes
mail@prof-goeschel.com
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Prof. (Gast) Albrecht Goeschel
Staatliche Universität Rostov
Präsidiumsmitglied der
Accademia ed Istituto per la Ricerca Sociale
Verona
Alle Rechte bei:
Accademia ed Istituto per la Ricerca Sociale
Verona
mail@accademiaistituto.com

Zitierte Veröffentlichung:
Albrecht Goeschel, Markus Steinmetz, Michael Teumer (Hrsg.)
Familie und Krankenhaus:
Eine vernachlässigte Dimension der Gesundheitspolitik
1998-2014
Erschienen in der Reihe
Gesamtwirtschaft, Raumordnung und Sozialsicherung
Accademia ed Istituto per la Ricerca Sociale
Verona 2016

Quelle: Autorengemeinschaft der Accademia ed Istituto per la Ricerca Sociale Verona