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Gebiss: Für Rentner reichen zwei Stunden am Tag

25.04.2009 - von Hanne Schweitzer

Drei Gebisse hat Manfred Schlüter in den letzten sieben Monaten von seinem Zahnartz bekommen, keines passt und keines hält. Länger als zwei Stunden kann er die Dritten nicht tragen - das Gebiss verursacht solche Schmerzen, dass er es für den Rest des Tages raus nehmen muss. Er weigerte sich, die Zahnartzrechnung zu bezahlen und klagte vor dem Paderborner Amtsgericht. Das weist seine Klage ab.

Eine Prothese, die zwei Stunden hält, sei besser als nichts, meint die Richterin. Es reiche, wenn das Gebiss nur zwei Stunden am Tag funktionsfähig sei. Im Alter von 73 sei man in der Regel nicht darauf angewiesen, ein Gebiß den ganzen Tag zu tragen. Und zwei Stunden, das sei kein unerheblicher Zeitraum, vor allem im Hinblick auf das Alter des Mannes. Mit anderen Worten: Zwei Stunden sind mehr als genug, ja geradezu üppig bemessen, bei einem Rentner.

Der Paderborner Gerichtssprecher Bernd Emminghaus bläst ins gleiche Horn wie die Richterin. Es handle sich bei dieser Begründung nicht um eine Diskriminierung, sondern JURISTISCH mache es einen Unterschied, ob es sich um einen Geschäftsmann handele, der tagtäglich mit Kunden zu tun habe, oder ob es sich um einen Rentner handele, der den ganzen Tag im Garten arbeitet! Vom Prinzip der Gleichbehandlung hat der Mann wohl noch nichts gehört. Gleichbehandlung, egal ob Geschäftsmann oder Rentner, ob arm oder reich, ob schwarz oder weiß, ob alt oder jung, Gleichbehandlung ist eine der Grundsäulen der Europäischen Union. Gleichbehandlung ist ebenfalls im Grundgesetz verankert.

Die Begründung der Richterin ist altersdiskriminierend par exellence! Sie muss als handfeste Bedrohung der Versorgung älterer Menschen mit funktionsfähigem Zahnersatz eingestuft werden. Die Richterin hat mit ihrem Schriftsatz nicht nur ihre eigene Altersfeindlichkeit demonstriert, sie hat auch die Zweiklassenmedizin weiter zementiert. Wenn ein Geschäftsmann ein größeres Anrecht auf ein funktionsfähiges Gebiss hat als ein Rentner, kann sich jeder Zahntechniker bzw. Zahnarzt beruhigt zurücklehnen. Der Patient ist Renter? Der Patient ist gesetzlich versichert? Das ist beruhigend. Wir haben ja jetzt den Freifahrschein für schlampiges Arbeiten. Bei Rentnern darf Fusch abgeliefert werden. Hauptsache der Zahnersatz hält zwei Stunden am Gaumen, dann ist sie aus dem Schneider, die Zähnezunft, während der Patient die miserable Arbeit auch noch bezahlen muss.
siehe auch: Link
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Diesem Mann ist dringend anzuraten, sein Anliegen weiter zu verfolgen, also gegen dieses Urteil Berufung einzulegen und - falls nötig - bis zum Bundesgerichtshof zu gehen. Sollte auch dies erfolglos bleiben, wäre meiner Ansicht nach sogar ein Gang vor das Bundesverfassungsgericht zu erwägen. Bei diesem Fall handelt es sich meiner Auffassung nach nicht um eine bloße Altersdiskriminierung, sondern schlichtweg um eine Verletzung der grundgesetzlich garantierten Menschenwürde des betroffenen Mannes. Wie das Bundesverfassungsgericht in einem Fall entschieden hat, in dem die Gerichte einer schwerstbehinderten Frau die Finanzierung eines Spezial-Elektrorollstuhls verweigerten, können Sie auf meiner Homepage unter Linknachlesen. B.M.

In diesem Zusammenhang sei erneut darauf hingewiesen, dass Altersdiskriminierung vom bundesdeutschen Gesetzgeber seit 2006 NUR im Bereich von Beruf und Beschäftigung verboten ist und bei den privaten Versicherungen, die NICHT versicherungsmathematisch begründen können, dass höhere Tarife wegen des Lebensalters gerechtfertigt sind.

Seit 1975 wurden die Leistungen der gesetzlichen Kassen im Bereich des Zahnersatzes systematisch demontiert. Das Paderborner Urteil läßt für die Zukunft das Schlimmste befürchten.

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Verstößt das Urteil nicht auch gegen §135a SGB V nachdem medizinische Leistungen grundsätzlich in der fachlich gebotenen Qualität erbracht werden müssen ??? K.K.
alt=http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=2601
>Link


Das Urteil des Paderborner Gerichts trägt das Aktenzeichen AZ 57C435/08 und Sie finden es auf der Webseite von www.freizeitfreunde.de

Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=3021
Quelle: Akuelle Stunde, 24.4.09