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Dienstleistungwüste statt Silver Market

04.08.2006 - von Hanne Schweitzer

Mittlerweile hat sich auch bei uns herumgesprochen, dass SeniorInnen nicht nur alt werden, sondern auch Verbraucher bleiben. Im Fünften Altenbericht für die Bundesregierung wird die "Seniorenwirtschaft" als Impulsgeber für Wachstum und Beschäftigung genannt. Deshalb häufen sich Tagungen, Messen, Symposien und Veranstaltungen, bei denen spezielle Produkte, bessere Dienstleistungen oder seniorengerechte Handwerksarbeiten für diese neue, interessante Zielgruppe vorgestellt werden.

Hinter dem Begriff "Seniorenwirtschaft" oder "Silver Market", unter dem diese Veranstaltungen angeboten werden, verbirgt sich der Versuch, den demografischen Wandel zu nutzen, um neue Dienstleistungen, neue Produkte und neue Bedürfnisse zu kreieren. Erst in zweiter Linie soll das Vorhandene besser an die Wünsche, Erfordernisse und Bedürfnisse der älter werdenden Bevölkerung angepasst werden.

Dabei reicht die Palette von speziellen Freizeitangeboten über altersloses Design, von Wohnungsanpassungen bis hin zur Kreation neuer Dienstleistungen oder der altersgerechten Gestaltung des ÖVNP oder des Öffentlichen Raums.

Vor allem haushaltsnahe Dienstleistungen sind es, die als wichtiger Wachstumsmarkt gelten. Zur Zeit verfügen etliche Seniorenhaushalte trotz hoher Sparquote noch über genug Einkommen, um ihre Konsumquote z.B. durch den Einkauf von Einkaufsdiensten, Wäschediensten oder Begleitdiensten zu steigern.

Inzwischen setzen sich sogar in der Bundesrepublik einige Bundesländer, Kommunen und Industrie- und Handelskammern für den Auf- und Ausbau der Seniorenwirtschaft ein. So hat Nordrhein-Westfalen eine "Geschäftsstelle Seniorenwirtschaft" beim Institut Arbeit und Technik, Gelsenkirchen, eingerichtet und im vergangenen Jahr sogar eine europäische Konferenz zur Seniorenwirtschaft veranstaltet.

Konferenzen hin, Tagungen her, bessere Lebensqualität fängt zu Hause an. Also da, wo weder Geschäftsstellen noch Institute oder Kammern beteiligt sind, sondern da, wo der Endverbraucher weitab von den Sonntagsreden der Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik einen tropfenden Wasserhahn repariert haben möchte, oder - wie im Folgenden - einen Eisschrank.

Diese Realität sieht so aus:
Der Eisschrank von Frau M. tropft. Sie nimmt ihre eigenständige Verbraucherrolle war und ruft beim Fachgeschäft an, wo sie den Kühlschrank vor einem Jahr gekauft hat. Der Geschäftsinhaber sagt "alles kein Problem". Er will der Reperaturfirma Bescheid geben, diese wird sich mit Frau M. in Verbindung setzen. Frau M. insistiert, dass es möglichst noch am gleichen Nachmittag sein soll, weil ihre im Kühlschrank befindlichen Lebensmittel nass werden.

Tatsächlich meldet sich kurze Zeit später die Reperaturfirma. "Um den Kühlschrank reparieren zu können, brauchen wir die Nummer des Eisschranks", flötet eine Dame ins Telefon. "Wo ist die denn," fragt Frau M. und erhält zur Antwort: "Unten, wo das Gemüsefach ist." "Dann muss ich das rausnehmen und die Glasscheibe auch?" "Ja, das müssen Sie wohl".

Frau M., die keine 20 mehr ist, dafür aber lange Jahre in den USA gelebt hat, wo sie dankbar erfahren hat, wie angenehm das Leben in einer Dienstleistungsgesellschaft ist, Frau M. geht in die Knie, räumt das Gemüsefach raus, sieht aber keine Nummer. Also räumt sie die Glasplatte leer, nimmt sie raus, sieht aber immer noch immer keine Nummer. Sie hangelt sich wieder nach oben in den Stand und geht zum Telefon zurück.

"Ich sehe keine Nummer." "Die ist ganz hinten links, das sind viele Zahlen hintereinander." Frau M. holt sich ein Kissen, legt es auf die Erde, lässt sich langsam auf das Kissen herab und kriecht, auf dem Bauch liegend, halb in den Eisschrank rein.

In der hintersten Ecke, links, wo es am Dunkelsten ist, stehen Zahlen. Aber sie kann sie, trotz Brille, nicht erkennen. Mit der Kraft des Ärgers und erheblicher Wut rappelt sie sich zum zweiten Mal hoch und geht erneut zum Telefon.

"Hören Sie, ich kann die Nummer nicht entziffern, da hinten in der Ecke ist es ist viel zu dunkel. So etwas können Sie doch nicht von einem Kunden verlangen, das ist doch eine Zumutung."

Die Frau von der Reperaturfirma läßt sich nicht aus ihrem Trott bringen. "Sie haben doch bestimmt jemanden in der Nähe, der das für Sie feststellen kann!"

Frau M., kurz davor, die Contenance zu verlieren, ruft: "Nein," ich habe niemanden, ich bin alleinstehend, und ich weigere mich, nochmal da runter zu gehen. Ich lehne es ab. Und ich werde das Geschäft, wo ich den Eisschrank gekauft habe, anrufen, und über diese unverschämte Behandlung informieren. Wie können die denn mit einer solchen Reperaturfirma zusammenarbeiten?"

Der Besitzer des Fachgeschäfts, gibt sich zerknirscht. Er will beim Reperaturdienst anrufen, damit die jemanden schicken, der die Nummer feststellen kann. "Ja, ja, noch am Nachmittag des gleichen Tages, ganz bestimmt." Der Tag vergeht, niemand kommt. Der nächste Tag vergeht, niemand kommt. Der Kühlschrank tropft.

Frau M. ruft im Fachgeschäft an: "Tut uns leid, es ging nicht früher, aber heute mittag um Eins kommt jemand vorbei."
Frau M. bleibt nichts anderdes übrig als das zu tun, was sie jetzt seit Tagen getan hat, sie wartet. Um 1/2 5 klingelt es, zwei Männer kommen, um die Nummern abzulesen. Der eine läßt sich auf die Erde nieder und kriecht in den Eisschrank. "So richtig kann ich die Zahlen nicht lesen, es ist ja sehr dunkel da hinten in der Ecke." Der andere notiert die Zahlen, die ihm mehr vermutend, als überzeugt vorgelesen werden. Ob es tatsächlich die richtigen sind, möchte keiner von beiden beschwören.

Fortsetzung folgt

Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=2679
Quelle: Anruf + Mail

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