Berliner Erklärung, Alter, Wirtschaft,Verbandsleben: Kommentar
15.05.2009 - von Hanne Schweitzer
Zur "Verantwortung bei der Gestaltung des demografischen Wandels" haben sich im Wonnemonat Mai fünf Unternehmen und zwei Verbände bekannt. Unser aller Familienministerin Ursula v.d. Leyen hatte Zeit, diese "Erklärung" persönlich entgegenzunehmen. Traut man dem Foto, das zur Illustration des Verantwortungsevents auf der Webseite des Ministeriums eingestellt ist, hatten sich aber keineswegs alle Verantwortlichen ins Ministerium begeben. Nur einer stand neben der Ministerin und hielt die "Erklärung" Richtung Kamera. Bei dem Herrn handelt es sich, wie das Büro gegen Altersdiskriminierung auf Nachfrage erfuhr, um Herrn Haehn, seines Zeichens Vorsitzender des Fördervereins der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen. Er vertrat sieben weiteren Akteure, die sich - selten - wie Schnee im Hochsommer - schriftlich zur Übernahme von Verantwortung bekannt haben. Durch Abwesenheit auf dem Foto glänzten:
AXA Konzern AG, GALERIA Kaufhof GmbH, Pfizer Deutschland GmbH,und den TÜV Rheinland. Für die Immobilienwirtschaft bekannte sich die
Plan Plus Faktor
Entwicklungsgesellschaft mbH zur Verantwortung der Wirtschaft für den demografischen Wandel. Auch zwei Verbände haben die Berliner Erklärung unterschrieben.
Der Internationale Bustouristik Verband e.V. und -
der Berufsverband deutscher Soziologinnen und Soziologen e.V.
Bitte nehmen Sie das mit dem "haben unterschrieben" aber nicht wörtlich. Unterschrieben, so richtig mit Name, Funktion, Füller und anschließend einem bißchen Sand aus der Berliner Streusandbüchse zum Trocknen der Tinte, so richtig unterschrieben hat die Berliner Erklärung niemand. Nicht mal der leibhaftig anwesende Herr Haehn oder die ebenso leibhaftig anwesende Frau Ministerin. Jedenfalls wird die Berliner Erklärung, die als Foto verschickt wurde, lediglich von Firmen- oder Verbandslogos geziert. Es handelt sich bei der "Erklärung" also um nichts weiter, als um ein Blatt Papier, um eine Absichtserklärung. Damit diese jedoch zustande kam, mußte recherchiert und telefoniert werden, dafür wurden Sitzungen + Besprechungen einberufen, Terminkalender bestückt, Energien verschwendet, Streit vom Zaun gebrochen und Kompromisse ausgehandelt. Man hat ja sonst nichts zu tun.
Der demografische Wandel wird die Lebensbedingungen in unserer Gesellschaft und die Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit zunehmender Intensität grundlegend verändern, heißt es in der Erklärung. Da soll noch einer sagen, die Herrschaften wären nicht auf der Höhe der Zeit. Und wie mutig sie das Problem anpacken! Doch davon später. Beginnen wir mit den ersten Schritten.
Die Idee für die "Erklärung" lieferte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen. Weil diese Organisation für Kontakte zur Wirtschaft aber einen eigenen Förderverein hat, war der es, der die Realisierung der Idee in die Hand nahm. Allerings nicht allein. Nein, nein. An der schweren Last, eine "Erklärung" bei Ministerin v.d. Leyen präsentieren zu können, trugen zwei Partner mit, die sich der Förderverein kurzentschlossen mit ins Boot geholt hatte: 1. Das ddn – was so viel wie Demographie- Netzwerk heißt, UND 2. die Verlagsgruppe Rheinischer Merkur. Auch da wurde recherchiert und telefoniert, wurden Besprechungen geplant und verschoben, wurden Terminkalender bestückt und Energien verschwendet. Man hat ja sonst nichts zu tun.
Aber genau das soll sich ja nun ändern. Die Initiatoren der "Erklärung" wollen
eine Reihe innovativer Projekte realisieren. Eines davon haben sie mutig, mutig, direkt in die "Erklärung" mit hineingeschrieben.
Wir planen einen Kongress zu den Themen dieser Erklärung, um unserer Initiative Breitenwirkung und Nachhaltigkeit zu verschaffen, heißt es da. Axa, Kaufhof, Pfizer und die anderen sogenannten "Unterzeichner", z.B. der Soziologenverband haben vor,
im Rahmen dieses Kongresses mit Wissenschaftlern und Praktikern besetzte Arbeitskreise einzurichten, damit dort Vorschläge für weitere konkrete Projekte entwickeln können.
Kongresse, das weiß man, gelten bei vielen Menschen als Allheilmittel. Nach dem Motto: Hauptsache, dass wir mal drüber gesprochen haben, kann man ein Problem als abgehakt betrachten und sich einem neuen zuwenden. Kongresse kosten aber bekanntlich Geld. So hat die z.B. die Antidiskriminierungsstelle des Bundes für ihren ersten Kongreß in Berlin immerhin 96.736 € plus MWST an die Firma zahlen müssen, die ihn in ihrem Auftrag organisierte.
