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Noch nie war es so einfach, Kriegsheld zu werden - Professoren wollen nicht abseits stehen

Foto: H.S.

02.04.2022 - von Prof. J. Brenner

„Aufgestanden ist er, welcher lange schlief ...“ – in seinem berühmten Gedicht „Der Krieg“ fasste Georg Heym die Stimmung in Deutschland vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges zusammen. Die zweite Marokkokrise von 1911 hatte den Deutschen ins Bewusstsein gebracht, dass die lange anhaltende Friedens- und Wohlstandsperiode brüchig geworden war. Drei Jahre später, im August 1914, zogen jubelnde Menschenmengen durch die Straßen, zehntausende von Amateurdichtern fassten in Zuschriften an die Presse ihre Kriegsbegeisterung in Reime, die Sozialdemokraten stimmten den Kriegskrediten zu und ein Kaiser erklärte feierlich: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!“ Gymnasiasten zogen von der
Schulbank weg dem Massensterben bei Langemark entgegen und etliche der Maler und Dichter des Expressionismus meldeten sich freiwillig an die Front ..

Auch die Professoren wollten nicht abseits stehen. Sie entfesselten ihren eigenen „Krieg der Geister“, wie die Forschung das später genannt. hat. Am 4. Oktober 1914 erging ein Aufruf „An die Kulturwelt“, dem knapp zwei Wochen später die „Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches“ und danach noch Dutzende weitere Manifeste dieser Art folgten. Intellektuelle, Künstler und Wissenschaftler, auch solche von Weltrang, postulierten ihren Schulterschluss mit der Regierungspolitik. Hier wurde die Textsorte der Unterschriftenliste geboren, die sich bis heute größter Beliebtheit erfreut. Die Kriegsbegeisterung erschien 1914 umfassend, aber der Schein trügt. Diese Kriegsbegeisterung war ein Phänomen der akademisch geprägten Mittelschicht. Die Arbeiter waren nicht dabei. Sie wussten, wer die Zeche bezahlen musste.

Am Krieg in der Ukraine sind die Deutschen diesmal nicht beteiligt, aber gelegentlich gewinnt man den Eindruck, sie wären es gerne, und ein bisschen sind sie es auch. Wer Waffen an eine Kriegspartei liefert, ist selbst Kriegspartei, und die Hoffnung, der Gegner werde das schon nicht merken ist, trügerisch.

Putins Überfall auf die Ukraine hat die innenpolitischen Frontlinien in Deutschland gründlich durcheinander gebracht und neu sortiert. Mit einigem Aufwand war es gerade gelungen, die „Klimaleugner“ und die „Coronaleugner“ unter ein semantisches Dach zu bringen. Dass die „Putin-Versteher“ nicht auch noch diesem „Leugner“-Lager zuzurechnen sind, muss selbst dem schlichtesten Politiker- und Journalistengemüt einleuchten.

Für die „Putin-Versteher“ musste eine eigene Kategorie eingerichtet werden, mit der neben dem „Leugnen“ jetzt auch das „Verstehen“ geächtet wird. Wer die Entwicklung des deutschen Bildungswesens in den letzten 30 Jahren beobachtet hat, den wird es nicht verwundern, dass das Nicht-Verstehen-Wollen und das Nicht-Verstehen- Können zur politischen Tugend erklärt wird. In der Pädagogik ist das schon lange so.

Laptophelden an der Heimatfront
„Inter arma silent Musae“ – „im Krieg schweigen die Musen“, wusste man schon im antiken Rom. Aber umso lautstärker melden sich heute die Kultur- und Wissenschaftsfunktionäre zu Wort, die es im antiken Rom noch nicht gab. Noch nie war es so einfach, Kriegsheld zu werden: Ein bisschen frieren und ein paar Unterschriften reichen aus. Und alle sollen mitmachen. Unablässig werden von Künstlern Unterwerfungsgesten und von Wissenschaftlern Ächtungserklärungen gegenüber ihren russischen Kollegen abgefordert. Den spektakulären
Anfang machte der Münchener Oberbürgermeister, der unter dem Jubel der deutschen Qualitätspresse – „Münchner OB Reiter wirft Dirigent Gergijew raus“ freute sich das Intellektuellenboulevardblatt „Die Zeit“ – den russischen Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker wegen der Verweigerung einer öffentlichen Abbitte aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis fristlos kündigte.

