Diskriminierung melden
Suchen:

70 Jahre Zeit zum Nachdenken haben nicht gereicht

08.05.2015 - von Hartmut Jeromin

Erneut nehmen wir Anlaß, über dieses Ereignis, das immer noch der 2. Weltkrieg genannt wird, nachzudenken. Auch besonders über seinen Beginn und sein Ende und was daraus folgte…

Wenn ich in den Saal schaue, sehe ich lauter betagte Menschen,die als Zeitzeugen fungieren können. Ich selbst bin 1941 geboren, mußte mit der Mutter und 2 Schwestern schon 1944 aus der Heimat Ostpreussen, aus der östlichsten deutschen Stadt, Stallupönen,auf eine Wanderschaft ohne Rückkehr. Aber wir hatten auch Glück, kamen in eine unzerstörte Kleinstadt und schon im August 45 erschien ein Mann im Treppenhaus, unser Vater. Viele Dresdener aber hatten keine Wohnung mehr und sehr viele Deutsche keinen Vater. Unsere Familie verlor 1946 eine Tante, die starb an einer Sepsis, der Großvater schloss noch in Ostpreussen die Augen, mehrere junge Frauen tauchten nie wieder auf, sie galten als „vermißt“.

Hannes Richter u. a. sagten mir, daß es begann mit dem Einflüstern: Wir sind wieder wer, sind Herrenmenschen, wir müssen/dürfen das jetzt so machen mit den anderen. Und die raffinierte Ausnutzung von Erkenntnissen der Persönlichkeits- und Massenpsychologie durch den „Schaumschläger“ hatte dann auch verheerende Folgen! Gepaart mit intensivem Verfolgungsdruck waren die Wirkungen so tief, daß es für sehr viele Menschen unmöglich wurde, die Folgen dieses verordneten Wahnsinns real abzuschätzen. So fielen den Anhängern des „Gröfaz“ oft die Waffen erst fünf Minuten nach Zwölf aus den Händen oder mußten ihnen gar aus den Händen geschlagen werden!

Es stimmt auch immer noch: Dieser wie andere Kriege waren kein Naturereignis. Und der Satz: Wer Hitler wählt, wählt den Krieg, stimmte auch! Es ist auch kein Trost, wenn man feststellen muß, dass Kriege aus Gründen der Religion, der Weltanschauung, der Revanche, des Angriffs oder der Verteidigung angestiftet und mit Knüppel, Lanze, Schwert, Pfeil und Bogen, Schusswaffen, Bomben, Raketen oder Drohnen und Giftgas sowie Bakterien und Viren geführt und stets von Propaganda zur Rechtfertigung des eigenen Tuns und Verdammung des gegnerischen Handelns begleitet wurden. Weil: Krieg ist Krieg!
In unserem Raum waren es u.a. der 30-jährige Krieg, die schlesischen Kriege, die napoleonischen Kriege, der deutsche Krieg 1866, der deutsch-französische Krieg 1870/71, der 1. Weltkrieg, der 2. Weltkrieg…auch Amerika führte jede Menge kleine und größere Kriege bis in unsere Zeit, besonders im Hinterhof Lateinamerika und auf der ganzen Welt.

Von einigen dieser Ereignisse stehen noch die Denkmäler im Lande herum…die Folgen des letzteren überschatteten mein gesamtes Leben. Ich denke da an 4 Mio zerstörte Wohnungen, 14 Mio Umsiedler, 400 Mio m /2 Schutt, 34000 km zerstörte Schienenwege, Lebensmittelmangel, Nebenwährungen wie Zigaretten, Schokolade, Kaffee oder Strümpfe, fehlende Lehrer, Teilung Europas und kalter Krieg mit jeder Menge Propaganda, hüben wie drüben, ja Teilung der Welt und weitere Kriege…und bis heute noch sind Bomben in der Dippser Heide zu entschärfen, gibt es noch Bunkerbauten und werden Wiedergutmachungen gefordert und gezahlt. Und es wird gedacht an den Krieg als Ganzes und seine Teilaspekte, wie KZ-Befreiung, 20. Juli, Stalingrad, Leningrad, Kapitulation/ Befreiung. Und in Kirchen hängen Tafeln mit Namen der Gefallenen, es gibt Gedenkstätten und Friedhöfe, teils sogar für Feind und Freund…

Da ist es sicher berechtigt und auch heute noch notwendig und immer wieder- nach den Ursachen zu fragen! Deutschland war um die Jahrhundertwende die weltweit führende Wirtschaftsmacht, d.h. das Land brauchte Rohstoffe und Absatzmärkte. Also, wie schon so oft bei lokalen und globalen „Ungleichgewichten“ i.w.S. : Krieg! Und alle machten mit! Denn die Finanzwirtschaft und die Staatsschulden verlangten, diese Probleme jeweils auf dem Rücken anderer zu lösen! Und der Nationalismus blühte auch im nicht reformfähigen preußisch-deutschen Obrigkeitsstaat. Und der kleine Gefreite sammelte, was in ihm davon seit seiner Jugend hängenblieb, mischte mit Sozialdarwinismus, Rassismus, etwas Nitzsche und strickte daraus seine „Ideologie“ von Lebensraum, Blut und Boden, Herrenrasse und Untermenschen, Führer und Gefolgschaft. In Bayern war wohl der Nährboden dafür, zunächst blieb es eine lokal beschränkte „Bewegung“, die vor allem auch vom Revanchegedanken und Ressortiments gegen die Weimarer Republik lebte.

