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Altersdiskriminierung + KFZ-Versicherung + AGG-Änderung: Was Minister Buschmann jetzt wohl machen wird?

Foto: H.S.

27.02.2024 - von Rainer Schäffer + Hanne Schweitzer

Ein Sieg über die mächtige Lobby der KFZ-Versicherer schien lange so gut wie ausgeschlossen. Aber manchmal geschehen eben doch noch Zeichen und Wunder. Ende November 2023 folgte die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten einer Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses. Thema war die Altersdiskriminierung durch KFZ-Versicherungen.

Die gängige Praxis, bestimmte Kundengruppen wegen der Anzahl ihrer Lebensjahre durch höhere KFZ-Prämien ungleich zu behandeln, war jahrelang vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) als zuständiger Aufsichtsbehörde, von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, von diversen Bundesministerien sowie den allermeisten Journalisten und "Experten", die über das Thema berichteten, stets als korrekt befunden worden. Schließlich enthielt § 20 im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz einen perfekt formulierten Satz, mit dem scheinbar jede Altersdiskriminierung gerechtfertigt werden konnte: "Eine unterschiedliche Behandlung wegen ... des Alters ... ist ... nur zulässig, wenn diese auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen."

Dazu muss man wissen: im ursprünglichen Antidiskriminierungsgesetz war dieser Satz, eine Art Schutzpatron für KFZ-Versicherer, nicht enthalten. Er gelangte erst nach dem Regierungswechsel von Schröder zu Merkel in den überarbeiteten Gesetzestext, der 2006 vom Bundestag und Bundesrat unter dem Namen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz verabschiedet wurde.

Rainer Schäffer gehörte neben zwei weiteren Akteuren zu denen, die sich vom Versicherungsprech der "anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation" oder "versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertungen" keinen Sand in die Augen haben streuen lassen.


Büro gegen Altersdiskriminierung: Herr Schäffer, was hat Sie motiviert, die Beschäftigung mit der Petition über Altersdiskriminierung durch KFZ-Versicherungen so lange aufrecht zu halten?


Rainer Schäffer: Mein innerer Antrieb war der Verdacht, dass ich über den Tisch gezogen werden soll. Das hatte zur Folge, die Argumente des Gesamtverbands, der BaFin und des Bundesministeriums für Finanzen näher zu prüfen und die gegebenen Fakten zu hinterfragen. Da sich die Anhaltspunkte hinsichtlich der Altersdiskriminierung im Laufe der acht Jahre und fünf Monate, die es gedauert hat, bis die Petition erfolgreich abgeschlossen wurde, immer mehr verdichteten, blieb ich am Ball. Hinzu kam, dass die BaFin, wie auch das Finanzministerium, die Argumente des Gesamtverbands mehr oder minder eins zu eins übernommen haben und man schon eine Absprache vermuten konnte. Mein Misstrauen wurde dadurch bestätigt. Das galt ebenso, als sich auch der Petitionsausschuss die Sicht des Bundesfinanzministeriums und der BaFin zu eigen machte und verschiedene Versuche unternahm, um meine Petition einstellen zu können.


Büro gegen Altersdiskriminierung: Denken Sie, dass dieses Bemühen etwas mit der Brisanz des Themas zu tun hatte?


Rainer Schäffer: Natürlich. Über Jahre konnte der Petitionsausschuss keinen politischen Kompromiss finden, sodass man wohl hoffte, ich würde aufgeben oder "hinweg sterben". Aus anderen, nicht nachprüfbaren Quellen, wurde mir berichtet, dass man sich auf keinen Fall mit den Versicherungskonzernen anlegen wollte. Immerhin sollen sich die Einnahmen durch die altersdiskriminierenden Prämien jährlich auf etwa 600 Millionen für die Kfz-Versicherer belaufen.


Büro gegen Altersdiskriminierung: Im Jahr 2019 wollten AfD und FDP Ihre Petition vom Tisch haben. Aber die Abgeordneten von CDU/CSU, SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen im Petitionsausschuss überwiesen sie "zur Erwägung" an das Bundesfinanzministerium. Was hat das Finanzministerium mit den Prämien der KFZ-Versicherungen zu tun?


