15.10.2010 - von SPD-Parteivorstand
Das Bündnis für Rentenbeitragszahler und Rentner e.V., die Aktion Demokratische Gemeinschaft e.V., die Betriebsrentner e.V. und das Büro gegen Altersdiskriminierung haben einen gemeinsamen Brief an den Parteivorstand der SPD wg. der geplanten Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre geschrieben. Am 8. Oktober kam die Antwort.
Sehr geehrter Herr Eicher, vielen Dank für Ihre E-Mail, die uns am 23.09.2010 erreicht hat. Sicherlich haben Sie Verständnis, dass die SPD-Generalsekretärin, Frau Andrea Nahles und der SPD-Parteivorsitzende, Herr Sigmar Gabriel, nicht alle an sie gerichteten Zuschriften persönlich beantworten können. Sie haben mich gebeten, auf Ihre Nachricht zu antworten.
Es ist angesichts der Bevölkerungsentwicklung unumstritten, dass eine Anhebung des Renteneintrittsalters geeignet ist, den Beitragssatzanstieg in der gesetzlichen Rentenversicherung in den nächsten Jahrzehnten zu begrenzen. Der Arbeitsmarkt wird in wenigen Jahren grundlegend anders aussehen, und bereits heute zeichnet sich ein Fachkräftemangel ab. Es ist daher richtig, dass ältere Menschen möglichst lange erwerbstätig sein sollten, um den Wohlstand zu sichern.
In den Koalitionsverhandlungen im Herbst 2005 hat die SPD daher der Forderung von CDU/CSU, die Regelaltersgrenze anzuheben, zugestimmt. Mit dem „Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung“ (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) ist 2007 eine schrittweise Anhebung des Rentenalters um zwei Jahre auf 67 Jahre – beginnend 2012 – gesetzlich geregelt worden. Die Regelaltersgrenze sollte schrittweise um einen Monat, ab 2024 um zwei Monate pro Jahr erhöht werden, so dass erst ab 2029 das gesetzliche Renteneintrittsalter bei 67 Jahren läge. Betroffen wären die Geburtsjahrgänge 1964 und jünger; bis einschließlich 1963 Geborene würden die Regelaltersgrenze entsprechend früher erreichen.
Allerdings war für die SPD immer klar, dass eine Anhebung der Altersgrenzen nicht isoliert erfolgen kann: Sie muss durch arbeitsmarktpolitische Regelungen begleitet werden, damit ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tatsächlich bis zum Erreichen des Renteneintrittsalters erwerbstätig sein können. Und: Die SPD hat durchgesetzt, dass die Bundesregierung durch eine sogenannte ‚Überprüfungsklausel‘ ab 2010 verpflichtet ist, alle vier Jahre über die Entwicklung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu berichten. Sie muss einschätzen, ob die Anhebung der Regelaltersgrenze unter Berücksichtigung der Entwicklung der Arbeitsmarktlage sowie der wirtschaftlichen Situation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vertretbar erscheint und die getroffenen gesetzlichen Regelungen bestehen bleiben sollen ( § 154 Abs. 4 Satz 1 SGB
VI).
Diese Überprüfungspflicht haben wir zum Anlass genommen, die Beschäftigungssituation der rentennahen Jahrgänge der 60- bis 64-Jährigen zu überprüfen: Hier zeigt sich, dass der Anteil der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Alter von 60 bis 64 von 10,7 Prozent im Jahr 2000 auf 21,5 Prozent im Jahr 2009 gestiegen ist. Dieser Anstieg ist deutlich und zeigt, dass eine bessere Beschäftigungssituation Älterer möglich ist. Trotzdem ist der Wert noch unbefriedigend: Wenn rund 80 Prozent der Menschen über 60 Jahre nicht mehr sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, so bedeutet
dies, dass die Zahl an Arbeitsplätzen für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht ausreichend ist. Eine Anhebung des Renteneintrittsalters würde dann wie eine Rentenkürzung wirken. Angesichts eines künftig ohnehin abgesenkten Rentenniveaus drohen damit zusätzlich empfindliche Einbußen in der Alterssicherung. Die SPD ist daher der Auffassung, dass in den nächsten Jahren die Voraussetzungen noch nicht stimmen, um mit der schrittweisen Anhebung des Renteneintrittsalters zu beginnen.
