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40 Jahre Mitbestimmung

05.07.2016

Das Mitbestimmungsgesetz wird 40 Jahre alt. Seit dem 1. Juli 1976 haben in Unternehmen mit mindestens 2.000 Beschäftigten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften Anrecht auf die Hälfte der Sitze im Aufsichtsrat. Wie die Mitbestimmung erreicht wurde, was sie heute leistet und wo die Herausforderungen der Zukunft liegen, das sind die Themen der zentralen Jubiläumsveranstaltung, die die Hans-Böckler-Stiftung in Kooperation mit dem deutschen Gewerkschaftsbund am 30. Juni 2016 ausrichtet. Für Ihre Recherchen haben wir die folgenden Links zu unterschiedlichen Aspekten zusammengestellt:

Geschichte:
Wie die Mitbestimmung zum demokratischen Gestaltungsprinzip der sozialen Marktwirtschaft wurde, zeigt die Ausstellung "Vom Wert der Mitbestimmung - Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945". Die wichtigsten Infos zum Mitbestimmungsgesetz finden Sie auf den Seiten 74 bis 77. Hier geht es zum Katalog (pdf): Link

Das Ringen um Mitbestimmung
im Aufsichtsrat zwischen 1962 und 1979 von PD Dr. Karl Lauschke: Link Ein Artikel aus der neuesten Ausgabe des Magazins Mitbestimmung schreibt die Geschichte fort: Link

Mitbestimmung heute: Gesichter, Trends und Forschungsergebnisse:
Eine große Mehrheit hält die Mitbestimmung für wichtig. Das zeigt eine methodisch anspruchsvolle repräsentative Befragung. Der Anteil derjenigen, die finden, dass Arbeitnehmer in der Wirtschaft mindestens gleich viel Einfluss haben sollten wie Arbeitgeber, liegt bei 65 Prozent. Noch deutlicher fällt die Gegenprobe aus: Der Aussage, dass Mitbestimmung falsch sei, stimmten nur 13 Prozent der Befragten - Beschäftigte, Selbständige und Unternehmer - zu. Link. Auch junge Menschen finden Mitbestimmung gut und wichtig - allerdings haben nur wenige praktisches Wissen darüber: Link.

Eklatante Lücken zeigt die Ausbildung der Manager von morgen.
Im BWL-Studium spielt Mitbestimmung oft kaum eine Rolle: Link. Ein Defizit, das auch sozialpartnerschaftlich orientierte Führungskräfte wie Margret Suckale sehen. Die Vorsitzende des Chemie-Arbeitgeberverbandes wünscht sich im Interview, "dass die Mitbestimmung stärker in der universitären Ausbildung verankert wird.": Link

Ende 2015 waren 635 Unternehmen nach dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 mitbestimmt:
Link.

Wer sind die "Mitbestimmerinnen und Mitbestimmer"?
Wwie sehen ihre Erfahrungen aus? Vier Frauen und Männer stellen die folgenden Porträts vor:
"Vom Azubi zur Aufsichtsrätin": Link; "Zeitenwende bei SAP": Link; "Im Kreis der Familie": Link; "Die Zentrale geht vor": Link

Wirkung der Mitbestimmung im Aufsichtsrat zu erforschen, ist schwierig.
Da Mitbestimmung ab einer bestimmten Unternehmensgröße verpflichtend ist, können Wissenschaftler Unternehmen mit und ohne Mitbestimmung kaum systematisch vergleichen. Außerdem gilt für Aufsichtsratsmitglieder eine strenge Verschwiegenheitspflicht. Deshalb gibt es kaum neuere Studien, welche die Aufsichtsratsmitbestimmung gesondert betrachten. Einen innovativen Ansatz wählt der neue Mitbestimmungsindex, den Forscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) gemeinsam mit der Hans-Böckler-Stiftung entwickelt haben. Ein erstes Ergebnis: Mitbestimmte Unternehmen engagieren sich stärker in der dualen Ausbildung und tun damit mehr für ihre Zukunft: Link.

Arbeitnehmervertreter bringen zusätzliche Perspektiven ein
Eine explorative Studie von Wirtschaftswissenschaftlern der Universität Tübingen kommt zu dem Ergebnis, dass Arbeitnehmervertreter zusätzliche Perspektiven in die Aufsichtsratsarbeit einbringen. Auch Vertreter der Kapitalseite empfinden das als Bereicherung: Link

"Das Wettbewerbsranking des World Economic Forum bestätigt,
dass zu den zehn innovativsten Ländern weltweit vier Länder mit umfangreicher Unternehmensmitbestimmung gehören", sagt Prof. Dr. Anke Hassel von der Hertie School of Governance. "Unter den zehn innovativsten Ländern in Europa haben sieben Länder die Unternehmensmitbestimmung." Das sei kein Zufall, betont die Wissenschaftlerin: "Vielmehr zeigen diese Befunde, dass das europäische Sozialmodell trotz Globalisierung und trotz Liberalisierung der Finanzmärkte seine Vorreiterposition im Bereich Innovation und Wohlstand nicht verloren hat."