Rainer Schäffer: Das Bundesfinanzministerium ist die Aufsichtsbehörde der BaFin. Sie ist zuständig für die jährliche Veröffentlichung der Statistik über den Schadenverlauf in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung. Darauf berufen sich die Versicherer, wenn sie die Prämien berechnen. Aber die Überweisung meiner Petition „zur Erwägung“ bedeutet formal nicht viel. Der Petitionsausschuss bringt dem Bundesfinanzministerium gegenüber damit lediglich zum Ausdruck, es möge "das Anliegen noch einmal überprüfen und nach Abhilfemöglichkeiten suchen.“

Das Ministerium, dem damals Olaf Scholz vorstand, hat meine Forderungen in seiner "Erwägung" 2019 aber aufgegriffen. Darum wurde anschließend vom Petitionsausschuss eine gesetzliche Regelung angeregt, mit der die KFZ-Versicherer verpflichtet werden sollten, Risikobewertungen nicht mehr auf der Grundlage eigener Daten zu erstellen. Auch sollten KFZ-Prämien mit Hilfe gesetzlicher Vorgaben so transparent für die Verbraucher dargestellt werden, dass diese klar erkennen können, wie sich ihre Prämie im Einzelnen zusammensetzt.


Büro gegen Altersdiskriminierung: Warum ist das nicht passiert?


Rainer Schäffer: Damit sich etwas ändert, hätte es der Zustimmung des Bundestags bedurft. Dazu wäre es wiederum notwendig gewesen, die Petition mit den "Erwägungen" des Bundesfinanzministeriums an das Bundesjustizministerium zu überweisen. Dieses hätte dann - abgesegnet vom Petitionsausschuss und beauftragt vom Bundestag - entsprechende juristische Vorgaben formulieren müssen. Offensichtlich bestand daran aber kein Interesse.


Büro gegen Altersdiskriminierung: Sie sind trotzdem am Ball geblieben


Rainer Schäffer: Man braucht wirklich einen langen Atem. Insgesamt hat mir der Petitionsausschuss fünfmal die Beendigung des Verfahrens mitgeteilt. Mit sechs weiteren Begründungen konnte ich aber ein Niederschlagen der Petition verhindern. Durch meine Ausdauer in Verbindung mit meinen Einwendungen zum Sachverhalt habe ich erreicht, dass die rechtliche Klärung der Altersdiskriminierung durch KFZ-Versicherungen nicht verschlossen wurde, sondern weiter offen geblieben ist.


Büro gegen Altersdiskriminierung: Wie hat es Ihre Petition dann doch zur Abstimmung in den Bundestag und anschließend ins Bundesjustizministerium geschafft?


Rainer Schäffer: Die Abgeordneten im Petitionsausschuss konnten meinen Argumenten offensichtlich nichts mehr entgegensetzen. Also fand man den politischen Ausweg, die Angelegenheit vom Justizministerium klären zu lassen. Dem ist allseits zugestimmt worden.
Nach acht Jahren und fünf Monaten erhielt ich dann am 17.1.2024 den Bescheid über den Ausgang meines Petitionsverfahrens. Sie war vom Bundestag per Beschlussempfehlung Ende November 2023 an das Justizministerium überwiesen worden. Die Empfehlung lautet: "Die Petition der Bundesregierung – dem Bundesministerium der Justiz – als Material zu überweisen, soweit es darum geht, einen Auskunftsanspruch im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz zu verankern und die Versicherungen zu verpflichten, ihre Prinzipien zur risikoadäquaten Kalkulation offen zu legen".
Die Petition gilt nun als abgeschlossen. Allerdings gibt die Begründung des Petitionsausschusses weiter Anlass, verschiedene Punkte klarzustellen!


Büro gegen Altersdiskriminierung: Was wird der Bundesjustizminister aus der Vorgabe des Parlaments machen?


