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Kann es Wirtschaftsberatern um DIE ALTEN gehen?

14.12.2015 - von Diabetes-Rhein-Erftkreis

Am 1.12.2015 brachte die Deutschen Presse-Agentur (dpa) die analytisch eher magere Mitteilung, dass es in eine Studie der internationalen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) mit dem Titel: "Das Gesundheitssystem geht an den Bedürfnissen alter Menschen vorbei" um die Interessenlage der Senioren ginge.

Verfasser der Studie ist Michael Burkhart, PwC-Partner in Frankfurt am Main. Der PwC-Autor leitet deutschlandweit den Geschäftsbereich Gesundheitswesen & Pharma bzw. ist Ansprechpartner für Bilanzierungsfragen im Gesundheitswesen und damit eher Wirtschaftsprüfer und -experte.

Inhaltlich wird ein Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen bei der Versorgung älterer Menschen reklamiert. Dieser beginnt allerdings mit einer primär durch den Blickwinkel der Kliniken- und Krankenkassen getrübten Analyse: Der vorgeblich klinische Fokus auf das Kurieren von Krankheiten ginge in der Tat an den Bedürfnissen vieler Senioren vorbei.

Die versorgungs-medizinische, pflegerische und teilhabe-fördernde Realität sieht aber völlig anders aus, weil hier überwiegend Hausärzte, ambulante und stationäre Pflegedienste bzw. Familienverbünde diese Herkulesaufgabe stemmen. Fachärzte, Fach- und Rehakliniken sind daran biografisch gesehen nur zu einem Bruchteil beteiligt.


Ökonomisch und juristisch vorbelastete, fachliche Expertisen verkennen in der Regel die exponierte Bedeutung einer lebenslangen hausärztlichen Allgemein- und Familienmedizin ("von der Wiege bis zur Bahre"): Da dies im universitären, wissenschaftlich geprägten Medizinbetrieb der Krankenhäuser von der Uniklinik bis zum Kreiskrankenhaus gar nicht adäquat abgebildet bzw. wirtschaftlich und soziokulturell nicht reflektiert wird. Dies ist ein krasser Gegensatz zur etablierten „Family Medicine“ der englischsprachigen und von dort beeinflussten Länder Großbritanien, Frankreich, USA, Südafrika bzw. Beneluxstaaten und Skandinavien.

Dort ist die ärztliche Inanspruchnahme gerade bei Älteren quantitativ und qualitativ erheblich geringer. Viel seltener sind Facharzt- und Klinikbesuche bzw. stationäre Aufenthalte. Denn es gibt ein abgestuftes, bedarfsadaptiertes Netzwerk bio-psycho-sozialer Hilfen, gemeindenaher Psychiatrie-, Geriatrie und Pflegeeinrichtungen und damit sind die ärztliche Interventionsnotwendigkeiten begrenzt.

Die Analyse von Michael Burkhart (PwC) ist übrigens so neu nicht: Bereits im Oktober 2015 hat PwC International eine fast gleichlautende Publikation mit dem Titel "We are entering a new era of health – New Health" kreiert.
Da sind die Schlagzeilen bei PwC-Deutschland wohl nur übersetzt worden:

Integrierte Pflege statt stationärer Aufenthalte
- Feste Sätze pro Person lassen Gestaltungsspielräume
- New Entrants und Digitalisierung eröffnen neue Möglichkeiten
- Zufriedenheit der Bewohner als Maßstab für Vergütung als "benchmarking" mit "you get, what you pay for" als “new health”?

Als Realitätsverkennung kann allerdings folgende zentrale PwC-Forderung gelten: „Um das Gesundheitssystem angesichts des demografischen Wandels dauerhaft zu finanzieren, empfehlen die PwC-Experten alternative Vergütungssysteme wie beispielsweise pauschale Vorauszahlungen pro Versichertem (Capitation)“. Das bedeutet im Klartext für unsere deutschen Kranken- und Pflegeversicherungssysteme – egal, ob gesetzlich einkommensabhängig oder privat pauschal, GKV oder PKV bzw. pflegeversichert: Was die Versicherten als Vertrauensvorschuss bisher lebenslang vorfinanziert und eingezahlt haben und wo Rücklagen gebildet wurden, soll völlig auf den Kopf gestellt werden?
O-Ton PwC: „Um das Gesundheitssystem angesichts des demografischen Wandels dauerhaft zu finanzieren, empfehlen die PwC-Experten alternative Vergütungssysteme wie beispielsweise pauschale Vorauszahlungen pro Versichertem (Capitation)“. Das wäre nichts anderes als die völlig unsinnige und unlogische „Kopfpauschale“, die in der Renten-, Kranken- und Sozialversicherung schon mehrfach krachend gescheitert ist.

Unter anderem, weil ein Azubi, ein Mindestlöhner, ein Frührentner oder eine Rentnerin, die auch noch putzen gehen muss, in die Sozialversicherungssysteme nicht so viel einzahlen können, wie ein Bankdirektor oder Firmen-Vorstand.

Quelle: Mail an die Redaktion

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