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Diskriminierung im Gesundheitswesen: Betroffene beklagen fehlende Anlaufstellen

Foto: H.S.

23.04.2024 - von Iris an der Heiden (IGES Institut GmbH)

Studie belegt: Wer im Krankenhaus, einer Arztpraxis oder bei Therapien Diskriminierung erlebt, findet selten eine Anlaufstelle, die auf das Thema vorbereitet ist.
Ataman: Beschwerdemöglichkeiten bei Diskriminierungen im Gesundheitswesen müssen professioneller und übersichtlicher werden.

Wer Diskriminierung im Gesundheitswesen erlebt, ist in Deutschland oft auf sich allein gestellt. Das belegt erstmals die Studie „Diagnose Diskriminierung. Beratungs- und Beschwerdemöglichkeiten bei Diskriminierungserfahrungen im Gesundheitswesen“ im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, hat sie heute an Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach übergeben.

„Überall, wo Menschen aufeinandertreffen, gibt es Diskriminierung. Im Gesundheitswesen wurde dieses Thema viel zu lange übersehen. Wenn sich Menschen gegen Diskriminierung wehren wollen, finden sie oft keine Ansprechperson und bekommen keine Hilfe. Die Folgen für diskriminierte Patient*innen sind gravierend. Sie dürfen nicht im Stich gelassen werden“, sagte Ataman am Montag in Berlin.

„Alle Patientinnen und Patienten haben das Bedürfnis und das Recht, optimal behandelt zu werden. Sie benötigen alle die gleiche Unterstützung, Zuwendung und gute Therapieangebote. Diskriminierung wird gerade in Situationen von Krankheit und Schwäche als besonders verletzend erlebt. Das können wir nicht hinnehmen. Hier müssen auch im Konfliktfall vor Ort kompetente Beraterinnen und Berater helfen“, sagte Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach.

Zum Thema Diskriminierung in der medizinischen Versorgung liegen bislang nur wenige Untersuchungen vor. Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden erstmals die Beratungs- und Beschwerdemöglichkeiten im Gesundheitsbereich umfassend untersucht. Die Studie beschäftigt sich konkret mit der Frage, was passiert, wenn sich Menschen nach einer Diskriminierung im Krankenhaus, in einer Arztpraxis oder Apotheke an eine Anlaufstelle wenden. Dazu wurden Benachteiligungen aufgrund von Alter, Behinderung, Geschlecht, sexuelle Identität, Religion und Weltanschauung sowie rassistische und antisemitische Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) untersucht. Zudem wurden Diskriminierungserfahrungen aufgrund des Körpergewichts und sozialen Status betrachtet.

Ergebnis:

Nur wenige der vorhandenen Anlauf- und Beratungsstellen sind auf Diskriminierung spezialisiert. Ansprechpersonen für Diskriminierung im Gesundheitswesen sind schwer zu finden. Diskriminierte Menschen nehmen die Beschwerdewege oft als intransparent und ineffektiv wahr. Anlaufstellen informieren in der Regel nicht darüber, ob sie auch für Diskriminierungserfahrungen zuständig sind. Die Landschaft an verschiedenen Beratungs- und Beschwerdestellen ist selbst für Expert*innen schwer durchschaubar: Gesundheitsämter, Krankenkassen, Patient*innenbeauftragte – oft ist unklar, wer für was zuständig ist. Zudem ist der Diskriminierungsschutz aktuell stark davon abhängig, welches Verständnis von Diskriminierung die Verantwortlichen der Beratungsstellen haben.

Die Situation für Menschen, die Diskriminierung erleben, muss sich demnach umfassend verbessern. Es gibt aber auch vorbildliche Angebote und einige Vorreiter im Gesundheitswesen. Aus den Ergebnissen der Studie „Diagnose Diskriminierung“ lassen sich daher verschiedene Handlungsempfehlungen ableiten:

Handlungsempfehlungen

l Das Beratungsangebot sollte in allen Praxen, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens sichtbar sein.

l Zudem müssen Anlaufstellen ihren Umgang mit Diskriminierung professionalisieren und Diskriminierungsfälle künftig systematisch erfassen und auswerten.

l Die rechtlichen Möglichkeiten, sich nach einer Diskriminierung zu wehren, müssen verbessert werden.

l Und der Schutz vor Diskriminierung muss konkret auch auf Behandlungsverträge ausgeweitet werden, damit Betroffene Schadensersatz einklagen können.

