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Minister Lauterbach, wo bleibt die Abschaffung der Doppelverbeitragung?

Foto: H.S.

19.04.2023 - von Hirst Gehring

An die Versprechen in seiner Rede vom 11.10.2018 im Deutschen Bundestag zur Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge erinnert Horst Gehring Minister Karl Lauterbach.

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Karl Lauterbach.
die Altersvorsorge in Deutschland befindet sich auch durch die langanhaltende Inflation in einer Vertrauenskrise. Somit wird auch die zweite und dritte Säule der Altersversorgung für Rentner*innen in Mitleidenschaft gezogen. Der Paradigmenwechsel, hin zu einer Lebens-standardsicherung über alle Säulen bleibt vor dem Hintergrund des demografischen Wandels weiter richtig und geboten.

Seit exakt zwanzig Jahren begleitete ich als Gewerkschaftsfunktionär die Entstehungsgeschichte des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes vom 01.01.2004. Bereits im November 2003 habe ich auf die „unechte Rückwirkung“ hingewiesen, welche die Sozialgerichtsbarkeit bis zum Bundesverfassungsgericht begleitet hat. Durch warnende Worte habe ich bereits im Januar 2004 unsere Mitglieder bei Zustellung eines Beitragsbescheides durch die gesetzlichen Krankenkassen auf die Aussichtslosigkeit einer Klage vor dem Sozialgericht hingewiesen. Durch professionelles Handeln konnte ich über Widerspruchsverfahren gegenüber vierzig gesetzlichen Krankenkassen bis zum Sommer 2009 für ver.di Mitglieder eine Summe in Höhe von 2,4 Millionen Euro erstreiten.
Quelle. Ver.di Bund-Länder Journal 10/2010

Ich glaube mich zu erinnern, dass Sie als Bundestagsabgeordneter sich bereits im Jahr 2005 für eine schnelle Abschaffung der doppelten Zahlung von Sozialbeiträgen auf Betriebsrenten ausgesprochen haben. Auch Jahre später hielten Sie „die heutige Praxis, dass Bezieher von Betriebsrenten und Direktversicherungen den Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil für Kranken- und Pflegeversicherung zahlen zu müssen, ist ungerecht und schadet dem Ziel, die Betriebsrenten attraktiver zu machen.“

Daher erlaube ich mir, an Ihre Rede vom 11.10.2018 als MdB vor dem Deutschen Bundestag hinzuweisen. Anfang Dezember 2018 wiederholte Andrea Nahles noch einmal diese Forderung in einer bemerkenswerten Presseerklärung, dass es sinnvoll sei, für Betriebsrenten wie gesetzliche Renten nur den Arbeitnehmerbeitrag für Kranken- und Pflegeversicherung zu erheben.

In vierhundert Widerspruchsverfahren gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen hat mein Team darauf hingewiesen, dass die zweite Säule (Betriebliche Altersvorsorge) aufgrund teil-weise mehrfacher Beitragsbelastungen zunehmend unter einem Akzeptanzproblem leidet.

Jahre später hat man sich dann für einen Freibetrag durchgerungen, innerhalb dessen keine Krankenversicherungsbeiträge aus Betriebsrenten mehr zu zahlen sind. Dies bedeutet, dass erst ab dem ersten Euro oberhalb des Freibetrags Krankenversicherungsbeiträge fällig werden. Diese Kompromisslösung ist als gesetzliche Regelung am 01.01.2020 in Kraft getreten.

Kann man heute noch von Beitragsgerechtigkeit sprechen?
Der Freibetrag ist dynamisch ausgestaltet; er beträgt im Jahr 2023 169,75 Euro monatlich. Im Ergebnis ist also auf Betriebsrenten bis rd. 330 Euro monatlich – das sind derzeit etwa 60 Prozent aller Betriebsrenten – höchstens der halbe Krankenversicherungsbeitrag zu zahlen. Auch für die übrigen 40 Prozent höheren Betriebsrenten sinkt die Beitragsbelastung um circa 300 Euro im Jahr.

Die Rentner*innen bauen aber noch immer auf Ihre Zusage, die Doppelverbeitragung abzubauen. Sie fordern angesichts der anhaltenden Inflation eine wertgleiche Rente. Auch der vorgeschlagene Schlichterspruch für eine Tariferhöhung im öffentlichen Dienst erst ab März 2024 betrachte ich als eine Augenwischerei. Auch wenn es für Arbeitnehmer*innen eine Inflationsprämie gibt, bedeutet der Kompromissvorschlag eine reale Lohnkürzung. Diese Prämie läuft nämlich 2024 aus. Dass die Preise bis dahin gesunken sind, darf bezweifelt werden. Ein dauerhafter Inflationsausgleich ist das Mindeste -- nicht nur für den öffentlichen Dienst, sondern für alle Arbeitnehmer und Rentner.
Hier erwarte ich vom Gesetzgeber eine gerechte Auslegung des § 16 Abs. 1 BetrAVG. Vertragliche Anpassungsregelungen müssen daher auch den Rentner*innen zugestanden werden.

SPD in den Fußstapfen der Union
Die SPD nimmt die unterschiedlichen beitragsrechtlich von der freiwillig Versicherten und den pflichtversicherten Mitgliedern der GKV nicht in Angriff. Ich denke nur an die katastrophale Anhörung des Gesundheitsausschusses Anfang 2019 in Berlin.
- 3 –
Bereits mehrfach hat nun Kanzler Olaf Scholz eine fiskalische Lösung der Doppelverbeitragung in Aussicht gestellt. Viele Vorsorgende haben aber ein Alter erreicht, dass ihnen diese „Versprechungen nur als Lippenbekenntnisse“ vorkommen.
Über Jahre hat die SPD-Zusagen und Wahlversprechen zur Abschaffung der Doppelverbeitragung nicht eingehalten. Dieses führt zur Politikverdrossenheit, wie sie bereits Björn Enghlom vor Jahren beschrieben hat.

Den Vogel aber hat die brandenburgische SPD-Politikerin „Elfie“ – Handrick vom Vorstand der SPD-Wustermark am 14.08.2019 im Wahlkampf in Brandenburg vor laufender Kamera des ZDF ausgesagt hat. Die adrett frisierte, elegante graue Dame, die nicht so aussieht, als müsse sie sich um ihren Lebensunterhalt Sorgen machen, sagt da, sichtlich genervt, in bestem Hochdeutsch in die ZDF-Kamera: „Ich finde es nicht richtig, dass man immer die Sorgen und Nöte der Bevölkerung ernst nehmen muss. Was haben die denn für Sorgen und Nöten? Ich kann das nicht verstehen!“

Quelle ZDF: SPD – Ohrfeige für Wähler vor laufender Kamera im ZDF

Ich hoffe dennoch, dass Ihr Team mir eine angemessene Rückantwort zu meinem Statement mir zusenden wird.

Ich wünsche Ihnen alles Gute.
Mit freundlichen Grüßen
Horst Gehring

Quelle: Horst Gehring