Rainer Schäffer: Natürlich bin ich gespannt! Ich befürchte jedoch, dass das Justizministerium zwischen der Entscheidung für einen Gesetzestext bis zum endgültigen Beschluss im Bundestag dem Druck der Kfz-Versicherer ausgesetzt sein wird und erneut Schlupflöcher von den Lobbyisten gebohrt werden.
Da Kfz-Halter keinen Zugang zum Gesetzgebungsverfahren haben, sind die Verbraucher wieder benachteiligt. Wie die bisherigen Erfahrungen zeigen, und wie ich es selbst erlebt habe, kann man auf die Verbraucherschutzvereine nicht zählen. Mein Eindruck war, ein Verbraucherschutz fand bei den Problemen der Altersdiskriminierung durch Kfz-Versicherer nicht statt.


Büro gegen Altersdiskriminierung: Anfang des Februar ist die AI Act-Verordnung der EU (Verordnung über Künstliche Intelligenz) beschlossen worden. Philipp Räther, ranghöchster, mit Künstlicher Intelligenz befasster Officer bei der Allianz, nennt als Beispiel für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz die Kfz-Versicherung. Durch den Einsatz einer App oder eines Chips im Auto könne der Fahrstil und damit das individuelle Unfallrisiko eines Versicherten festgestellt werden. Durch die Ermittlung weiterer Risikofaktoren sei die Prämienhöhe genauer zu ermitteln. Den Vorteil des digital überwachten Autofahrens beschreibt Räther in der FAZ so: "Das ermögliche jungen Autofahrern günstigere Tarife, was aufgrund der Zugehörigkeit zu der Altersgruppe früher nicht möglich gewesen sei."


Rainer Schäffer: Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes, ebenso wie die Verkehrsauffälligkeitsstatistik des Kraftfahrtbundesamtes und die Jahresgemeinschaftsstatistik der Kfz-Versicherungen geben die Annahme, günstige Tarife für die jungen Kraftfahrer durch digitale Kontrollen entwickeln zu können, nicht her. Diese Altersgruppen weisen ohnehin die wenigsten Unfälle, die wenigsten Verkehrsauffälligkeiten und die geringsten Schäden auf. Letztlich fahren die jungen wie die alten Pkw-Fahrer die geringeren Kilometerzahlen. Die Angaben der Allianz sind nicht nachzuvollziehen. Risikobereite Kraftfahrer zwischen 26 und 64 Jahren können mit einer solchen KI gestützten Technik aber sicherlich "eingebremst" werden.


Büro gegen Altersdiskriminierung: Warum ist Ihre Petition bzw. der Bescheid nicht im Internet zu finden, z.B bei den Bundestagsdrucksachen? Ist das ein Geheimnis?


Rainer Schäffer: Hierzu musste ich mich auch erst kundig machen. Im Gesetz über den Petitionsausschuss steht:
§ 3
1) Aktenvorlage, Auskunft sowie der Zutritt zu Einrichtungen dürfen nur verweigert werden, wenn der Vorgang nach einem Gesetz geheimgehalten werden muss oder sonstige zwingende Geheimhaltungsgründe bestehen.
2) Über die Verweigerung entscheidet die zuständige oberste Aufsichtsbehörde des Bundes. Die Entscheidung ist zu begründen.
Normalerweise ist der Deutsche Bundestag verpflichtet, den Zugang zu amtlichen Informationen zu gewähren, soweit er öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben vornimmt. Der spezifische Bereich des Petitionsausschusses ist allerdings ausgenommen. Da der Petitionsausschuss verfassungsrechtliche Aufgaben erfüllt und keine öffentlich-rechtlichen Aufgaben, muss er keine Auskünfte erteilen.

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Übrigens: Das Bündnis AGG Reform-Jetzt! ein zivilgesellschaftlicher Zusammenschluss von über 120 Organisationen, die gemeinsam 11 Forderungen an eine AGG-Reform stellen, hat weder in der Vergangenheit noch aktuell jemals die Forderung nach einem Verbot der Altersdiskriminierung durch KFZ-Versicherungen erhoben! Das Gesetz ist aber auch bei der Altersdiskriminerung durch Versicherungen nicht wirksam und es wurde seit seinem Inkrafttreten im Jahr 2006 auch nicht reformiert. Das AGG muss aber ALLEN - auch den älteren AutofahrerInnen ermöglichen, effektiv gegen eine Diskriminierung vorzugehen!

Quelle: Rainer Schäffer + Büro gegen Altesdiskriminierung