Die Wirkungen der betrieblichen Mitbestimmung durch Betriebs- und Personalräte
Deutlich besser erforscht sind . Studien zeigen, dass ihr Einsatz für die Interessen der Beschäftigten und bessere Arbeitsbedingungen auch dem Unternehmen insgesamt Vorteile bringt. Da Betriebsräte in großen Unternehmen auch in den Aufsichtsräten vertreten sind, sind die Effekte der Mitbestimmung in Betrieb und Unternehmen systematisch oft nur schwer zu trennen und sollten insgesamt betrachtet werden. Beispielsweise griffen bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise 2008/2009 durch Arbeitszeitverkürzung beide Ebenen ineinander. Mehr dazu auf Seite 9 des Sonderheftes von Böckler Impuls: Link. Auf Seite 10 des Sonderheftes finden Sie Informationen zu einer Studie von Forschern des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. Ihr Ergebnis: Firmen mit betrieblicher Mitbestimmung sind produktiver. Einen etwas älteren umfassenden Forschungsüberblick zum Thema erschließt der folgende Artikel: Link.

Weitere Befunde:
Mitbestimmte Unternehmen betreiben häufiger eine familienorientierte Personalpolitik: Link. Oder: Azubis fallen in Unternehmen mit Betriebsrat seltener aus:Link

Herausforderungen:
Die deutsche Mitbestimmung ist kein Solitär in Europa; in 18 von 28 EU-Mitgliedsstaaten und in Norwegen haben Arbeitnehmervertreter das Recht, im Aufsichts- oder Verwaltungsrat mitzuentscheiden: Link. Und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker lobt: "Das Mitbestimmungsgesetz hat Jubiläumswünsche mehr als verdient. Ich möchte vor allem den Gewerkschaften gratulieren. Sie erfüllen den Gesetzestext mit Leben und wenden die Kardinaltugenden der sozialen Marktwirtschaft ganz konkret in der Praxis an. Zu einer Wirtschaft, die den Menschen dient, gehört der faire Ausgleich der Interessen zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Die Mitbestimmung ermöglicht genau diesen Dialog. Sie macht Arbeitnehmer zu echten Mitarbeitern, die sich einbringen und Verantwortung übernehmen. Das mag manchmal mühsam sein, aber es lohnt sich, weil alle davon profitieren. Genauso müssen wir auch die neuen Herausforderungen der Globalisierung anpacken und die soziale Marktwirtschaft von morgen gestalten. Die von mir geleitete Europäische Kommission hat deshalb einen europaweiten Dialog zur Schaffung einer sozialen Säule eröffnet, womit wir vor allem auch die Arbeitnehmerrechte stärken wollen. Ich lade Sie herzlich ein, daran teilzunehmen und so auch in Europa mitzubestimmen."

Europäisches Recht und EuGH und Mitbestimmung
Gleichwohl stellen der europäische Rechtsrahmen und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die Partizipation der Beschäftigten vor Herausforderungen. Das gilt insbesondere für neue europäische Rechtsformen. Im Zusammenwirken mit Rechtslücken in der deutschen Mitbestimmungsgesetzgebung bieten sie Unternehmen Schlupflöcher, um ihren Beschäftigten Mitbestimmungsrechte vorzuenthalten.

Unternehmen, die sich der Mitbestimmung entziehen
So entziehen sich etliche "junge" Unternehmen und auch einige etablierte Platzhirsche, vor allem im Einzelhandel, der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat. Das ist ein Grund dafür, dass seit 2002 die Zahl der paritätisch mitbestimmten Unternehmen von 767 auf 635 zurückgegangen ist. Zur Mitbestimmungsvermeidung werden verschiedene Gesetzeslücken und Konstruktionen genutzt: Die SE, Konstrukte mit ausländischen Unternehmensrechtsformen oder Stiftungen. Rund 800.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland werden dadurch um die paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat gebracht. Wie Unternehmen vorgehen und welche Reformen dagegen helfen würden, zeigt eine aktuelle Analyse: Link
Auf einer rechtspolitischen Tagung der Hans-Böckler-Stiftung haben sich dazu unter anderem Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles und Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer positioniert. Eine Dokumentation finden Sie hier: Link

Globalisierung und Mitbestimmung
Dabei hat die Mitbestimmung das Potenzial, international zu wirken und zu einer nachhaltigen Gestaltung der Globalisierung beizutragen. Mitbestimmung beeinflusst positiv, dass Unternehmen soziale Verantwortung übernehmen, zeigt eine Studie: Link. "Wir müssen zeigen, dass die Arbeitnehmervertreter weit über die Grenzen Deutschlands hinaus eine globale Verantwortung entlang von Lieferketten und Investitionen wahrnehmen, ebenso wie für die Verbreitung guter Arbeitsbedingungen und Mindeststandards, die für uns längst eine Selbstverständlichkeit sind", sagt Reiner Hoffmann, Vorsitzender des DGB und des Vorstands der Hans-Böckler-Stiftung im aktuellen Interview: Link

Jubiläumsveranstaltung am 30. Juni im Deutschen Historischen Museum Berlin
Bei der Veranstaltung, die um 18.30 beginnt, sprechen Bundespräsident Joachim Gauck, Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer, der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann und Edeltraud Glänzer, stellvertretende Vorsitzende der IGBCE.
Das komplette Programm finden Sie hier: Link

Journalistinnen und Journalisten können sich noch bis zum 27. Juni, 18 Uhr, per E-Mail anmelden: presse@boeckler.de. Bitte geben Sie in Ihrer Anmeldung auch das Medium an, für das Sie berichten, sowie Geburtsdatum und Geburtsort.


Viele Grüße aus der Hans-Böckler-Stiftung
Rainer Jung
Abteilungsleiter Öffentlichkeitsarbeit und Transfer
Pressesprecher

Link: AGG-Beschwerdestelle+Mitbestimmung d. Betriebsrats
Quelle: Hans Böckler-Stiftung