Vielleicht bekommen die Organisatoren der Berliner Erklärung ihren geplanten Kongress preiswerter hin. Könnte ja sein, dass sich gewisse Synergieeffekte einstellen. Soziologen und Axa, Chemische Industrie und Reisebusunternehmerverband ... Vielleicht kommt ja auch ein kleiner Kongress-Zuschuss vom Ministerium. "Berliner Erklärung" hört sich doch gut an, und passt perfekt zu der Art wirtschaftsorientierter Seniorenpolitik, die Ursula v.d. Leyen richtig und wichtig findet. Siehe auch: Pakt mit der Wirtschaft
Link
Die "Berliner Erklärung" besteht aber nicht nur aus der Ankündigung eines geplanten Kongresses. Aufgeführt sind ausserdem 10 Punkte, die als unverbindliche Richtschnur des Handel(n)s der Unterzeichnenden betrachtet werden können:
1.
Selbstständiges Leben unterstützen
Wir werden die Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen fördern, die ein selbstständiges Leben bis ins hohe Alter ermöglichen. Wir streben an, unsere Produkte und Dienstleistungen im Sinne eines „Universal Design“ (für alle geeignetes Design) ebenso wie unsere Produktions- und Verkaufsbereiche möglichst barrierefrei zu gestalten.
2.
Zugang zu unseren Angeboten schaffen
Wir werden im Rahmen unserer Möglichkeiten dafür sorgen, dass Menschen nicht nur in Ballungszentren, sondern auch im ländlichen Raum einen besseren Zugang zu unseren Angeboten haben. Dazu ist nicht zuletzt ein verbesserter Zugang zum Internet, auch für ältere Menschen, wichtig.
3.
Bedürfnisse von Menschen mit geringen Alterseinkünften berücksichtigen
Wir bekennen uns zu einer Unternehmens- und Geschäftspolitik, die auch die besondere Situation von älteren Menschen mit geringen Einkommen berücksichtigt und möglichst für diese Zielgruppe geeignete Angebote entwickelt.
4.
Beschäftigungsfähigkeit erhalten
Wir werden die Voraussetzungen für einen möglichst langen Verbleib älterer Beschäftigter in unseren Unternehmen verbessern. Hierzu bieten wir Maßnahmen der gesundheitlichen Prävention an und beteiligen auch ältere Beschäftigte an unseren inner- und außerbetrieblichen Weiterbildungsaktivitäten. Zudem richten wir die Personalplanung darauf ein, unseren Beschäftigten rechtzeitig Perspektiven aufzuzeigen.
5.
Ältere Menschen einstellen
Wir werden im Rahmen unserer Einstellungspraxis älteren Arbeitssuchenden die Chance für einen beruflichen Wechsel oder den Wiedereinstieg in den Beruf bieten, sofern sie die entsprechenden Qualifikationen mitbringen.
6.
Betriebliche Altersvorsorge stärken
Wir sehen in der betrieblichen Altersvorsorge für unsere Mitarbeiter einen wichtigen Beitrag, um das Alterseinkommen künftiger Rentnergenerationen zu sichern.
7.
Altersgemischte Teams in Produktion und Verwaltung
Wir werden in möglichst vielen Bereichen altersgemischte Teams einsetzen. Sie sind leistungsfähig und erfolgreich und stellen sicher, dass Erfahrungswissen weitergegeben wird. Außerdem verbessern sie das Verständnis der Generationen.
8.
Perspektiven schaffen
Wir werden die Attraktivität der Arbeitsplätze in unseren Unternehmen fördern, indem wir den Beschäftigten Bildungschancen eröffnen und ihnen Angebote für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf bieten. Auch wollen wir ihnen Perspektiven für die Zeit nach dem Beruf aufzeigen. Denn durch freiwilliges Engagement können beruflich erworbene Kompetenzen über die Erwerbsphase hinaus besser zum Wohl des Gemeinwesens genutzt werden.
9.
Altersgrenzen beseitigen
Wir werden unsere Unternehmen auf mögliche Altersgrenzen überprüfen und diese beseitigen, soweit kein sachlicher Grund dafür vorliegt. Dies gilt sowohl für den internen Unternehmensbereich gegenüber den Beschäftigten als auch hinsichtlich der Angebote für unsere Kundinnen und Kunden.
10.
Altersbilder verändern
Wir werden mit unserer Öffentlichkeitsarbeit, vor allem mit unserer Unternehmens- und Produktwerbung, dazu beitragen, dass die Altersbilder in unserer Gesellschaft realistischer dargestellt werden.
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Am 3.März 2010 ergab ein Gespräch mit einem Vertreter der Unternehmenskommunikation der Galerie Kaufhof, dass zumindest Lovro Mandac, Vorsitzender der Geschäftsführung der GALERIA Kaufhof GmbH, persönlich anwesend gewesen sein soll, um die Berliner Erklärung zu unterschreiben. Das belegt zumindest ein Foto, auf dem Herr Mandac mit zwei-Tage-Bart an einem Tisch sitzt. Vor ihm liegt ein Kuli und eine Mappe, neben ihm steht Ministerin v.d.Leyen mit der typisch merkelschen Handhaltung, sowie Herr Haehn mit gefalteten Händen und rot-Weiß gestreifter Krawatte. Herr Mandac sitzt aber nicht an einem Schreibtisch, sondern an einem kleinen Tisch, auf dem zwei weiße, gestärkte Tischdecken liegen. Im Hintergrund ist nichts ministerielles zu entdecken, wie etwa ein Bücherregal. Den Hintergrund bildet die gleiche Stellwand, an der, mit Reiszwecken, Plakate befestigt sind, hängen auf denen steht: "Den demografischen Wandel gestalten".Link:
http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=3027Quelle:
Büro gegen Altersdiskriminierung