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EuGH soll 2 Monats-Frist des AGG klären

12.06.2009 - von PM Dr. Rechtsanwalt Bertelsmann

Verstößt die deutsche Antidiskriminierungsregelung bei Einstellungen gegen EG-Recht? Das Landesarbeitsgericht Hamburg hat mit einer am 3.6.2009 verkündeten Entscheidung dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg eine Frage zur Klärung vorgelegt, die das deutsche „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – AGG“ aus dem Jahre 2006 betrifft.

Der Fall:
Frau Susanne B. bewarb sich bei einem Call-Center (Firma DBS in Hamburg), das Mitarbeiter/innen suchte – mit altersspezifischen Anforderungen wie „für unser junges Team“, „Du bist zwischen 18-35 Jahre alt“. Telephonisch wurde ihr mitgeteilt, dass sie die Stellenanforderungen nicht erfülle, sie erhielt ihre Bewerbungsunterlagen zurück. Eingestellt wurden junge Leute um die 20. Frau B. sah sich wegen ihres Alters (immerhin 41 Jahre) diskriminiert und erhob Klage beim Arbeitsgericht Hamburg, zehn Wochen nach Rücksendung der Bewerbungsunterlagen. Sie forderte wegen Altersdiskriminierung eine Entschädigung in Höhe von drei Monatsentgelten, also ca. € 5.700.-.

Das Problem:
wenn jemand bei einer Einstellung diskriminiert worden ist, kann die betreffende Person nach § 15 AGG eine finanzielle Entschädigung verlangen. Ein solcher Anspruch muss aber nach § 15 Abs. 4 AGG schriftlich geltend gemacht werden, und zwar normalerweise bei Einstellungen innerhalb von zwei Monaten nach Rücksendung der Bewerbungsunterlagen.

Frau B. aber hatte ihre Klage etwas außerhalb dieser 2-Monats-Frist eingereicht, nämlich nach 10 Wochen – dies nahm das Arbeitsgericht Hamburg (Urteil vom 10.12.2008 im Verfahren 28 Ca 178/08) zum Anlass, die Klage auf Entschädigung abzuweisen. Begründung: Überschreitung der gesetzlichen Frist. Jetzt wurde die Berufung der Klägerin beim LAG Hamburg verhandelt.

Der Rechtsanwalt der Klägerin, Dr. Klaus Bertelsmann aus Hamburg hatte u.a. argumentiert, dass die 2-Monats-Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen zu kurz sei und gegen EG-Recht verstoßen würde.

„Die Frist von zwei Monaten,“ so Bertelsmann, „ist deshalb zu kurz, weil der Betreffende häufig erst später erfährt, dass er bei dem Bewerbungsverfahren diskriminiert worden ist. Zu diesem Zeitpunkt ist es oft schon zu spät. Aber auch wenn er es gleich weiß: zwei Monate Zeit, um den Arbeitgeber zur Zahlung aufzufordern, auf Antwort zu warten, sich bei einem Rechtsanwalt beraten zu lassen und die - mit entsprechenden Kosten und Mühen verbundene - Entscheidung zu treffen, ob man klagen möchte: das ist sehr wenig Zeit. Zum Vergleich: normalerweise sieht das deutsche Recht eine Verjährungsfrist von drei Jahren vor - solange hat man Zeit, sich zu überlegen, ob man vor Gericht gehen möchte oder nicht.

