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Antidiskriminierungsbeauftragte stellt Jahresbericht vor – Diskriminierungsfälle weiter auf hohem Niveau

Foto: H.S.

16.08.2022 - von ADS, WELT, DLF-Presseschau

Die Zahl der gemeldeten Fälle von Diskriminierungen in Deutschland bleibt auf hohem Niveau. Das zeigt der Jahresbericht 2021 der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, den die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, am Dienstag in Berlin vorgestellt hat.

Im Jahr 2021 gab es mehr als 5.600 Beratungsanfragen an die Antidiskriminierungsstelle, die mit einem vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschützten Diskriminierungsmerkmal zusammenhingen. Das ist der zweithöchste Wert in der Geschichte der Antidiskriminierungsstelle, die 2006 gegründet wurde. Der leichte
Rückgang gegenüber dem Vorjahr (6383) ist auf weniger Anfragen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, insbesondere zur Maskenpflicht, zurückzuführen. Die Anzahl der Beratungsanfragen zu allen anderen Diskriminierungen blieb unverändert hoch.

„Die Zahl der uns geschilderten Diskriminierungsfälle ist alarmierend. Sie zeigt aber auch, dass sich immer mehr Menschen nicht mit Diskriminierung abfinden und Hilfe suchen“, sagte die Beauftragte bei der Vorstellung des Jahresberichts. Ataman appellierte an alle Menschen, die Diskriminierung erleben, dagegen vorzugehen – wenn nötig vor Gericht. An die Bundesregierung richtete sie die Forderung, Betroffenen bessere Möglichkeiten zu geben, ihre Rechte durchzusetzen – etwa durch eine Verlängerung der Fristen und durch ein Verbandsklagerecht. „Das deutsche Antidiskriminierungsrecht muss endlich internationalen Standards entsprechen. Bisher schützt es nicht wirkungsvoll vor Diskriminierung. Die von der Koalition angekündigte AGG-Reform muss umfassend und zeitnah kommen“, sagte Ataman.

Für ihre Amtszeit kündigte im Juli gewählte Bundesbeauftragte zunächst folgende Schwerpunkte an:
1. Den Schutz vor Diskriminierung stärken: Dafür will sie die Reform des AGG begleiten, Rechtsgutachten vorlegen und Perspektiven von Betroffenen einbringen.
2. Das AGG bekannter machen: Alle Menschen sollten ihre Rechte kennen und wissen, was sie gegen Diskriminierung tun können.
3. Ein flächendeckendes Beratungsangebot gegen Diskriminierung schaffen: Dazu soll ein Förderprogramm mit den Ländern und der Zivilgesellschaft aufgebaut werden.

Beratungsstatistik im Überblick
2021 wurden der Antidiskriminierungsstelle des Bundes insgesamt 5.617 Fälle gemeldet, die mit einem im AGG genannten Diskriminierungsgrund zusammenhingen. Davon bezogen sich 37 Prozent der Fälle auf rassistische
Diskriminierung. An zweiter Stelle folgte mit 32 Prozent das Merkmal Behinderung und chronische Krankheiten. Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts machten 20 Prozent der Anfragen aus, aufgrund des Alters 10 Prozent. 9 Prozent bezogen sich auf den Merkmalsbereich Religion undWeltanschauung und 4 Prozent auf die sexuelle Identität.
Die meisten Diskriminierungserfahrungen wurden im Arbeitsleben (28 Prozent) und beim Zugang zu privaten Dienstleistungen gemeldet (33 Prozent). In 37 Prozent der Fälle hat sich die Diskriminierung allerdings in einem Lebensbereich abgespielt, der nicht oder nur teilweise vom AGG geschützt ist. Der größte Anteil davon betrifft Benachteiligungen im Bereich des staatlichen Handelns, also beispielsweise durch Ämter, durch
die Polizei oder die Justiz. Aber auch im Bildungsbereich, in den sozialen Medien oder im öffentlichen Raum wurden regelmäßig Benachteiligungen, diskriminierende Beleidigungen bis hin zu Gewalt erlebt und geschildert.
Mehr als 2.000 Anfragen hat das Beratungsteam erhalten, in denen Bezug auf ein Merkmal genommen wurde, das vom Diskriminierungsschutz im AGG nicht erfasst wird. Rechnet man diese zu den Fällen mit AGG- Merkmalsbezug hinzu, erhöht sich die Gesamtzahl der Anfragen auf 7.750 – und liegt damit auf ähnlichem Niveau wie 2020 (7.932 Anfragen) und deutlich über dem der Vorjahre (2018: 4220; 2019: 4247 Anfragen).