Das Präsidium und der Parteivorstand unserer Partei haben hierzu den Beschluss „Gut und sicher leben: Perspektiven schaffen für Arbeit und sichere Altersvorsorge“ gefasst, in dem die sozialdemokratischen Anforderungen an die Anhebung des Renteneintrittsalters formuliert werden:
• Ein Einstieg in die Rente mit 67 ist erst dann möglich, wenn mindestens 50 Prozent der 60- bis 64-Jährigen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.
• Bis dieses Kriterium erreicht ist, müssen die Anhebung ausgesetzt und die realen Arbeitsmarktbedingungen alle vier Jahre neu überprüft werden.
• Zudem müssen Möglichkeiten zu flexiblen Übergängen aus dem Erwerbsleben in die Rente gegeben sein.
Wir wollen den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen damit deutlich zeigen, dass wir unsere eigene Überprüfungsklausel ernst nehmen und mit konkreten Forderungen verbinden. In der öffentlichen Diskussion wird häufig die Regelaltersgrenze in Frage gestellt und gefordert, stattdessen einen abschlagsfreien Rentenzugang an eine bestimmte Zahl an Versicherungsjahren – z. B. nach 45 Jahren – zu binden.
Dieser Präsidiumsbeschluss bildet aber nur den Rahmen für das, was wir uns jetzt wünschen: Eine offene Diskussion innerhalb der Partei, mit Bürgerinnen und Bürgern und mit Gewerkschaften und anderen Verbänden darüber, wie wir auch in Zukunft eine sichere Altersvorsorge gewährleisten können. Eine Kommission unter der Leitung von Ministerpräsident Kurt Beck, Olaf Scholz, Elke Ferner und Ottmar Schreiner wird diesen Diskussionsprozess bis zum ordentlichen SPD-Bundesparteitag 2011 begleiten und einen Beschluss vorbereiten. Wir werden Ihren Vorschlag daher der Kommission zur Kenntnis geben.
Freundliche Grüße
Marianne Hitzges
SPD-Parteivorstand
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Postanschrift:
SPD-Parteivorstand
Willy-Brandt-Haus
10911 Berlin
08.10.2010
Der gemeinsame Brief lautete:
Sehr geehrte Frau Nahles
sehr geehrter Herr Gabriel,
die SPD und das ganze Land treibt derzeit die Diskussion der Rente mit 67 um. Auch uns! Wir, das sind vier Partnerorganisationen die recherchieren und informieren zum Rentenrecht und alternative Vorschläge zur Altersversorgung in Deutschland machen. Sicherlich erhalten Sie derzeit viele gute und weniger gute Vorschläge zur Renten mit 67. Wir jedoch betrachten die gesetzliche Rentenversicherung nicht isoliert, sondern als eine Form von unterschiedlichen Altersversorgungen innerhalb eines Zwei-Klassen-System von solidarisch und unsolidarisch Versicherten.
Ein solches Zwei-Klassen-System, in dem Rechtsnormen unterschiedlich zur Anwendung gebracht werden können und somit für die Einen nicht gilt was für die Anderen selbst-verständlich ist, kann nicht gerecht sein und wird auch mehrheitlich von den Bürgerinnen und Bürgern als ungerecht empfunden. Die Einteilung der Bevölkerung in den unterschiedlichen Altersversorgungen erfolgt hierbei nach dem Ständestaat des 19. Jahrhunderts und kann als Feudalrechte im 21. Jahrhundert keine Berechtigung mehr haben. Aus dieser Erkenntnis ergeben sich für uns zwei Forderungen an die Politik, um die Alters-versorgung gerechter zu gestalten:
1. Ausgliederung aller versicherungsfremden Leistungen aus der Rentenversicherung welche die Rentenkassen sofort um ca. 30 Prozent ihrer Ausgaben entlasten würde. Im Gegenzug können die Bundeszuschüsse für diese Leistungen entfallen.
2. Einführung einer Bürgerversicherung auf der Grundlage solidarischem Handeln, nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip, für alle Bürger, alle Einkommen und ohne Beitragsbemess-ungsgrenze. Damit könnten die Beiträge für alle sinken.