Es zeigt sich in der Praxis immer wieder, dass viele Betroffene erst eben auch Zeit brauchen, um den Mut (und einen geeigneten Rechtsanwalt) zu finden, ihre Ansprüche durchzusetzen. Wäre diese Frist rechtmäßig, dann muss davon ausgegangen werden, dass viele Menschen ihre Ansprüche allein deshalb verlieren, weil sie diese Frist nicht einhalten. Dies widerspricht aber nicht nur dem Rechtsempfinden vieler, sondern auch dem Grundsatz, dass innerhalb der Europäischen Union ein effektiver Rechtsschutz gewährt werden muss.“

Diese Argumentation führte jetzt in der 2. Instanz beim LAG Hamburg dazu, dass das Verfahren ausgesetzt wurde, um die Frage der Rechtmäßigkeit der sehr kurzen Frist im Hinblick auf das EU-Recht zu prüfen. Das LAG Hamburg (Aktenzeichen 5 Sa 3/09) unter Vorsitz des Richters Christian Lesmeister sah eine Altersdiskriminierung als gegeben an, konnte aber wegen der gesetzlich vorgegebenen Frist nicht entscheiden: die Frist war nicht eingehalten worden. Das LAG legte die Frage, ob die zwei Monate eine zu kurze Frist nach EU-Recht sind, dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung gem. Art 234 EGV vor. Der EuGH ist bei Auslegungsfragen des EU-Vertrages oder der EU-Richtlinien das Gericht, das zu entscheiden hat.

Der Europäische Gerichtshof wird jetzt zu entscheiden haben, ob die 2-Monats-Frist des deutschen AGG weiter Bestand hat oder ob sie wegen Verstoß gegen das geltende europäische Recht unwirksam ist. Der genaue Text der Vorlage ist im Anhang im Wortlaut wiedergegeben.

Rechtsanwalt Dr. Bertelsmann, der die Klägerin vertritt, hat bereits eine große Zahl von Verfahren um die Gleichbehandlung von Frauen und Männern und nun auch nach dem neuen AGG geführt. Er meint dazu:

„Die 2-Monats-Frist ist seit jeher stark kritisiert worden, weil sie im Gegensatz zu allen anderen Fristen im Arbeitsrecht und Zivilrecht extrem kurz ist. Dies behindert eine effektive Rechtsdurchsetzung für diskriminierte Personen. Der Gesetzgeber hat hier – wie auch in anderen Teilen des AGG – versucht, das Gesetz im Interesse der Arbeitgeber möglichst nicht zu scharf werden zu lassen.

Auch die EG-Kommission hat bereits in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland die Frist als zu kurz gerügt.

Wir sehen die 2-Monats-Frist als unzulässig und gegen Europa-Recht verstoßend an. Wir hoffen, dass dies der Europäische Gerichtshof feststellen wird und dann die Klage unserer Mandantin auf Entschädigung Erfolg haben wird“.

Das Verfahren wird nun vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg weitergeführt. Normalerweise dauert es ca. 18 Monate nach der Vorlage, bis eine schriftliche Entscheidung des EuGH vorliegt. Anschließend entscheidet dann das LAG Hamburg endgültig auf der Basis der EuGH-Entscheidung.

Text des Vorlagebeschlusses des LAG Hamburg v. 3.6.2009

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird gemäß Art. 234 EGV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Verstößt eine nationale Gesetzgebung, nach der (außerhalb von kollektivrechtlichen Regelungen) zur schriftlichen Geltendmachung eines Schadens- und/oder Entschädigungsanspruches wegen Diskriminierung bei der Einstellung eine Frist von zwei Monaten nach Empfang der Ablehnung - oder im Wege der Auslegung: nach Kenntnis der Diskriminierung – gilt, gegen Primärrecht der EG (Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes) und/oder das gemeinschaftliche Verbot der Altersdiskriminierung (Richtlinie 2000/78/EG vom 27.11.2000), wenn für gleichwertige Ansprüche nach nationalem Recht dreijährige Verjährungsfristen gelten,
und/oder das Verschlechterungsverbot gem. Art. 8 der Richtlinie 2000/78/EG, wenn eine frühere nationale Vorschrift bei der Diskriminierung wegen des Geschlechts eine längere Ausschlussfrist vorsah?

Dr. Bertelsmann und Gäbert
22083 Hamburg

Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=2926
Quelle: Büro gegen Altersdiskriminierung