Jahresbericht 2021 unter: Link

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) ist mit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im August 2006 gegründet worden. Ziel des Gesetzes ist es, Diskriminierung aus rassistischen Gründen oder wegen ethnischer Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Die ADS berät rechtlich, kann Stellungnahmen einholen und gütliche Einigungen vermitteln. Sie betreibt Forschung und Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Diskriminierung. Seit 2022 wird die Leitung der Stelle als Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung vom Deutschen Bundestag gewählt.

17.8.2022: In Sachen „Kartoffel“ sieht Ataman keinen Grund zur Reue
Sie habe selbst nicht immer diskriminierungsfrei agiert, so die Vorwürfe vor der Wahl Ferda Atamans zur Leiterin der Berliner Antidiskriminierungsstelle. Als sie am Dienstag den Bericht der Stelle für das 2021 auf einer Pressekonferenz vorstellt, kommt der Vorwurf wieder hoch. "Ataman sagt: „Ich bezeichne Deutsche nicht so“. Doch diese Aussage ist so nicht haltbar. Tatsächlich würdigte sie einmal sogar den gesamten deutschen Staat als „Kartoffel-Klub“ herab. Noch bis kurz vor ihrer Ernennung zur Antidiskriminierungs-Beauftragten nannte sich Ferda Ataman in ihrem Twitter-Profil „Kartoffelexpertin“. Auch dass sie ausführlich für die Verwendung des „Kartoffel“-Begriffs argumentierte, unterstreicht, wie wichtig ihr die Etablierung dieses von vielen Deutschen als herabwürdigend empfundenen Begriffs war oder möglicherweise noch ist ...
Siehe dazu den Kommentar von Frederik Schindler für DIE WELT.de+ unter: Link

Pressespiegel DLF vom 18.8.2022
Die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg bemerkt: „Die bloße Zahl der Anfragen an die Anti-
Diskriminierungsstelle sagt wenig aus. 5.617 waren es im vergangenen Jahr. Viele Menschen wissen gar nicht, dass es diese Möglichkeit der Hilfe gibt. Andere wissen es vielleicht, trauen sich aber nicht, ihren Fall vorzutragen, auch weil sie neue schmerzhafte Erfahrungen fürchten. Das gilt nicht nur für Menschen, die im Alltag rassistische Zurückweisungen erlebt haben. Das gilt zum Beispiel auch für viele ältere und alte Menschen, die mitunter Benachteiligungen hinnehmen, weil sie nicht mehr die Kraft spüren, zu kämpfen. Es ist gut, dass es das Anti-Diskriminierungsgesetz gibt. Es ist schlecht, dass es im Alltag eher ein zahnloser Tiger ist“, unterstreicht die BADISCHE ZEITUNG.

Die TAGESZEITUNG aus Berlin stellt fest: „Nach rassistischer Diskriminierung sind am zweithäufigsten Menschen mit Behinderung und chronischen Krankheiten von Diskriminierung betroffen. Schon lange fordern Betroffenenverbände, dass im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verankert wird, dass private Anbieter von Dienstleistungen dazu verpflichtet werden, Barrierefreiheit zu schaffen. Es ist begrüßenswert, dass die
Antidiskriminierungsstelle des Bundes das Thema stärker in den Blick nehmen will. Viel zu oft bleibt es bei politischen Ankündigungen, dass etwas besser werden soll. Barrierefreiheit ist da ein Dauerbrenner. Die Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist überfällig. Das sollten alle ernst nehmen“, mahnt die TAZ.

Die Zeitung DIE WELT analysiert: „Wenn 13 Millionen Menschen am Arbeitsplatz, bei der Wohnungssuche, beim Einkauf oder bei der Eröffnung eines Bankkontos Rassismus, wenn 13 Prozent aller Frauen am Arbeitsplatz Sexismus, wenn beschämende 50 Prozent aller Menschen mit Behinderung oder chronischer Krankheit im Alltag Zurücksetzung und Benachteiligung erleben, dann wird – wie Ataman betonte – ihre grundgesetzlich garantierte Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung beschnitten. Diskriminierung ist eine Machtfrage. Sie mithilfe des Rechts und der Aufklärung zu verändern, darum geht es. Das ist, wie Ataman betonte, das Gegenteil von Identitätspolitik“, notiert die WELT.

Quelle: Pressemitteilung ADS Berlin, 16. 8. 2022