Die Wirtschaft aber nahm nun bei der Suche nach Wegen aus den Nachkriegskrisen die Nazis teils billigend, teils begrüßend hin. Hitlers Propaganda-Instrumentarium war gereift und seine Falle schnappte zu. Die ersten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen folgten, Straßen, Autobahnen, Kasernen und Flugplätze wurden möglichst in Handarbeit gebaut, sogar Prora auf Rügen. Die Großindustrie bekam Staatsaufträge. Bezahlt wurde mit Mefo-Wechseln (Metallforschung!), die Idee stammte von Hjalmar Schacht, Wirtschafts- und Finanzminister der Nazis. Diese sollten dann von der Reichsbank in 5 Jahren ausgezahlt werden. Hitlers 4-Jahresplan zur direkten Kriegsvorbereitung lief an: Rüstung, Rüstung, Rüstung! Eisen, Kohle Chemie! Und Stahlveredler konnten man nur in Portugal kaufen aber nur gegen Schweizer Franken und die wiederum bekam man nur gegen Gold ! Hier wirkten mit das Reichfinanzministerium und das Auswärtige Amt, das waren auch keine „Pastorentöchter“! 1936 wandelte dann Walter Funk die Mefos in sehr langfristige „Reichsschuldverschreibungen“ um, d.h., die Tilgung wurde gestreckt. Trotzdem machten die Großkonzerne enorme Gewinne, z.B. die IG Farben AG. Wie aber der kleine Unternehmer zu seinem Geld kam bei dieser Finanzierungspraxis, blieb mir ein Rätsel. Das ging nur gut bis Frühjahr 1939: Geld , Devisen, Rohstoffe und Arbeitskräfte wurden nun knapp. Es zeichnete sich die finanzpolitische Staatspleite, gar eine erneute Inflation ab. Hitler hat das erkannt und deshalb seinen Generälen aufgetragen, den Krieg zunächst gegen Polen und dann die weiteren unbedingt zu gewinnen. Das taten die dann auch sehr „gewissenhaft“, denn nur so gelangte Deutschland an die Ressourcen der überfallenen Länder und auch an Raubgold für die Schweiz. Dieses Vorgehen hatte Hitler genau so geplant und seine gesamte Ideologie und Propaganda darauf ausgerichtet, und deshalb wurde der Krieg so durchgeführt: Als Raub- und Vernichtungskrieg, letztlich gar als „totaler Krieg“! Und sein RFM organisierte das mit, ohne wenn und aber, sowohl bei der Besteuerung, den Schulden durch Kredite, der Ausplünderung, dem Raub; sein AA, besonders die „Diplomaten“, waren Mitwisser und Mittäter, sie erstellten z.B. in den besetzten Ländern Listen für die „Endlösung“, für die Behandlung von Kriegsgefangenen, die zwangsverpflichteten Arbeitskräfte, auch für die Eutanasie. Besonders intensiv in Serbien, Griechenland und Ungarn. Ganz zu schweigen von Polizei, Justiz, Bahn und „Reichsnährstand“ sowie NSDAP-Organe.

Wie bekannt, wurde Aufrüstung und Krieg zwangsfinanziert. Die Sparbücher meiner Eltern existieren noch. Auch der Nachweis für die Anzahlungen auf einen Volkswagen, auch sie haben geglaubt.
Das kostete den Staat 1942 140 Mrd. RM, aber schon 1933- 1939 wurden 20% des BSP in den Militärhaushalt gelenkt (ca. 62 Mrd. RM), bis 1945 dann nochmals 1471 Mrd. RM. Davon aber nur 200 Mio RM für das Zivile. Die gesamten Kriegskosten sind schwer zu beziffern, aber er nahm in den Kriegsjahren im Inland nur 190 Mrd. RM an Lohn- und Körperschaftssteuern ein, das Defizit wurde zunächst von den Banken und Sparkassen gedeckt, aber dann auf die besiegten und befreundeten Länder abgewälzt als Besatzungskosten (84 Mrd. RM), Handelsbilanzüberschüsse (31 Mrd. RM) und 124 Mrd. RM unbezahlte Leistungen an die Wehrmacht und natürlich Raubgold…und im letzten Kriegsjahr betrug das Haushaltsdefizit 100%!- Als Reparationen wurde das dann den Deutschen nach dem Krieg präsentiert.