Die „Steuerzuschüsse“ an die Rentenversicherung haben noch in keinem Jahr die versicherungsfremden Leistungen ausgeglichen. Damit subventioniert die Rentenversicherung die öffentlichen Haushalte mit Rentenbeitragsgeldern der Versicherten und nicht umgekehrt. Dies waren überwiegend Beitragsgelder der heutigen Rentnerinnen und Rentner aus ihrer aktiven Beschäftigungszeit. Damit haben diese schon mehr als jede andere soziale Gruppe in unserer Gesellschaft, zur Sanierung der öffentlichen Haushalte beigetragen.
Trotzdem belastet die derzeitige Rentenpolitik die Rentenversicherten weiterhin übermäßig mit dem Schlachtruf der Generationengerechtigkeit, begründet durch den sogenannten Generationenvertrag. Der Mythos des Generationenvertrages wird jedoch im Wesentlichen nur von denen bemüht die sich nicht daran beteiligen. Ganz abgesehen davon, dass ein solcher Generationenvertrag gar nicht existent ist, sondern eine politische Entscheidung war, welche 1957 die kapitalgedeckte Rentenversicherung in ein Umlagesystem überführte. Den heutigen Rentnerinnen und Rentnern wurde so die Möglichkeit genommen, weiterhin für ihre Alters-versorgung in eine kapitalgedeckte Versicherung einzuzahlen. Gleichzeitig wurden ihre Rentenbeiträge durch die Politik anderweitig verwendet.
Dass die Jungen heute für die Altersversorgung der Alten aufkommen müssen, war somit politischer Wille und nicht der Wille der Generationen! Gleichzeitig schuf die Politik für sich, ihre Beamten, Freiberufler und Selbständige eigene, unsolidarische und bessere Parallelsysteme.
Mit der ausschließlichen Fokussierung der Generationengerechtigkeit auf die Rentenversicher-ung wird der Generationenbetrug über die Staatsverschuldung, zu der wesentlich auch die Pensionsversorgungen aus Steuergeldern beitragen, akzeptiert, und entlarvt die ganze Schein-heiligkeit in der Rentendiskussion. Diese Staatsschulden jedoch werden Generationen bezahlen die erst noch geboren werden müssen. Die Interessenslage der Bediensteten in allen öffentlich-rechtlichen Institutionen und Behörden verhindert, mit ihren Verbänden und nahestehenden wissenschaftlichen Instituten, jedoch eine öffentliche Diskussion mit der gleichen Intensität wie sie im Rentenrecht genüsslich zelebriert wird. Dafür benötigt man ein Zwei-Klassen-Recht und eine Zwei-Klassen-Justiz. Die Politik in den Altersversorgungssystemen wird so zu einer Apartheidpolitik.
Wir meinen, die SPD sollte sich einfach nur darauf besinnen von wem und für wen sie einmal gegründet wurde. Und sie sollte den Mut haben falsche Beschlüsse zu korrigieren, statt in einer Art Nibelungentreue an Beschlüssen festhalten, welche der SPD die schlechtesten Wahl-ergebnisse brachten und ihren Anspruch auf Regierungsverantwortung zu Nichte machte. Nehmen Sie sich ein Beispiel an unserem Verteidigungsminister, der seine Erstbewertung zur Kundus-Affäre als falsch bezeichnete und richtig stellte. Er war damit glaubwürdig! Niemand der Bürgerinnen und Bürger erwartet, dass in der Politik keine Fehler gemacht werden. Sie erwarten aber, dass wenn Fehler erkannt werden diese dann auch korrigiert werden. Und sie erwarten ein Mindestmaß an Fairness und Gerechtigkeit. Dies ist jedoch in den unterschiedlichen Altersversorgungssystemen nicht gegeben.
Wir empfehlen das allgemeine „herumeiern“ aller Parteien zum Rentenrecht nicht mehr länger mitzumachen, neue Maßstäbe in der Altersversorgung zu setzen und sich für eine strukturelle Reform einzusetzen: Zuerst die sofortige Entlastung der Rentenversicherung durch die Ausgliederung aller versicherungsfremden Leistungen und zweitens eine Bürgerversicherung, ohne Wenn und Aber, in der ALLE ihren Solidaranteil in diese Gesellschaft einbringen. Das wäre ein politisches und gesellschaftliches Aufbruchsignal und könnte das Vertrauen in die Politik und die in diesem Sinne handelnden Parteien wieder herstellen.
Wir würden uns freuen, wenn unsere Vorschläge in Ihre Überlegungen zur Rente mit 67 einbezogen und mit zu einer gerechteren Altersversorgung führen würden.
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