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Praxisgebühr auch für ambulanten Notdienst!

20.10.2011 - von Gerd Feller

Da erreicht mich am 09.09.2011 ein Schreiben von einer RVR Rechtsanwaltsgesellschaft mbH aus Stuttgart. Sie vertritt die Kassenärztliche Vereinigung Bremen (KVHB) und weist mich darauf hin, dass ich für jedes Quartal, in dem ich ärztliche Leistungen in Anspruch nehme, eine Praxisgebühr von 10,-- Euro zu entrichten hätte. Das war mir durchaus
bekannt.

Aber ich wusste nicht, dass man auch im ambulanten Notfalldienst ohne Überweisung eine neue Praxisgebühr zahlen muss. Woher auch? Schließlich bin ich nur Patient
und kein Experte im Verordnungsdschungel unseres Gesundheitssystems.

Nun war ich Anfang März 2011 ausgerechnet an einem Sonnabend, wie das häufig so ist, zum Notfalldienst in das St. Joseph-Stift gefahren, weil ich plötzlich auf
einem Ohr nicht mehr hören konnte. Froh darüber, dass es sich nicht um einen Hörsturz handelte, sondern nur um eine Entzündung im Gehörgang, fuhr ich nach Hause zurück mit
dem Auftrag, mich beim HNO-Facharzt weiter behandeln zu lassen.

Weder die Fachkraft in der Notdienstzentrale des Krankenhauses noch der behandelnde Arzt haben mich darauf
aufmerksam gemacht, dass eine weitere Praxisgebühr fällig geworden war. Ich hatte ja auch schon einmal Anfang des Quartals beim Hausarzt bezahlt. Die Quittung dafür liegt vor.

Nun kam nach einem halben Jahr plötzlich dieses Rechtsanwaltsschreiben, das vom Stil her nur als Mahnung, nicht als freundliche Information verstanden werden kann. Eine klärende Kontaktnahme mit dem Anwalt wäre naheliegend gewesen, blieb jedoch unmöglich, weil keine Telefon- oder Faxnummer angegeben war. Es kam der Verdacht auf, dass hier eine Briefkastenfirma ihre Geldabzocke treiben könnte. Deshalb rief ich den Auftraggeber KVHB an, um dort
nachzufragen, was es mit der Mahnung auf sich habe. Dem Gespräch durfte ich Erstaunliches entnehmen:

• Mein Verdacht, hier sei vielleicht eine zweifelhafte Abzocker-Ich-AG am Werke wurde schnell beseitigt. Die Anwaltsfirma existiert und ist seriös.
• Im Notfall wird tatsächlich eine weitere Praxisgebühr fällig, wenn keine ärztliche Einweisung vorliegt. Allerdings wohl nur im selbstbestimmten Notfall; denn für
zurückliegende Notfalleinlieferungen durch ärztlichen Notdienst/Feuerwehr, selbst schon erlebt, habe ich bisher keine Praxisgebühr entrichten müssen.
• Im Gegensatz zu den Arztpraxen weigern sich die Krankenhäuser aus Kostengründen, diese Gebühr selbst
einzufordern. Das heißt nach meiner Erfahrung, der Patient wird nicht informiert und erhält auch keine zeitnahe
Zahlungsaufforderung.
• Deshalb kümmert sich die KVHB um die Eintreibung, vallerdings erst recht spät, nicht direkt und auch nicht über die zuständige Krankenkasse, sondern über das o.a. Rechtsanwaltsbüro, das wohl bundesweit agieren muss. Die KVHB führt das Geld dann an die Krankenkassen ab.
• Das bleibt nicht ohne Folgen. Ich bin wohl nicht der Einzige, der sich über das Verfahren beschwert. Die Dame an der KVHB-Auskunft klagte jedenfalls darüber, dass sie sich ständig die empörten Anrufe gefallen lassen müsse.

Ja, liebe KVHB, so ist das, wenn man es mit einem kaum noch durchschaubaren Gesundheitssystem zu tun hat und die einzelnen Institutionen, zumindest verwaltungsmäßig, letztlich machen können, was sie wollen. Es heißt immer wegen der Verwaltungskosten, die aber letzten Endes bei
solchen Machenschaften höher liegen. Das kurze Abkassieren im Büro des Krankenhauses wäre preiswerter gekommen. Wer bezahlt die zusätzlichen Ausgaben für Mahnungsschreiben
und Rechtsanwaltsgebühren? Die Krankenhäuser, die KVHB oder die ortsansässigen Krankenkassen? Sicherlich
nicht!

Das alles kann mir nicht egal sein, weil ich wahrscheinlich indirekt über meine Kassenbeiträge zur Kasse gebeten werde, und auch deshalb nicht, weil ich noch einer Generation angehöre, die sich korrekt verhalten möchte und allergisch auf solche Rechtsanwaltsbriefe reagiert, mit denen Versäumnisse angemahnt werden, derer man sich nicht bewusst ist und die man für sich auch gar nicht akzeptieren würde, die aber trotzdem Schuldgefühle
auslösen.

Liebe Seniorinnen/Senioren, zeigen Sie als Patienten Zivilcourage, liefern Sie sich nicht dem System aus, fordern Sie nicht nur bei medizinischen, sondern auch bei bürokratischen Absonderlichkeiten klare Informationen
und kritisieren Sie fragwürdige bürokratische Praktiken im Gesundheitswesen. Informieren Sie bitte auch die Senioren-Vertretung darüber.

Link: Gesundheitskarte: Versicherte zahlen…
Quelle: Durchblick 10.2011

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