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Schlechte Pflege nur ein Einzelfall?

Hoexter, 2012 Foto: H.S.

30.06.2014 - von Gerd Feller

In Bremen ereignete sich wieder einmal ein trauriger Fall von unsachgemäßem Umgang mit alten Menschen. (Der Weser-Kurier berichtete am 05.Juni 2014, S.7) Eine 92jährige Frau lag seit dem frühen Morgen hilflos mehrere Stunden hinter ihrer Wohnungstür, obgleich regelmäßig gegen 10 Uhr vormittags ein ambulanter Pflegedienst erscheint, um der alten Dame beim Anziehen zu helfen und nach dem Rechten zu schauen. Da nach dem Klingeln die Tür nicht geöffnet wurde, fuhr die Mitarbeiterin des Pflegedienstes wieder weiter, ohne über diesen Tatbestand mal nachzudenken und ohne jemand zu informieren, was sie jedoch pflichtgemäß hätte tun müssen und tun können. Über die Existenz eines Hausnotrufs wurde zwar nichts berichtet, aber allein auf den sollte man sich auch nicht verlassen. Wer weiß, ob die Frau ihn noch hätte bedienen können.

Es handelte sich also um einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Spielregeln im Pflegedienst, der für Betroffene lebensgefährlich werden kann und für Angehörige mit Vertrauensverlust gegenüber den Pflegediensten und mit Ärger und Ängsten verbunden ist. Besonders ärgerlich ist jedoch, dass jedesmal von den zuständigen Trägern der in einen solchen Fall verwickelten Pflegeinstitutionen der Vorfall heruntergespielt wird mit dem Hinweis: „Das ist aber nur ein Einzelfall!“ So war es hier auch.

Die jüngsten Erfahrungen der Bremer Seniorenvertretung widersprechen dieser abgeschmackten Behauptung. Allein im vergangenen Mai erreichten uns zwei massive Klagen wegen
heftiger Mängel in der stationären Pflege. Sie waren gegen Heime gerichtet, mit denen wir bereits wegen gewisser Missstände zu tun hatten. Zwei weitere Klagen betrafen die ambulante Pflege und zwei den altersdiskriminierenden Umgang mit sehr alten und alleinstehenden Menschen.

Aus der Sicht der verantwortlichen Unternehmen sind das alles nur Einzelfälle. Gewiss, das kann man so sagen, aber diese Einzelfälle addieren sich allmählich zu einem Gesamtbild der Pflegelandschaft, das von ziemlich dunklen Farben bestimmt wird, und in der Wahrnehmung des Betrachters werden allmählich die helleren Farbtupfer, die es durchaus gibt, auch nur noch zu Einzelfällen. In den letzten Jahren musste sich Bremen mehrfach mit Problemfällen in der Pflege alter Menschen beschäftigen. Die aufgefallenen Institutionen haben „mea culpa“ gerufen und Abhilfe versprochen.

Um die Qualität der Versorgung für Pflegebedürftige zu verbessern, entstanden sogar eine „Bremer Pflegeinitiative gegen den Fachkräftemangel“ und an der Bremer Hochschule ein Studiengang „Pflege und Gesundheitsmanagement“. Es wurde ein „Forum gegen Gewalt in der Pflege“ gegründet,und die Regierung in Berlin will endlich ab 2015 die schon viele Jahre geforderte Pflegereform in Gang bringen – und zwar mit Veränderung der Pflegestufen!! Da müssten wir doch für die Hilfsbedürftigen langsam mit einer rosigen Pflege- und Betreuungszukunft rechnen können, oder? Aber noch scheint sich die Pflegewirklichkeit zum Leid der Betroffenen gegenteilig zu entwickeln.

Da helfen wohl auch keine Schuldeingeständnisse, Änderung versprechende Reden oder Preisverleihungen für besonders gute Ideen, wie man angemessenes Pflegeverhalten bewirken könnte. Die rein ökonomisch denkende, auf Geschäft und Gewinn angelegte Pflegebranche will anscheinend in ihren Praktiken verharren, wie da sind: Rationalisierung jeder Art, Einsatz von möglichst wenigen qualifizierten Pflegekräften, geringe Löhne, intensivere Nutzung der Arbeitszeit, mangelhafte Kontrollen, eingeschränkte Leistung bei hohen Preisen. Stress und Fehler werden in Kauf genommen, und die Politik spielt mit. Jedenfalls steigt im Augenblick die Zahl der fragwürdigen Einzelfälle. Man sollte vielleicht doch seitens der drei staatlichen Gewalten (Legislative, Exekutive, Judikative)
konsequenter handeln und mehr zum Schutze hilfsbedürftiger Menschen tun.

Link: Szenen aus einem Bremer Pflegeheim
Quelle: DURCHBLICK Nr. 174 – Juli 2014

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27.06.2014: Szenen aus einem Bremer Pflegeheim
12.06.2014: Bundesverband Rehabilitation zum Pflegegesetzentwurf
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