Die Studie ist in der Langfassung Link und in der Kurzfassung Link abrufbar.



Inhaltsverzeichnis
Verzeichnisse 7
Danksagung 11
1 Einleitung 13
2 Methodisches Vorgehen 17
2.1 Projektmodule 17
2.2 Abgrenzungen und Limitationen 27
3 Struktur der Anlauf- und Beschwerdestellen im Gesundheitswesen 29
3.1 Beschwerdeanlässe im Gesundheitswesen 29
3.2 Anlauf- und Beschwerdestellen der medizinischen Einrichtungen 32
3.3 Anlauf- und Beschwerdestellen der Selbstverwaltung 32
3.4 Übergeordnete Anlauf- und Beschwerdestellen des Gesundheitswesens 37
3.5 Zwischenfazit Struktur der Anlauf- und Beschwerdestellen 40
4 Erfahrungen von Betroffenenverbänden und (Antidiskriminierungs-)Beratungsstellen mit den vorhandenen Anlauf- und Beschwerdestellen des Gesundheitswesens 43
4.1 Bekanntheit und Inanspruchnahme von Anlauf- und Beschwerdestellen im Gesundheitswesen 44
4.2 Erfahrung mit den vorhandenen Anlauf- und Beschwerdestellen im Gesundheitswesen 47
4.3 Verbesserungspotenziale 50
4.4 Zwischenfazit Erfahrungen aus Betroffenensicht 54
5 Anfrageaufkommen und Arbeitsweisen von Anlauf- und Beschwerdestellen des Gesundheitswesens im Kontext von Diskriminierungserfahrungen 57
5.1 Anlauf- und Beschwerdestellen der Krankenhäuser und Rehakliniken 58
5.1.1 Ergebnisse der Onlinebefragung 58
5.1.2 Fallstudien Krankenhaus 75
5.1.3 Zwischenfazit Krankenhäuser und Rehakliniken 92
6
Inhaltsverzeichnis
5.2 Anlauf- und Beschwerdestellen der Selbstverwaltung des Gesundheitswesens 94
5.2.1 Ergebnisse der Onlinebefragung 94
5.2.2 Fallstudien Selbstverwaltung 98
5.2.3 Zwischenfazit Selbstverwaltung 118
5.3 Anlauf- und Beschwerdestellen übergeordneter Institutionen des Gesundheitswesens 121
5.3.1 Ergebnisse der Onlinebefragung 121
5.3.2 Fallstudien übergeordneter Institutionen des Gesundheitswesens 125
5.3.3 Zwischenfazit übergeordnete Anlauf- und Beschwerdestellen des
Gesundheitswesens 145
5.3.4 Exkurs Medizinischer Dienst 147
6 Analytische Zusammenschau der Ergebnisse 153
7 Handlungsmöglichkeiten für ein verbessertes Beratungs- und Beschwerdeangebot bei Diskriminierungsfällen im Gesundheitswesen 167
7.1 Ziel 1: Den Zugang zu Beratungs- und Beschwerdemöglichkeiten im Gesundheitswesen verbessern 168
7.2 Ziel 2: Anlauf- und Beschwerdestellen des Gesundheitswesens im Umgang mit Diskriminierung professionalisieren 170
7.3 Ziel 3: Beratungs- und Beschwerdeverfahren in eine Gesamtstrategie zur Prävention von und zum Umgang mit Diskriminierung in den jeweiligen Institutionen einbetten 171
7.4 Ziel 4: Den rechtlichen Diskriminierungsschutz und die Möglichkeiten zur
Rechtsdurchsetzung bei Diskriminierung im Gesundheitswesen verbessern 173
8 Anhang 176
Literaturverzeichnis 187

Quelle: Antidiskriminierungsstelle des Bundes