Foto: H.S.
14.10.2024 - von Hanne Schweitzer
"Arbeitgebende stärker zum Diskriminierungsschutz verpflichten", lautet die neunte Forderung des Bündnisses "AGG Reform Jetzt". Sie soll bei einer Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) berücksichtigt werden. Darüber kann Herr K. nur den Kopf schütteln. Er hätte es lieber konkreter und wäre froh, wenn Arbeitgeber verpflichtet würden, Bewerber, die über entsprechende Qualifikationen verfügen, unabhängig von ihrem Lebensalter einzustellen. Dass dem nicht so ist, weiß er aus eigener, leidvoller Erfahrung und aus der Statistik. Im letzten Jahr waren von allen Arbeitslosen immerhin 24 Prozent älter als 55! *
Herr K. ist ein Mann, der sich kontinuierlich weiter gebildet hat, Solar-, Hybrid-, Wasserstoff- und Photovoltaikprojekte in Dortmund, Tunis und Dubai realisierte, als Geschäftsführer, Dozent und Chief-Operating Officer tätig war. Er bewirbt sich seit mehr als zwei Jahren vergeblich auf alle Anzeigen, die seinem Profil entsprechen.
Wenn überhaupt eine Reaktion seitens des Arbeitgebers erfolgt, ist es meist eine Absage. Wird er zum Vorstellungsgespräch eingeladen, schafft er es zuverlässig bis in die letzte Runde, danach ist Schluss. Gründe für sein Ausscheiden werden ihm nicht genannt.
Seine Betreuer im Jobcenter sind ratlos. Ihnen fällt nichts mehr ein, um diesen hoch qualifizierten Mann mit internationaler Berufserfahrung vermittelt zu bekommen. Woran das liegt, wissen sie inzwischen aber genauso gut wie Herr K.
Herr K. ist zu alt. Er ist 60.
Aber er will arbeiten. Und weil er nicht Rockefeller ist, muss er arbeiten. Er hat noch sieben Jahre bis zur Rente und möchte danach weiterarbeiten.
Arbeitgeber dürfen laut dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bei Einstellungen keine Unterschiede wegen des Alters machen. Doch sie tun es ungeniert und gnadenlos schon zu Beginn der Bewerbungsphase. Trotz Fachkräftemangel.
Laut einer Studie der Uni Gent ** von 2023 hat keine andere Altersgruppe so schlechte Chancen bei der Stellenvergabe wie über 50Jährige. Bereits ihre Chancen auf ein Vorstellungsgespräch sind um 48 Prozent geringer im Vergleich zu den jüngeren Mitbewerbern.
Davon kann Herr K. ein Lied singen. Obwohl die Stellenausschreibung für einen "Home Office Dozent (m/w/d) für Solarthermie und Photovoltaik" eines Unternehmens aus Hamburg gut auf sein Profil passt, und das virtuelle Dozieren ihn nicht schreckt, bekommt er eine Absage. Weil die Stelle etliche Tage später noch immer ausgeschrieben ist, bewirbt er sich ein zweites Mal. Wieder eine Absage. "Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass wir Ihre Bewerbung nicht in die engere Wahl ziehen konnten." Das bedeute aber keinen Zweifel an seinen Qualifikationen. Verblüffenderweise ist die Stelle bei der IBB Bildungs AG am 20. August noch immer ausgeschrieben!
Schaut man sich nun die Fotos an, mit der das Unternehmen seine Webseite illustriert, um die vermeintlichen oder tatsächlichen Dozenten und Lernenden vorzustellen, lässt sich schnell eine Verbindung zur Altersdiskriminierung des Herrn K. herstellen. KEINE der im Webauftritt des Unternehmens abgebildeten Personen sieht älter aus als ca. 50. Die vom Unternehmen nicht erwünschten Lebensalter kommen auf den Fotos nicht vor. Das der Firma genehme Alter wird, ganz ohne Worte, fotografisch definiert. Sozusagen durch die Blume.
Diese Art indirekter Altersdiskriminierung durch Fotografien wird im Arbeitsleben häufig praktiziert. Bilder für die Firmenwebseiten werden so ausgewählt, dass nur bestimmte Altersgruppen zu sehen sind. Zeitarbeitsfirmen, Weiterbildungsunternehmen oder Personaldienstleister gehören zu den Branchen, die mit Hilfe gezielter Fotoauswahl potentiellen Bewerbern suggerieren, ob sie erwünscht sind oder nicht. So können sie die gesetzlich verbotenen Altersangaben in den Stellenausschreibungen geschickt umgehen, und Bewerber mit "falschen" Alter abschrecken.
Aber was nutzen diese Feststellungen Herrn K.?
Er braucht und er sucht Arbeit. Er hat Erfahrung mit Solar-, Hybrid-, Wasserstoff- und Photovoltaikprojekten. Davon gibt es nicht viele.
Kontakt zu Herrn K. über info@ bipvconsult.de
Bericht über Herrn K.im ARD-Morgenmagazin und einem Interview mit einer ratlosen Expertin von der Hans-Böckler-Stiftung am 26.9.2024 unter Link
* IAQ unter: Link
** Studie der Universität Gent zur weltweiten Diskriminierung beim Anwerben von neuem Personal unter: Link
Bis heute, 26.9.2024 keine Rückmeldung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Bis heute, 14.10.2024 keine Rückmeldung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes
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