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LSV Bremen: Überangebote auf Heim-Markt

02.11.2009 - von Gerd Feller, LSV Bremen

Die Grundsteinlegung an der Marcusallee in Bremen am 01. Oktober 2009 für ein weiteres
gerontologisches Pflegezentrum stimmt nachdenklich. Schaut der Leser in das Bremer Heimverzeichnis in der Broschüre „Wohnen im Alter“ (Kellner-Verlag 2009/2010, S.49-70), dann stößt er im Stadtgebiet Bremen auf 97
Altenwohn- und Pflegeeinrichtungen von
gemeinnützigen oder gewerblichen
Heimträgern, die nach den aufgeführten Zahlen mehr als 2.500 Wohnheim- und fast 4.000
Pflegeplätze bereitstellen, vorwiegend eben für alte Menschen, die wegen ihrer Hilfs- und Pflegebedürftigkeit eine dauerhafte Versorgung
benötigen.
Berücksichtigt man den Trend in der Seniorenpolitik (und den entsprechenden politischen Willen = ambulant vor Pflege), dass die Menschen ihr Alter möglichst lange in den eigenen vier Wänden
genießen wollen/sollen um soziale Isolation der Seniorengeneration zu vermeiden und ihre
Integration in das gemeinschaftliche Leben zu
gewährleisten, darf wohl davon
ausgegangen werden, dass sich zukünftig dementsprechende neue Wohnformen für das Alter entwickeln werden ...
Auf den ersten Blick scheint das alles in Ordnung zu sein. Die Zahl der älteren Menschen wächst, demnach werden auch mehr Altenwohn- und Pflegeplätze benötigt.
Könnte trotzdem nicht auf dem Heim-Markt ein Überangebot drohen? Pressemeldungen, dass
einige Trägerschaften in ihren Häusern Doppelzimmer zu Einzelzimmern umgestalten
und erst einmal Neubauten vermeiden, deuten auf die Gefahr eines Überangebots hin.
Mancher wird denken, es könne doch egal sein, wenn dann ein Anbieter auf der Strecke bleibt. Aber man darf nicht vergessen, dass die Altenwohn- und Pflegeeinrichtungen nicht nur zu einem Markt gehören, auf dem die Gesetze von Angebot, Nachfrage und Preis sowie des Wettbewerbs herrschen, sondern dass vom Spiel des Heim-Marktes ganz wesentlich das Wohlergehen von oft hilflosen und schutzbedürftigen Menschen abhängt. Ein Überangebot an Wohn- und Pflegeplätzen könnte theoretisch zwar positive Auswirkungen auf die Preise haben, die augenblicklich so ziemlich auf einer Ebene liegen. Aber es würde auch den Wettbewerb
zwischen den Heimen verschärfen. Dabei werden vor allem diejenigen mit relativ wenigen Wohn- und Pflegeplätzen betroffen sein. Je nach Qualität sind sie vielleicht
beliebter als große Residenzen, weil sich viele alte Menschen in einer kleinen, übersichtlichen
Lebensumwelt wohler fühlen, aber sie sind auch anfälliger hinsichtlich der Kosten, die ein
Bestehen im Wettbewerb garantieren, vor allem dann, wenn sie nicht zu einem starken
gemeinnützigen oder gewerblichen Heimträger gehören. Es sind bereits Heime geschlossen
worden, auch in Bremen, und man hat Erfahrungen sammeln können, was eine Schließung von Heimen für die Bewohner bedeutet. Meistens fängt der Niedergang mit
Personaleinsparungen an. Aber letztlich kommen auf die alten Menschen Umquartierungen zu. Diese bedeuten in der Regel den Verlust der gewohnten Umgebung
und manchmal auch des sozialen Umfeldes, Umzugsprobleme, unbekannte Wohngegend, Umgewöhnung an ein neues Heim, erst einmal überwiegend fremde Mitbewohner, neue Bezugs- und Pflegepersonen.
Für alte Bäume gilt, dass man sie möglichst nicht umpflanzen sollte. Wie halten wir es mit den alten Menschen? Darf eine Gesellschaft, die auf Humanität und Solidarität setzt, zulassen, dass sie zum Opfer einer rigorosen
Marktwirtschaft werden? Wäre es nicht besser, allgemein erst einmal weniger auf Quantität als
vielmehr auf Qualität zu setzen, wie es einige Heimträger anscheinend schon tun? Der Entwurf für eine Bremer Nachfolgeregelung des bestehenden Heimgesetzes mit der Festlegung, dass zukünftig geplante
Heimneubauten bei den kommunalen Gremien vorgestellt werden müssen, kommt einer strengeren Beobachtung der Entwicklungen
auf dem Heim-Markt entgegen. Auch die Senioren-Vertretungen sollten genau verfolgen, was dort abläuft, und eingehend darüber diskutieren, damit alte Menschen nicht einfach dem Heim-Markt ausgeliefert werden.

Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=974
Quelle: DURCHBLICK Nr. 118 – November 2009

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