Man sieht: Auch Krieg funktioniert nur mit Geld, ob gestohlen oder geborgt. Die Rechnung wird immer präsentiert. Auch heute noch. Für uns heute als Einkommenssteuer, Mehrwertsteuer, Solidaritätszuschlag. International in Form von Exportüberschüssen von anderen kassiert, bes. nach der EU-Osterweiterung zahlten ostwärts immer neue Mitglieder in unsere Kassen…auch die Ukraine sollte da gerade mit hineingezogen werden…

Die große Plünderung also ermöglichte erst den Krieg: Juden verfügten 1933 in Deutschland über 16 Mrd. RM als Vermögen. Davon wurden nur 25% ins Ausland gerettet, 75 % also von den Nazis geplündert. Am Beispiel eines jüdischen Arztes: Vor seiner Emigration1939 musste er 57000 RM „Judenvermögensabgabe“, 40000 RM „Reichsfluchtsteuer“ und 200000 RM „Sicherungsanordnung“ zahlen, um dann mit 10 RM „Startkapital“ ins Ausland entlassen zu werden! Juden wurden vor ihrer Emigration oder Deportation erst „finanztot“ gemacht.

Die Deutschen spürten davon zunächst relativ wenig, es wurde mit Zulagen für die Familien der Kriegsteilnehmer ruhig gestellt, auch mit KDF. Aber dafür mußten z.B. Polen, Franzosen und Niederländer verarmen, denn 70% des deutschen Sozialproduktes wurden aus den okkupierten Ländern gepresst. Vom Finanzministerium, von den Banken, von Unternehmen, von Verbänden, von der Partei, von „Reichstellen“, von Personen…
Und so nahm das Ereignis seinen Lauf mit Menschenvernichtung, Kulturvernichtung und Naturvernichtung infolge massenhafter Abrichtung von Menschen zu Werkzeugen eines „Führerwillens“! Bis zum bitteren Ende, egal wie man das bezeichnen möchte.

Natürlich verdient auch immer jemand, denn das ausgegebene Geld erscheint auch wieder irgendwo, als Lohnsumme und Gewinn! Das wird aber nicht so an die große Glocke gehängt und die Staatsschulden verdampfen nicht einfach so, der kleine Mann muß ran, für ihn kommt das dicke Ende immer hinterdrein, z.B. als Reparationsforderungen, welche dann den Krieg nochmals verteuern- für den Verlierer. Der Sieger holt sich, was zu holen ist.
Im Übrigen versucht man heute in internationalen Krisen nach subtileren Lösungen, sie wirken aber ähnlich wie Krieg, z.B. wenn wieder andere bezahlen sollen!

Aber wieso titelt der „Eulenspiegel“ im Mai 2015: „Hurra, wir kriegen einen schönen Krieg“? Er bezieht sich dabei auf die Initiative des EU-Präsidenten, eine Europaarmee zu installieren! Eine Nato reicht also nicht. Und ihm assistiert ein CDU-Mann im Europäischen Parlament, Michael Gahler: “Vor dem Aufbau einer gemeinsamen Armee kann man schon gemeinsam planen, forschen, entwickeln, ausbilden und Einsätze führen“. So werden also die Europäer nun doch noch ein einzig Volk aus Blut und Eisen? Und dann braucht diese Armee nur noch einen Kriegsgrund und der wäre z.Zt. gar nicht so schwer zu finden, der liegt doch praktisch schon in der Luft, man kann ihn förmlich riechen, oder? Denn der Zweck heiligt die Mittel? Und erstmalig, seit vielleicht Katharina der Großen wieder eine weibliche Staatsführung und im Ministerium für den Krieg eine weitere Dame an den Hebeln der Macht, können die diesem Wahnsinn abhelfen? Wollen sicher, aber können? Deshalb letztlich hier nun die entscheidenden Fragen als Lehren aus dem Krieg: Kann sich solch eine Katastrophe wiederholen?
War dieser Krieg nur eine Art schrecklicher Abweichung vom Normalen?

Aber die wirkliche Frage ist nun nicht mehr, ob ein erneuter Weltkrieg möglich ist, sondern wann er stattfinden wird, wieviel Zeit bis dahin noch bleibt…und endlich: Kann man irgendetwas tun, um dies zu vermeiden?

Denn: Die Welt ist ein Pulverfass, die herrschenden Klassen, Eliten, Staatsleute sind nicht in der Lage ihn aufzuhalten…
Damit möchte ich euch zum Nachdenken nach Hause schicken! Quasi Nachspielzeit! Denn 70 Jahre Nachdenken haben wohl doch nicht gereicht.

Ich danke euch, das ihr mir zugehört habt, besser ist mir dabei nicht geworden…

-------
Vortrag von Hartmut Jeromin am 23.4.2015 auf der entsprechenden Veranstaltung des DGB in Dresden vor ca. 100 Zuhörern.

Quelle: Hartmut Jeromin