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Neujahrsbrief einer EU-Parlamentarierin

Foto: H.S.

05.01.2023 - von Özlem Demirel

Gestern habe ich mich gefragt, ob dieses Jahr schlimmer war als die Jahre zuvor. Denn tatsächlich hat man das Gefühl, dass es inzwischen von Jahr zu Jahr nicht besser, sondern schlechter wird. Ob das wohl ein Nebeneffekt des älter werdens, der steigenden Verantwortung oder der gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen ist, habe ich mich gefragt?

Und ja, die gesellschaftlichen Krisen werden nicht weniger, sondern mehr.

Und dennoch war dieses Jahr in einer Hinsicht doch viel angenehmer als die vorhergegangenen Pandemiejahre. Man konnte sich wieder mit vielen Menschen zusammentreffen, andere Menschen in den Arm nehmen. Das scheint mir etwas zu sein, was für uns Menschen unverzichtbar ist. Das finde ich lebenswichtig. Und doch hat mir dieses Jahr einen besonderen Menschen - meinen Vater von dem ich so viel gelernt habe und dem ich so viel zu verdanken habe - genommen. Das schmerzt natürlich, insbesondere auch an einem Tag wie heute.

Dieses Jahr war gekennzeichnet von dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, den Preissteigerungen und sozialen Verwerfungen. Ja, und tatsächlich ist der Krieg in der Ukraine nicht mal der einzige der derzeit in dieser Welt tobt, er ist auch nicht der erste Angriffskrieg auf europäischem Boden seit dem 2. Weltkrieg, wie unser Kanzler behauptete...

Und dennoch ist der Krieg in der Ukraine mehr als nur ein Krieg in der Ukraine und um die Ukraine (was schon schlimm genug ist). Er ist ein Ausdruck der Verhärtung der Auseinandersetzung zwischen den großen Industrie- und Militärmächten in der Welt. Er ist ein Hinweis darauf, dass wir auf kriegerische und robustere Zeiten zusteuern. Nicht zuletzt die massive Militarisierungswelle in ganz Europa verdeutlicht dies.
Es geht nicht um unser aller Sicherheit, sondern für die Interessen einer Minderheit, leidet immer offener die Mehrheit.

Die Restaurationsphase des Kapitalismus ist abgeschlossen, wenn auch nicht erst heute. Immer deutlicher zeigt er erneut seine ganze Hässlichkeit. Rapide und massive Kapitalakkumulation und Konzentration in den Händen einiger Weniger, die einhergeht mit dem steigenden Ressourcenverbrauch und der Suche nach noch weiteren und neuen Märkten, ergänzt die Widersprüche zwischen Arbeit und Kapital um die Widersprüche und verstärktere Konkurrenz der unterschiedlichen Kapitalfraktionen. Und wenn selbst der Spiegel in seiner jetzigen Ausgabe fragt, ob Marx recht hatte, dann zeigt es nur, dass sie aufgreifen müssen, dass immer mehr Menschen dieses System hinterfragen. Auch wenn er (der Spiegel) versucht Marx in seiner Anlayse und seinen Aussagen zu verzerren...

Und doch können wir alle wieder zusammenkommen, gemeinsam diskutieren und uns in der Aktion Vereinen und zwar nicht nur online, sondern analog. Und das gibt Zuversicht.

Denn zu gewinnen haben wir viel.

Möge das Jahr 2023 ein Jahr der Zuversicht sein. Ein Jahr der hoffnungsvollen Suche nach einer Welt des Friedens und (sozialen) Sicherheit. Ein Jahr in dem wir weniger Objekte der Geschehnisse, denn mehr Subjekte sind....

Auf ein im positiven Sinne bewegtes Jahr 2023! Auf den roten Stern!
Happy NewYear
umutlu yeniy?llar
frohes Neues
Sersala we piroz be
Özlem Demirel

Neujahrsbrief von Özlem Demirel, türkisch-deutsche Politikerin (Die Linke) kurdischer Herkunft. Demirel war Mitglied im Rat der Stadt Köln (2004–2010) und im Landtag von Nordrhein-Westfalen (2010–2012). Seit der Europawahl 2019, bei der sie gemeinsam mit Martin Schirdewan als Spitzenkandidatenduo ihrer Partei antrat, ist sie Mitglied des Europäischen Parlaments.

Quelle: Özlem Demirel