Gergijew war nur der Anfang. Vertraglich vereinbarte Auftritte der Sopranistin Anna Netrebko wurden von mehreren Opernhäusern ebenfalls wegen der Nähe zu Putin abgesagt, bis sie endlich die geforderte Unterwerfungserklärung abgab. Ob sie in den nächsten Jahren noch einmal in ihre Geburtsstadt Krasnodar wird reisen dürfen? Am anderen Ende des Kulturspektrums erklärte nach langen Wochen des Zögerns die im russischen Krasnojarsk geborene deutsche Schlagersängerin Helene Fischer öffentlich ihren Abscheu gegenüber
dem Staatspräsidenten ihres Herkunftslandes und sicherte sich damit die Möglichkeit zur weiteren Berufsausübung. Die Aktion des Münchner Oberbürgermeisters wirkte stilbildend. Die Stadt Hannover forderte ihren Ehrenbürger Altbundeskanzler Schröder nach einer Woche auf, die Würde zurückzugeben; bei Reichskanzler Adolf Hitler und dem Reichserziehungsminister Bernhard Rust hatte die Stadtverwaltung sich damit 33 Jahre lang Zeit gelassen.

Mit dem Ukraine-Krieg haben auch die deutschen Universitäten wieder eine Gelegenheit gefunden, sich zu blamieren. Rund 90 der gut 100 echten Universitäten – nicht gerechnet also die zahllosen „Universities“, Hochschulen und Privatuniversitäten – haben beschlossen, die Zusammenarbeit mit russischen Kollegen, sogar auch Kolleginnen, zu verweigern. In Bayern wurden die Universitäten und Hochschulen aufgefordert, die 139
Kooperationsverträge mit Partner-Hochschulen in Russland nicht mehr einzuhalten, die 30 Kooperationen mit russischen Forschungseinrichtungen nicht weiterzuführen sowie den Studentenaustausch mit Russland einzustellen. Die Hochschulen greifen die staatlichen Empfehlungen gerne auf und brechen alle „Beziehungen zu wissenschaftlichen Einrichtungen, staatlichen Institutionen und Unternehmen in Russland und Belarus“ bis auf weiteres ab.

Ob sich jemand einmal Gedanken darüber gemacht hat, wie das weitergehen soll? Es wird eine Zeit nach dem Krieg, auch eine Zeit nach Putin geben. Glaubt man ernsthaft, man könne dann so tun, als ob nichts gewesen wäre? Und wer, wenn nicht Künstler und Wissenschaftler, soll denn die Fäden in der Hand behalten, aus denen man später wieder ein Netz knüpfen kann? Der „Krieg der Geister“ im Ersten Weltkrieg hat bis weit in die Nachkriegszeit verheerende Folgen für die Internationale Wissenschaft gehabt. Die Lektion sollte man gelernt
haben.

Die Vorstellung, dass es auch in Russland Wissenschaftler und Künstler und überhaupt russische Bürger gibt, die den Angriffskrieg ihres Präsidenten nicht billigen und die einfach nur in Frieden ihrer Arbeit nachgehen wollen, ist dem gesinnungsstarken Wissenschafts- und Kulturbetrieb in Deutschland völlig abhandengekommen. Immerhin haben in Russland 7.000 Wissenschaftler eine Erklärung gegen den Angriff auf die Ukraine unterschrieben (Link . Und eine solche Erklärung in Russland zu veröffentlichen ist etwas anderes als das gleiche in Deutschland zu tun.

„Pacta sunt servanda“ hatte einmal ein betont russlandfreundlicher bayerischer Ministerpräsidenten postuliert und damit eine der Prämissen wirtschaftlichen und politischen Handelns benannt. Das ist Makulatur. Heute hält man Verträge ein oder auch nicht, je nach tagespolitischer Wetterlage. Nüchtern betrachtet handelt es sich auch
hier um einen Zivilisationsbruch. Keinen so barbarischen wie der Überfall Putins auf die Ukraine, aber doch die Preisgabe unverzichtbarer nationaler und internationaler Gepflogenheiten des alltäglichen Lebens.

„... und wir werden sie alle aufnehmen" ...
Mit dem Krieg kamen die Flüchtlinge. Nach offiziellen Angaben des Innenministeriums sind im ersten Monat seit Kriegsbeginn 270 000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Die Außenministerin rechnet standesgemäß noch in ganz anderen Dimensionen: „Es werden acht bis zehn Millionen Geflüchtete kommen und wir werden sie alle aufnehmen“ erklärte sie am 26. März 2022 in Cottbus unter dem Beifall ihrer Parteifreunde und sicher nicht nur der. ..." Prof.J. Brenner beim IMSW unter: Link:

Quelle: IMSW Institut für Medienevaluation, Schulentwicklung + Wissenschaftsberatung